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Kapitel 5

Die Sonne brannte durch die Wagenfenster. Es war dumpf im Innern des Autos… stickig, ein Geruch nach Blut und Schweiß.

Mabel Paerson erwachte aus ihrer Ohnmacht und wälzte sich stöhnend herum. Mit einem Schrei fuhr sie auf, als sie die Augen öffnete. Ralf lag halb über ihr… sein blasses Gesicht war schmal und verkrampft. Sein Rock, sein Hemd waren ein einziger großer Blutfleck. Liegend tastete sie nach seinem Kopf und legte die Hand auf seinen Mund. Er atmet, durchfuhr es sie, er atmet. Er lebt!

Sie schob sich empor, zog sich an der Rückenlehne hoch und bettete Dr. Bouth auf ihren Sitz. Dabei drehte sie sich um und riß die Faust in den Mund, um nicht grell aufzuschreien. Vor ihr, auf dem Führersitz, über das Steuer gedrückt, lag ein Toter. Aus seinem Rücken war aus drei Wunden Blut über den ganzen Sitz gesickert. Seine weißgelbe Hand hielt noch den Zündschlüssel umklammert, den er mit letzter Kraft herumgerissen haben mochte, um den Wagen zum Stehen zu bringen. Das Auto lag schräg in einem Wassergraben, der eine Waldschneise durchzog.

Zitternd setzte sich Mabel neben Ralf und riß ihm das Hemd von der Schulter. Ein Einschußloch war unterhalb des rechten Schulterblattes. Das Blut war geronnen. Als sie den Stoff von der Wunde entfernte, zuckte Dr. Bouths Körper leise zusammen.

Was ist denn bloß geschehen, dachte Mabel und sah sich um. Ralf verwundet… ein fremder Mann am Steuer tot… erschossen…

Sie war gelaufen… über Berge und durch Schluchten… das wußte sie. Sie hatte eine Straße erreicht… sie war frei, endlich frei von den Russen… und sie war auf diese Straße zu gestürzt, war auf die Fahrbahn gefallen und hatte, ehe es dunkel um sie wurde, noch das ferne Brummen eines Wagens gehört.

War es dieses Auto gewesen? Wo kam Ralf her. Wie kam er in diese entlegene Gegend? Wer war der fremde Tote am Steuer?

Zitternd vor Grauen beugte sie sich über die Lehnen der Vordersitze und berührte mit den Fingerspitzen Heinz Behrenz. Sie sah einen Revolver neben der Leiche liegen und nahm ihn an sich. Dann stieg sie aus, riß die Ärmel ihrer Bluse ab und tränkte sie in dem Wasser des Grabens. Damit wusch sie Dr. Bouth die Wunde aus, rieb das geronnene Blut von seinem Körper und legte ihm einen Streifen über die heiße, fiebernde Stirn. Ob sie es richtig machte, wußte sie nicht. Sie dachte nicht daran, wie man sich verhalten mußte… sie wußte nur in zitternder Eile und einsamer Ratlosigkeit, daß sie helfen mußte, daß sie irgend etwas tun mußte, um zu retten, wenn etwas zu retten gab.

Als sie Ralf versorgt hatte, stieg sie aus und wusch sich selbst in dem brackigen Wasser, das vom letzten Regen übriggeblieben sein mußte. Sie kühlte ihre aufgesprungenen Fußsohlen und spürte, wie die Kälte wohlig den ganzen Körper durchrann, wie sie Kraft aus der Kühle des Wassers empfing, Kraft und Ruhe. Dann ging sie um den Wagen herum, sah die zusammengeschossenen Reifen, versuchte, den Kofferraum zu öffnen und entdeckte zwischen einem Reservereifen und einigen noch gefüllten Benzinkanistern einen blechernen Medikamentenkasten.

Da sie den Schlüssel nicht fand, nahm sie einen spitzen Stein und hieb in mühsamer Arbeit das Schloß auf.

Verbandzeug, Watte, Zellstoff, fieberlindernde Tabletten, Wundsalbe, Puder und andere wichtige Medikamente lagen in den einzelnen Abteilungen. Sie umwickelte ihr aufgeschlagenes Knie mit einer elastischen Binde, riß die Blusenfetzen wieder von Dr. Bouths Einschuß und verband ihn, so gut sie es konnte, mit den Mullbinden. Auf den Einschuß legte sie eine Lage Zellstoff, mit Wundsalbe dick bestrichen. Dem Verwundeten schien es gut zu tun, er stöhnte leise, und nach einigen Zuckungen des Körpers lag er still. Der Krampf in seinem Gesicht ließ nach.

«Ralf«, sagte sie leise.»Ralf, was haben wir getan, daß man uns so schindet?«Sie küßte ihn auf die trockenen Lippen. Dann rannte sie wieder fort, holte in dem Hut des toten Heinz Behrenz Wasser und träufelte es Dr. Bouth zwischen die Lippen. Automatisch schluckte er, aber dann lief das Wasser an den Mundwinkeln wieder heraus.

