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Wer nach Los Alamos fahren will, wird es nie über eine der bekanntesten Straßen erreichen. Er muß erst vierzig Kilometer nach Norden fahren, bis er die kleine spanischamerikanische Stadt Espanola erreicht, von dort kehrt er wieder um und fährt auf einer schlangenartigen Straße nach Südwesten, die sich 25 Kilometer lang durch ein Tafelland windet. Es ist mehr ein Pfad als eine Straße, wenn sie in die Canons eindringt, schmal, kurvenreich, gefährlich durch plötzlich seitlich auftauchende Felsabstürze. Es ist der einzige Weg, der nach der Stadt Los Alamos führt, die Straße, die das Schicksal unseres Erdballs trägt, denn über ihre holprige Decke rollten die Lastwagen, die die Bomben für Hiroshima und Nagasaki trugen, die die Bomben für Alamogordo und Bikini hinaus in die Welt schickten, — es ist die Straße, über die die größten Wissenschaftler der Welt gingen, Dr. Fermi, der Schöpfer der ersten Atombombe, Dr. Chadwick, der das Neutron entdeckte, Prof. Oppenheimer, der Leiter aller Atomversuche, Dr. Bohr und Dr. Wheeler, die zuerst die Atomspaltung berechneten und ein Spaltgesetz aufstellten, der greise Prof. Einstein und Prof. Dr. Paerson. Es ist die Straße, die hinausführt in eine Welt, die in einer Sekunde, nach der Explosion der ersten Bombe in der Wüste New Mexicos, ein anderes Gesicht bekam: das bleiche Antlitz eines Sterns, der wartet auf Untergang oder einmalige Erhebung über den Sinn der göttlichen Schöpfung.

Es ist die Straße, die Dr. Bouth langsam, mit abgeblendeten Lichtern, fast tastend herunterfuhr.

Zu beiden Seiten ragten die Felswände auf. Schwarz, überhängend, als stürzten sie jeden Augenblick über das kleine Fahrzeug, das sich an ihren Füßen durch die Schlucht wand.

Die erste Kontrolle wurde passiert. Man kannte Dr. Bouth, prüfte die Ausweise von Mabel Paerson und ließ den Wagen durch. An der vierten Kontrolle stand Oberst Perkins, der Chef der Sicherheitsabteilung.

Dr. Bouth hielt an, als er das rote Stopzeichen vor sich blinken sah.

«Guten Abend, Doktor«, sagte Oberst Perkins, als er an die Tür trat.»Gute Fahrt gehabt?«

«Leidlich. In der Wüste ging mir das Benzin aus. «Dr. Bouth sah sich um.»Ist etwas Neues, daß ihr jetzt so streng seid?«

«Wir haben Befehl von Washington, keinen Unbekannten in die Stadt zu lassen.«

«Das ist ein guter Witz, Perkins!«Bouth lachte leise.»Soll ich vom Präsidenten persönlich ein Handschreiben bringen?«

«Sie nicht. Aber die junge Dame ist unbekannt.«

«Mensch, Perkins, nun seien Sie friedlich. Die Dame ist Mabel Paerson, die Tochter vom Professor.«

«Sie hat keine Besuchserlaubnis von Washington!«

«Das nicht! Aber ihr Vater ist verunglückt und…«Dr. Bouth brach ab.»Ist es übrigens schwer, Perkins?«

«Gott sei Dank nicht. Der radioaktive Strahl traf ihn hinter einer drei Meter dicken Betonwand! Er brach plötzlich zusammen und wurde ganz grün im Gesicht. Dr. Fermi und Dr. Oppenheimer haben ihn sofort zum Lazarett gebracht. Dort hat man nur leichte Schäden festgestellt. «Oberst Perkins blickte auf die schlafende

Mabel.»Wie lange schläft sie?«

«Seit Stunden.«

«Sie hat nicht den Weg gesehen, den Sie gefahren sind?«

«Unmöglich, Perkins.«

Der Oberst nickte.»Na, dann fahren Sie los, Doc! Weil Sie's sind.«

Dr. Bouth grüßte und fuhr weiter durch die Nacht. Langsam schraubte er sich auf ein Hochplateau hinauf. Dieses Hochplateau zwischen Los Alamos und den Pueblo Canons ist der Mittelpunkt der unsichtbaren Atomstadt. Hier sind die Gebäude der technischen Abteilung, während in den Canons selbst, in den Schluchten, auf den schmalen Rücken der Felsenebenen die anderen Gebäude liegen — 302 Wohnhäuser mit 620 Wohnungen, 52 kleine Kasernen, 200 Wohnungen und 52 große Schlafsäle. Hier hausen 4000 Arbeiter und Forscher, 2000 Mann Militär zur Bewachung und Sicherung — bewacht, umstellt, abgeschnitten von der Welt, Verlorene für die Menschen außerhalb der Schluchten nordwestlich von Santa Fe.

