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Er darf nicht sterben, dachte sie. Er muß weiterleben. Alles will ich tun, alles… Ich gehöre zu ihm auf Leben und Tod.

Am Abend des siebenten Tages ließ das Fieber etwas nach. Dr. Bouth schlief ruhig und fest, ohne zu fantasieren. In seinen Adern klopfte das heiße Blut… aber sein Körper lag still, er verkrampfte sich nicht mehr. Der Atem war rasselnd, aber gleichmäßig.

Leise erhob sich Mabel und steckte die beiden Revolver zu sich. Am Morgen hatte sie auf einem Tierpfad die Spuren von Wild gesehen. Wenn ich ein Reh schieße, können wir über zwei Wochen leben, freute sie sich. Wenn ich es schieße…

Sie deckte Ralf gut zu und verließ die Hütte. Die Dämmerung kroch über den Emmons Peak. Es hatte geregnet, die Erde roch faulig und war weich.

Sie ging vielleicht eine Viertelstunde, als sie hinter einem Waldstreifen Wasser blinken sah. Ein Fluß mit starken Stromschnellen wand sich durch ein Felsental und schoß mit großer Strömung weiter durch den Wald, aus dem er sich sein Bett gerissen hatte. Es war eine einsame, wilde Gegend, die selten ein Mensch betreten hatte. Ein Paradies für den Lachsfischer, aber eine Hölle für den Einsamen, der Menschen sucht in seiner Not.

Sie wollte die Kleider abwerfen, um sich nach langer Zeit wieder im strömenden Wasser zu baden, den Schmutz der Einsamkeit abwerfen, als es hinter ihr knackte. Sie wich zurück und nahm einen der Revolver in die Hand. Wenn es ein Reh ist, oh, wenn es doch ein Reh ist! Sie drückte sich gegen einen Baumstamm und wartete.

Aus den Büschen trat eine Gestalt.

Ein Mensch! Ein Mann! Er sah abgerissen aus in der fahlen Abenddämmerung — aber er wußte den Weg zurück… er konnte helfen. Sie würden Ralf tragen, sie würden ihn retten können.

Mabel wollte vortreten aus dem Schatten des sie schützenden Baumes, als sich der Mann umdrehte. Die Strahlen der untergehenden Sonne glitten über sein breites, mit schwarzem Bart umwachsenes Gesicht.

Gregoronow.

Ihr Entsetzen war so groß, daß sie zurück an den Baum prallte. Sie wollte schreien, aber der Ton blieb wie gefroren in der Kehle.

Wassilij Gregoronow hatte den Laut hinter sich gehört. Er schnellte herum, tierhaft, leise, von unheimlicher Geschmeidigkeit

Seine Augen wurden groß. Er starrte in den Lauf eines Revolvers, den eine schmale, blasse Hand hielt. Dahinter war ein wilder blonder Lockenkopf und die Gestalt eines schmalen Mädchens.

«Miß Paerson!«sagte Gregoronow leise.

«Ja! Rühren Sie sich nicht!«Mabels Stimme war belegt. Was soll ich tun, wenn er auf mich zustürzt? Soll ich wirklich schießen… soll ich einen Menschen umbringen? Man wird sagen, es war Notwehr… aber ich könnte es nie vergessen… nie…

Gregoronow wich zurück. Jetzt stand er unmittelbar am Ufer des reißenden Flusses. Seine Augen waren klein, zusammengekniffen.

«Zanewskij hat sich erschossen — Ihretwegen! Weil Sie uns entkommen sind! Ich habe Sie gesucht… ich habe den Wagen gefunden mit dem toten Fahrer. Ich wußte, daß ihr hier in der Nähe seid. Und ich lasse euch nicht wieder laufen! Ich will nicht auch noch von Moskau liquidiert werden! Ich will weiterleben, und wenn es sein muß, indem ich euch umlege.«

Er blickte auf den Revolver Mabel Paersons und dachte an seine Waffe, die er in der hinteren Hosentasche trug.

«Dr. Bouth ist verwundet?«fragte er, um Zeit zu gewinnen.

«Ja. Er liegt im Sterben.«

«Um so besser. «Gregoronow sah sie lauernd an. In die Tasche greifen und so tun, als wolle man ein Taschentuch herausholen, durchfuhr es ihn. Dann den Revolver heraus.