Sie hockte sich neben ihn, zog die Beine an und blickte hinaus in den vom Sonnenlicht durchfluteten Wald. In langen, goldenen Streifen brachen die Strahlen durch das dichte Blätterwerk und zauberte wunderliche Schatten auf den Boden und die Fiederblätter der hohen Farne.

Was soll ich tun? dachte sie. Was soll nun werden? Ich kann doch nicht hier sitzen bleiben, in diesem Wagen, den Toten vor mir. Man wird uns hier nicht finden, abseits der Straße. Ich weiß ja überhaupt nicht, wo wir uns befinden! Sind wir in den Rocky Mountains oder irgendwo in den kalifornischen Bergen? Sind wir an der Grenze Kanadas oder weit im Süden in der Nähe Mexikos? Wenn wir hier warten, bis uns jemand findet… ein Jäger oder ein Holzsucher oder ein Beerensammler… ist er gestorben… ist Ralf gestorben…

Sie kletterte wieder aus dem Wagen und ging die Schneise ein Stück herunter. Sie mündete in einen dichten, pfadlosen Wald.

Sie ging zurück, den Spuren des Wagens nach, die sich tief in den weichen Waldboden eingegraben hatten. Ein Pfad lief seitlich durch einen Wald weiter… die Spuren gingen über ihn in die Stämme.

Nichts. Es gab keine Straße. Warum war das Auto von der Straße abgewichen und vielleicht hunderte Meter in den Wald gefahren?

Ohne Reifen? Schleudernd und stoßend?

Plötzlich dachte sie an die Russen. Gregoronow, der Mann, der sie schlagen wollte. Zanewskij, der Frau und Kinder zu Hause hatte und es nicht konnte, sie zu erschießen.

Die Russen!

Eine unheimliche Angst erfaßte sie. Man verfolgte sie ja… mein Gott… sie streiften die Wälder ab, um sie zu suchen… Man hatte diesen Mann dort am Steuer erschossen, weil er sie rettete. Man hatte Ralf angeschossen, weil er sie von der Straße aufnahm. Man kannte keine Rücksicht mehr… man mordete.

Ralf!

Sie rannte den Weg zurück zu Behrenz' Auto. Als sie atemlos um die Ecke der Schneise bog, schrie sie jubelnd auf. Dr. Bouth stand an das Schutzblech gelehnt und drückte die rechte Hand an die schmerzende Brust.

«Ralf!«jubelte sie.»Ralf… Ralf!«

Sie rannte in seine Arme und küßte ihn. Und plötzlich weinte sie, hing sie schluchzend in seinen Armen und konnte es alles nicht fassen, was um sie herum geschah.

«Mabel. «Dr. Bouth drückte sie an sich. Sein Gesicht verzog sich schmerzhaft, aber er schwieg.»Ich habe gedacht, es sei alles umsonst gewesen. Ich habe gedacht, sie hätten dich wieder geholt. Ich war so verzweifelt… bis du um die Ecke ranntest. «Er küßte sie immer wieder auf die Augen und den Mund.»Jetzt bist du wieder da«, sagte er leise,»und ich gebe dich nie wieder her… nie wieder… nie wieder.«

Sie schmiegte sich in seine Arme. Sie hörte sein Herz schlagen… und dieses Klopfen in der Brust war schöner als alles, was sie bisher in ihrem Leben gehört hatte. Sie dachte an nichts mehr… an keinen Russen… an keine Flucht… an keine Gefahr… Es klopft, dachte sie nur… Sein Herz klopft. Sein Herz, mein Herz, unser Herz… Es klopft… O wie schön ist es weiterzuleben.

Dr. Bouth sah sich um, während er sie an sich gedrückt hielt. Er sicherte wie ein Wild, das man hetzt und im Dickicht etwas verschnaufen will.

«Wir müssen weg, Mabel«, sagte er.

«Ja, Ralf. Ich höre dein Herz.«

«Man wird die Spur des Autos finden und nachgehen. Wir sind verloren, wenn Gregoronow und Zanewskij uns finden. Wer weiß, wo die nächste Straße ist. Wir sind hier mitten in den Uinta Mountains. Ich bin zu schwach, um gegen die Russen zu kämpfen.«

«Ja, Ralf. «Sie lächelte glücklich.»Aber dein Herz schlägt so stark.«

Er löste seine Umarmung und führte sie an die Wagentür. Wieder sah sie den Toten und schauderte zusammen.

«Wer ist es, Ralf?«

«Ein Deutscher, Mabel. Heinz Behrenz. Ich verdanke ihm dein und mein Leben. Er war einmal unser Gegner. Warum er unser Freund wurde, weiß ich nicht. Er wollte es mir sagen, wenn er dich gefunden hatte. Armer, guter Junge. «Er kroch in den Wagen und holte den Rucksack ibn Menras hervor. Er war noch gefüllt mit Konserven und Zwiebackbeuteln. Aus der Tasche des blutgetränkten Jacketts Behrenz' nahm er noch einen Revolver und beugte sich dann über den Toten. Ruhig suchte er alle Taschen ab und steckte die gefundenen vollen Magazine zu sich.»Wir werden sie vielleicht brauchen«, sagte er stockend.»Es ist ein weiter Weg zurück nach Santa Fe.«