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Kyrill wühlte in seinen Papieren. Er suchte nicht einen Zettel… er mußte wühlen, er mußte etwas tun, er mußte das leise Knistern hören, um nicht aufzuschreien.

Er hatte Angst.

«In einer Woche, Genosse Kommissar«, stotterte er.»Ich komme mit dem Flugzeug.«

Dr. v. Kubnitz brachte den Volkskommissar an den schweren Wagen, der ihn zurückfuhr zum nahegelegenen Flugplatz. Der Mann aus Moskau sah den Deutschen kritisch von der Seite an.

«Was halten Sie von dem Genossen Kyrill, Doktor? Tut er seine Pflicht?«

«Mehr als das. «v. Kubnitz steckte die Hände in die Tasche.»Wenn einer Paerson erreichen kann, ist es er.«

«Danke.«

Das Auto rollte an, verschwand hinter einer Fabrikmauer. Dr. v. Kubnitz ging langsam zurück zu dem Stollen, der in die Tiefe des Labors führte.

*

Tanarenia lag hinter einem Regenschleier. Die weißen Villen, glanzlos, ohne Sonne, sahen aus wie im Regen verirrte Sommerfrischler. Nur die langen Schornsteine qualmten, still wie immer, gleichgültig. Unter der Erde gab es keinen Regen. Dort brannte Uran.

Dr. Juan de Sebaio lag in einem Schaukelstuhl und rauchte eine Pfeife. Er las die neueste Zeitung, die ein

Kurier druckfeucht aus Madrid holte. Dr. Hans Ebberling saß am Radio und hörte ein Schubert-Quartett aus Deutschland.

Es roch nach starkem Bohnenkaffee und gutem Weinbrand.

Auf den langen Tischen lagen die Papiere durcheinander, so, wie man sie vorhin brauchte, hingeworfen. Unaufgeräumt. Ein wenig bohemehaft. Die Gardinen waren halb vor die großen Fenster gezogen. Man brauchte von draußen nicht zu sehen, wie gut es den Herren Physikern ging.

«Was halten Sie eigentlich von Paerson?«fragte Sebaio und unterbrach damit die Andacht Ebberlings. Der Deutsche zuckte mit den Schultern.

«Er hatte es endlich erreicht. Sie machen nur einen Fehler — sie reden zuviel. Wir wissen das ganze Problem schon seit einem halben Jahr und haben nicht einmal der Regierung die Pläne verraten. Wer so laut schreit, wird bald die Hunde auf sich gehetzt haben.«

Sebaio nickte. Er trank seine Tasse Kaffee und stopfte mit einem Bleistift den Tabak in seiner Pfeife nach.»Kezah ibn Menra hat man gefunden. Erschossen. Täter unbekannt. Glatter, sauberer Kopfschuß. Auf der Straße nach Vernal.«

«Ich habe es gelesen. «Dr. Ebberling drehte das Radio etwas lauter.»Armer Kerl. Er wird die Russen gejagt haben. Wenn man nur wüßte, wo sich Dr. Bouth und Mabel Paerson befinden. Ich glaube nicht, daß die Russen sie haben. Ibn Menra hätte sie sicher weggebracht.«

Sebaio räkelte sich in seinem Schaukelstuhl. Er ließ sich hin und her wippen.»General Monzalez hat angerufen. Er tobte.«

«Warum?«

Sebaio lachte.»Weil Paerson die neue Spaltung entdeckt hat. Er denkt, wir seien hinter dem Mond und wüßten das alles nicht.«

«Und was haben Sie gesagt? Haben Sie etwa verraten, daß wir schon seit Wochen daran arbeiten, Sie Unglücksmensch?!«

«Aber nein. >Ruhig Blut, Generale, habe ich gesagt. >Wenn Sie in vier Wochen mit General Franco und der Regierung hinauskommen nach Tomelloso und sehen einen Blitz, dann halten Sie sich den Hut bitte fest!< Da hat Monzalez ganz unchristlich geflucht und eingehängt. «Sebaio lachte laut.»Können Sie es bis nächsten Monat schaffen, Doktor Ebberling?«

«Sicher. Die neuen Mäntel liegen in Tresor V. Die Bremsvorrichtung wird nächste Woche zusammengesetzt. Wir werden nicht mehr als 100 Gramm Materie nehmen. Bei 500 Gramm fliegen in Madrid sonst die Ziegel vom Dach.«

«Sie Witzbold!«Sebaio schüttelte sich vor Lachen.»Madrid liegt dreihundert Kilometer von Tomelloso entfernt.«

Dr. Ebberling sah kurz zu Sebaio hin und schüttelte den Kopf.

«Es gibt keine Entfernungen mehr. Der neue Stern aus der Retorte überbrückt das Weltall.«

Die Klänge des Quartetts waren das einzige, was im Raume stand. Sebaio kroch in sich zusammen. Er war plötzlich ernst. Er sah zu Dr. Ebberling hinüber und zog erregt an seiner Pfeife.

Es gibt keine Entfernungen mehr, grübelte er. Er hat einen neuen Stern geschaffen, der Deutsche. Er ist ein Genie. Spanien wird unbesiegbar sein.