Sie wird nicht schießen. Eine Frau kann das nicht.

Er schneuzte sich und griff in die Tasche. Mabel verfolgte seine Hände und sah, daß seine Finger nicht in die Tasche, sondern nach hinten griffen.

Er nimmt seinen Revolver, durchfuhr es sie. Er wird mich gleich überwältigt haben, mich und Ralf. Und wir werden wieder herumgeschleppt, man wird uns weiter erpressen… man wird uns töten.

«Nehmen Sie die Hände hoch!«schrie sie voll Verzweiflung.

Gregoronow duckte sich. Blitzschnell fuhr seine Hand in die Hosentasche. Er riß an dem Griff des Revolvers, aber an einer schadhaften Futterstelle saß der Lauf fest. Er riß, er fluchte — es ging um Sekunden.

Mabel Paerson stand steif und wie erstarrt am Ufer. Sie hatte den Arm mit dem Revolver weit von sich gestreckt.»Tun Sie es nicht!«schrie sie plötzlich.»Ich bitte Sie, tun Sie es nicht!«

Ich bin verloren, durchjagte es sie. Ich kann nicht schießen, ich kann auf keinen Menschen schießen. Ralf, vergib mir… alles, alles habe ich für dich getan… aber das, das kann ich nicht…

Gregoronow hatte den Lauf frei und riß den Revolver aus der Tasche. In diesem Augenblick, in dem Moment des Herausreißens, sah Mabel zu ihrem grenzenlosen Erstaunen, wie ein Strahl aus dem Lauf ihres Revolvers fuhr. Sie hörte einen Knall, sie sah mit weit aufgerissenen Augen, wie Gregoronow seine Waffe fallen ließ, wie er sich an die Brust griff, wie er sich um sich drehte und stumm in den Fluß fiel. Die Strömung erfaßte ihn, drehte ihn in einem rasenden Wirbel und riß ihn dann mit sich weg in die Schnellen hinein, wo er im gurgelnden Schaum verschwand.

Fassungslos stand Mabel am Ufer. Langsam zog sie den Arm zurück und betrachtete ihren Zeigefinger. Er war umgebogen, — krumm lag er am Abzugsbügel des Revolvers.

Sie hatte geschossen… sie hatte einen Menschen erschossen. Ihr Finger… der kleine Zeigefinger hatte ein Leben ausgelöscht.

Entsetzt ließ sie den Revolver fallen.»Nein!«schrie sie auf.»Nein! Ich wollte es nicht! Mein Gott, glaube es mir — ich wollte es nicht! Ich wollte nicht töten… Ich weiß doch gar nicht, daß ich schoß… ich weiß doch von nichts… Nein… nein…«

Sie rannte durch den Wald zurück, als hetzte man sie. Die Zweige schlugen ihr blutige Striemen ins Gesicht… sie kannte keine Rast, keinen Umweg… sie rannte blind durch den Wald, immer das Bild vor Augen… Er fällt… er greift an die Brust… er stürzt in die Strömung…

Ein Mensch…

Atemlos, aufgelöst fiel sie in die Hütte neben Dr. Bouth auf das Stroh. Er schlief mit dem ruhigen Atem eines Genesenden. Schluchzend kroch sie an ihn und verbarg ihr Gesicht, in dem noch immer das Grauen stand, an seiner Brust. Sie deckte die Decken über ihren Kopf, um nichts mehr zu sehen und zu hören. Sie fühlte die Wärme seines Körpers wie tröstend zu ihr gleiten und schloß die Augen.

Erschöpft schlief sie ein, mit dem Gesicht auf Ralfs Brust.

Aber noch im Hinüberdämmern rauschte es durch ihren Körper.

Frei… endlich frei…

Kann Gott verzeihen…?

Die Sonne schien durch das blinde Fenster, als Mabel

Paerson erwachte.

Ralf schlief noch. Aber seine Haut war irgendwie glatter, weniger schweißig, sondern ein bißchen getönt. Das Rasseln des Atems hatte nachgelassen.

Mabel Paerson erhob sich leise und wusch sich draußen in der Tonne, die das Regenwasser sammelte. Dann kochte sie aus zu harten Würfeln gepreßten Blättern in dem Topf aus dem Kastendeckel mit Regenwasser einen Tee und schlürfte ihn.