Sie ritten ein Stück zurück und kletterten mit den Pferden über Geröll und dicke Steine, bis sie den Pfad erreichten, der anscheinend auf halber Höhe rund um den Berg lief.»Ein alter Indianerweg«, nickte der alte Viehhüter.»Diese Pfade führen in die einsamsten
Gegenden.«
Es dauerte eine Stunde, bis sie den Hohlweg erreichten. Die Fallgrube war noch offen, so, wie sie Mabel verlassen hatte.
«Wir sind auf dem richtigen Weg… wir werden Ralf finden!«jubelte sie und trieb ihr Pferd an. Man kam jetzt schneller vorwärts, weil sich der Hohlweg verbreiterte und auf ein Hochplateau zuführte.
Plötzlich, am Ausgang des Weges, hielt der erste Reiter an und löschte seine Stablampe. Einen Augenblick war tiefste Finsternis um sie.
«Da!«sagte der Viehhüter.»Da… am Himmel…«Er zeigte mit ausgestrecktem Arm geradeaus.
In das Schwarz der Nacht mischte sich fern ein fahler, rötlicher Schimmer. Ein kleiner Fleck nur, aber er fiel auf in der mondlosen Nacht.
«Das ist Feuer«, sagte der Alte leise.
«Ralf!«Mabel klammerte sich am Sattelknopf fest. Sie fühlte, wie die Kräfte sie wieder verließen, wie sie jeden Augenblick zu Boden gleiten würde.»Er lebt!«
«Voran!«Die Reiter spornten die Pferde an und jagten über das glatte Hochplateau. Der Strahl der Stablampe zitterte ihnen wieder voraus.
Es war ein beschwerliches Reiten durch den Wald, den kein Weg durchzog. Man ritt durch Lücken und kletterte über vermorschte, umgestürzte Stämme. Plötzlich standen sie vor einer Wiese, die zu einer Felsenkanzel allmählich emporstieg. Oben, auf der Kanzel, loderte ein riesiger Reisig- und Holzhaufen und erhellte die Umgebung mit seinem rötlichen, zuckenden Licht.
«Ralf!«schrie Mabel. Die Freude, das Glück, ihn gerettet zu sehen, alle Liebe ihres Lebens lagen in diesem
Aufschrei. Sie wußte nicht, wie sie die Wiese emporgeritten war — sie glitt aus dem Sattel und warf sich über das Bündel, das in Decken gehüllt unweit des Hitze ausstrahlenden Holzstoßes lag.
Dr. Bouth war besinnungslos. Er lag ruhig, als schlafe er, in seine Decken gewickelt. Nur die Augen, die halb geöffnet und leblos waren, zeigten, daß er seit dem Anstecken des Feuers, bei dem er sich aufgerichtet haben mußte, ohne Besinnung war. Vielleicht war er sogar herumgelaufen, hatte versucht, zu gehen. Der Blechdeckel mit Wasser neben ihm war leer.
«Ralf«, sagte Mabel und küßte die aufgesprungenen Lippen.»Ralf, nun ist alles gut. Jetzt trennt uns keiner mehr. Jetzt haben wir unser Leben zum zweitenmal gewonnen… Ralf… o Ralf…«
Die Viehhüter standen um sie herum und hatten die Hüte abgenommen. Sie sahen den blassen Mann, über dessen verzerrtes Gesicht der Schein des Feuers zuckte, und sie blickten sich an, stumm und verschlossen. Zu spät, dachten sie. Er ist nicht mehr zu retten.
Der Alte beugte sich zu Mabel nieder und berührte ihre Schulter.
«Miß Paerson«, sagte er leise.»Kommen Sie. Wir werden ihn auf ein Pferd binden. Jack wird ihn halten. «Er schluckte und strich sich über seinen Schnurrbart.»Ich glaube, wir haben keine Minute zu verlieren… wenn… wenn… «
Er wandte sich ab und winkte den anderen.
Dr. Bouth wurde in seinen Decken auf ein Pferd gehoben.
Knisternd brannte das Feuer — die Feuerlohe rauschte gegen den schwarzen Himmel.
Der Wein funkelte in den Gläsern.
Prof. Dr. Shuster saß in einem der Sessel von Paersons Salon und sah den Rauchkringeln nach, die er kunstvoll aus seiner Zigarre blies. Prof. Paerson stand mit dem Rücken an das Radio gelehnt und hatte beide Hände in die Taschen seines Sommerjacketts gesteckt. Er rauchte nicht.
Hinter ihm, über dem Kamin, hing eine Wandtafel mit der schematisch bunten Darstellung der Elemente und, auf Leinen aufgezogen, eine Zeichnung der ersten Atombombe der Welt, die an einem Stahlmast in der Wüste von New Mexico 1945 explodierte.