Südwestlich vom Emmons Peak, in den Uinta Mountains, liegt eine kleine Holzhütte, eines der typischen Blockhäuser, wie sie seit der Kolonisierung Amerikas an unzähligen Stellen gebaut wurden und heute als Jagdhütten und Rastplätze für Fellhändler oder Wanderer dienen. Sie bestehen aus einem großen Raum, einer offenen Feuerstelle, einem Strohlager in einer Ecke, roh gezimmerten Tischen und Bänken und zeigen keinen anderen Komfort als die Beruhigung, bei Regen trocken zu sitzen — falls das Balkendach noch dicht ist.

Diese Hütten liegen abseits jeder Straße. Sie bilden die Oasen in der Steinwüste der Rocky Mountains, die >Hotels< der Bummler und Abenteuerlustigen, die dem Grisly nachspüren oder romantische Erlebnisse suchen.

In einer dieser Blockhütten lag Dr. Bouth auf dem Stroh, zugedeckt mit den beiden Decken. Er lag da mit geschlossenen Augen und um sich schlagenden Händen, mit heißer Stirn und zuckendem Körper. Wenn er die Lider hob, war sein Blick glasig, ohne Erkennen. Seit zwei Tagen lag er auf dem dumpfen, faulenden Stroh und kämpfte mit dem Wundfieber. Bis zu dieser Hütte hatte er sich geschleppt, dann war er Mabel vor die Füße gefallen und verlor die Besinnung. Mabel hatte ihn in die Hütte geschleift, neu verbunden und saß nun ratlos an dem Tisch. Was sie tun konnte, hatte sie getan… sie hatte ihn gewaschen, hatte die Wunde mit Puder und Salbe behandelt… nun wartete sie.

Auf was, wußte sie nicht.

Auf das Ende? Auf ein Wunder? Auf einen Wanderer, der vorüberkam und sie aus der Einsamkeit rettete?

Sie war hilflos in dieser Stunde, wo Hilfe am dringendsten war. Sie konnte nichts tun als neben ihm sitzen, seinen Kopf stützen, wenn er fieberte, den kalten Schweiß von seiner Stirn und seinem Körper waschen und die brennende Wunde neu verbinden.

Wenn er schlief, ging sie hinaus in den Wald, kletterte auf einen der hohen Bäume und wollte sehen, ob nicht in der Nähe die Zeichen anderer Menschen zu sehen seien. Aber wo sie hinblickte, waren Felsen, Wälder und Unendlichkeit. Kein Rauch aus dem Schornstein einer Hütte, kein zwischen den Bäumen leuchtendes Dach, kein Mensch, der auf einem Berg stand und wie sie über die Gegend schaute. Nichts.

In naher Umgebung hörte sie ein leises Rauschen. Das mußte ein Fluß sein. Vielleicht einer der Flüsse, die den See bei Myton speisen. Dort müssen Angler sein, dachte sie. Dort kann ich ein Boot treffen. Aber wie bekomme ich Ralf durch den Wald? Ich kann ihn doch nicht tragen, ich bin doch viel zu schwach dazu. Und die Russen sind auch in den Wäldern… ich kann doch nicht schießen, wenn sie mich sehen. Ich kann doch keinen Menschen töten… Ich habe doch noch nie einen Revolver in der Hand gehabt.

Sie stieg wieder von dem Baum herab und ging zur Hütte zurück.

Ralf fantasierte. Er stammelte. Er riß die Arme weit in der Luft herum. Einmal schrie er auf und klammerte sich an die ihn stützende Mabel.

Und wieder wischte sie den Schweiß von seinem Körper, verband die brandige Wunde neu, kühlte sie mit Salbe, träufelte ihm Wasser zwischen die rauhen Lippen und saß dann neben ihm, ohnmächtig, ihm weiter zu helfen, erschöpft in den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.

In diesen Nächten betete sie. Still, in sich hinein, in einer innerlichen Zwiesprache mit dem einzigen, der noch helfen konnte. Sie saß in der Ecke am offenen Feuer und starrte in die Flammen. Die Wärme strahlte über ihren schmal werdenden Körper. Aber sie fror.

Zwei Tage und zwei Nächte.

Drei Tage… vier Tage… fünf Tage…

Am sechsten Tag waren die Vorräte des Rucksackes aufgebraucht. Sie durchstreifte den Wald und schoß mit dem Revolver nach Vögeln. Bei ihrem ersten Schuß schloß sie die Augen. Und sie atmete auf, als der große Vogel — sie kannte nicht, zu welcher Sorte er gehörte — davonflog, und die Kugel durch die Zweige der Bäume pfiff. Doch dann zielte sie, dann drückte sie ab und rannte in die Gebüsche, den zerfetzten Vogelkörper aufzuheben. Sie rupfte ihn aus und briet das wenige Fleisch über dem Feuer oder legte es in die heiße Asche. Ohne Salz schlang sie es dann herunter, mit würgendem Schlucken. Das erstemal erbrach sie sich draußen vor der Hütte, aber am siebenten Tage aß sie es, weil sie Hunger hatte. Sie klopfte mit Steinen den Deckel des Medizinkastens hohl wie einen Topf und kochte in diesem Leichtmetallgefäß aus geschossenen Vögeln eine Bouillon, die sie Ralf langsam, geduldig, in stundenlangem Mühen zwischen die Lippen träufelte.