Dr. Bouth fuhr langsam an dem Hochplateau vorbei und wandte sich einem Seitencanon zu, in dem die Gebäude der wissenschaftlichen Abteilung und das Lazarett standen.

Er hielt an und legte den Arm um Mabel. Vorsichtig hob er ihren Kopf und küßte sie auf die halb geöffneten Lippen.

Erschrocken fuhr sie zusammen. Doch dann erkannte sie Ralf und lachte leise.

«Du sollst doch fahren!«sagte sie mit leisem Vorwurf.»Wir wollen doch schnell in Los Alamos sein.«

«Das sind wir bereits. «Er half ihr aus dem Wagen. Um sie herum war Dunkelheit. Nur aus einigen Fenstern fiel schwacher Lichtschein auf den Felsenboden und die emporragenden steilen Wände.

Mabel Paerson schauderte zusammen.»Ich habe Angst«, flüsterte sie.

«Angst haben alle, die neu in diese merkwürdige Stadt kommen. Angst vor den Felsen, den Atomen, den Strahlen. Aber wenn die Sonne scheint, sieht es ganz anders aus. Dann leuchten die Canons, die Flüsse und Bäche blinken wie flüssiges Silber, und nirgends sind die Wolken so schön, wie in dem Augenblick, in dem sie von einem Felsen zum anderen ziehen wie Schleier, die eine unsichtbare Riesenhand durch die Luft trägt.«

Dr. Bouth nahm Mabels Mantel aus dem Wagen und legte ihn ihr um. Dann hakte er sich bei ihr unter und führte sie zu einem langgestreckten Haus, das an einen Felsen gelehnt schien.

Sie kamen in einen schmalen, weißen Gang und wurden von einer Schwester empfangen. Das Haus roch nach Karbol und Lysoform.

«Wir möchten zu Dr. Paerson«, sagte Ralf und zeigte seinen und Mabels Ausweis. Genau prüfte die Schwester die Papiere, dann nickte sie.

«Bitte warten Sie«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.»Der Herr Professor hat gerade Besuch aus El Paso. Ich werde Sie anmelden.«

Leise, wie sie gekommen, verschwand sie wieder mit rauschenden Röcken. Es dauerte nicht lange, bis ein junger Arzt erschien. Er begrüßte Mabel und Ralf freundlich und erstattete den ersten Bericht.

«Es ist kein Grund, sich zu ängstigen, gnädiges Fräulein«, meinte er.»Die Schockwirkung bei der Feststellung, daß die Strahlen durch die dicke Beton- und Bleiwand gingen, war größer als die Strahlenwirkung selbst. Zwei Wochen, und der Herr Professor ist wieder wohlauf.«

«Ich danke Ihnen«, sagte Mabel leise.

Dann gingen sie bis zum Ende des Ganges, eine Tür klappte auf, und sie standen in einem mäßig großen Zimmer, das von einem breiten Bett beherrscht wurde. Alle Möbel waren weiß, sauber, steril gemacht.

Prof. Dr. Paerson lag auf einem Berg weißer Kissen und rechnete auf einer Holzplatte, auf die er mit Heftzwecken große Bogen Papier geheftet hatte. Er sah erstaunt den Eintretenden entgegen und schob dann seine Platte fort.

«Mabel!«sagte er glücklich.»Kind, du bist da!«Er ließ sich von Mabel auf die Stirn küssen und nickte Dr. Bouth zu.»Ich danke Ihnen, mein Junge. Aber ich habe gehofft, euch anders empfangen zu können.«

«Sie hatten Pech, Herr Professor. «Dr. Bouth und Mabel setzten sich ans Bett und zogen die Stühle nah heran. Paerson wies auf die Papiere, die über und über mit Formeln und Zahlen bedeckt waren.

«Ein kleiner technischer Fehler, sonst nichts. Ich hätte es mir denken können. Wenn bei einer neuartigen Beschießung mit Neutronen größere Energien frei werden, bedeutet dies auch eine Verstärkung der Strahlung, selbst der Abfallprodukte. «Er sah seinen Assistenten an.»Doktor Bouth, wir haben einen neuen Weg gefunden. Ich habe Recht behalten: Es gibt ein Mittel, aus einem Plutonium-Atom durch Beschießung mit Neutronen in Verbindung mit neuartigen Bremsmitteln eine Kettenreaktion herbeizuführen, die bis zu 25 Prozent der in der Materie wohnenden Energie freiwerden läßt. Das heißt — «, Paerson schaute auf seine Berechnungen und tippte mit dem Zeigefinger auf eine Stelle,»daß wir in der Lage sein können, 1.300.000.000 Grad Celsius zu erzeugen, eine Menge, die wir zur Zeit im gesamten Weltall nicht feststellen können!«