Prof. Dr. Paerson sah seinen Freund an. Ihr Gespräch war in den Problemen ihres Lebens festgelaufen… es gab anscheinend keine Lösung aus dem Labyrinth der Thesen und Gegenthesen, aus jenem Irrgarten der Gedanken, den Nietzsche einmal das Paradies des Wahnsinns nannte. Man hatte sich festgebissen an idealen Phrasen und nüchternen, eisklaren Beweisen, an religiösen Dogmen und freidenkerischer Kosmopolitik. Und doch ging es in allen Gedanken nur um eins, um jenes Etwas, das im Mittelpunkt unserer Erde steht und das Jahrtausende seine Unzulänglichkeit bewiesen hatte.
Der Mensch.
Prof. Dr. Shuster legte seine Zigarre in einen marmornen schwarzen Aschenbecher, dessen weiße Adern schon ein wenig gelb geworden waren. Er war ein Veteran, dieser Aschenbecher… er war eines der ersten privaten Stücke, die nach Los Alamos kamen, als man diese Stadt aus der Erde der Canons stampfte.
«Du kannst dich drehen«, sagte Prof. Shuster langsam und sah Paerson in die bebrillten Augen.»Wo du
hinsiehst, erblickst du die Welt.«
«Und sie ist in Gefahr, Henry.«
«Durch dich, willst du sagen.«
«Ja. Ich hätte der Menschheit nicht zeigen sollen, was sie vermag. Ich habe gesündigt in dem Augenblick, indem ich zeigte, daß der menschliche Geist größer ist als die Kraft der Natur. Eine Wahrheit, die alle Philosophie von Jahrtausenden ins Gesicht schlägt, die Kant, Schopenhauer, Descartes, Nietzsche, Leibnitz, Huxley der Lüge bezichtigt. >Die Grenze des Menschenc, so sagte einmal Rousseau, >ist der Himmel.< Habe ich aus ihm nicht einen lächerlichen Gaukler gemacht? Was ist denn der Himmel? Ich kann ihn mit einer Kettenreaktion von Wasserstoffatom-Spaltungen in eine einzige Flamme verwandeln! Der Mensch hat die Natur, die Kräfte des Universums, für sich gewonnen! Nur in einem Punkte werden alle Philosophen recht behalten: Wir werden zugrunde gehen an unserer eigenen Größe. Das Gesetz der Evolution zeichnet sich grauenhaft wahr ab… der Mensch steht an der Grenze seiner Möglichkeit, seinen eigenen Geist noch zu halten. «Paerson trat einen Schritt vor in den Raum. »Ich stehe an dieser Grenze, Henry.«
Prof. Dr. Shuster zog erregt an seiner Zigarre. Er war unfähig, darauf zu antworten. Er hat recht, dachte er bloß. Er allein kann ja überblicken, was seine Entdeckung bedeutet. Er allein sieht ja die Auswirkungen und kennt die Gefahren. Aber warum hat er es entdeckt. Warum hat er Tag um Tag und oft auch Nacht um Nacht in den Labors und vor den Cyclotronen gehockt… Dreizehn Jahre lang… um dieses Wunder des Alls den Menschen in die Hand zu geben? Er wußte doch, daß es der Untergang ist… oder ahnte er selbst nicht, was er erschaffen würde?
«Du hast dich überschätzt«, sagte er leise.»Auch du bist nur ein schwacher Mensch, William.«
«Ja, das bin ich. Aber man verlangt von mir, daß ich ein Übermensch sein soll! Ein Nietzschescher Zarathustra!«
«Wer verlangt das, William?«
«General McKinney. Die Regierung! Der Präsident! Man will aus meinen dienstbar gemachten kosmischen Kräften eine Hyperbombe machen.«
«Das wäre der Untergang!«Shuster sprang auf.»Das läßt du nicht zu, William! Das wäre Mord!«
Prof. Paerson lächelte schwach.»Deine Erregung in Ehren, Henry. Aber wie würdest du handeln?«
«Ich würde McKinney, wenn er mit einem solchen Anerbieten zu mir kommt, einfach hinauswerfen!«schrie er.
«Das habe ich getan! Aber er droht mir. Man wird mich zwingen wollen, die Pläne zu realisieren.«
«Niemand kann gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln.«
«So steht es so nett in den Präambeln der Staatsverfassungen. Aber einen Paragraph weiter heißt es: Er kann doch gezwungen werden, wenn es das Staatsinteresse fordert! Alles auf der Welt, Henry, was man uns verspricht, was man uns zugesteht, ist aus Gummi und dehnbar nach zwei Seiten. Das Gesetz ist eine Dirne, die sich in jedes Bett legt, wenn es ihr sauber genug erscheint. «Paerson ging zu einem Schrank in der Ecke und holte aus der Tiefe einen Kasten hervor. Er mußte schwer sein, denn Paerson keuchte, als er ihn heranbrachte und auf den Tisch stellte.