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Es war ein kleiner, kaum zwanzig Zentimeter an jeder Seite messender Würfel. Grau, unansehnlich, mit einem dicken Deckel.

Prof. Shuster sah kritisch auf den schweren Kasten.

«Ein Bleiwürfel?«stellte er erstaunt fest.

«Ja. Ein Kasten aus fast massivem Blei. In der Mitte des Kastens befinden sich 6 Gramm reines Plutonium. Aber noch etwas anderes ist darin, etwas, was keiner weiß außer mir und jetzt dir, Henry. Diese 6 Gramm reines Plutonium habe ich veredelt. Ich habe es gekoppelt mit einem Element, das ich dir nicht nennen will. Diese 6 Gramm kann ich durch eine Doppel spaltung mit 32 1/2 Prozent und 5/1000 seiner Materie in Energie umwandeln. Das ist eine Spaltung, wie sie Einstein nicht träumen würde. «Paerson stützte sich auf den Bleiklotz und sah Prof. Shuster groß an.»Diese 6 Gramm genügen, unsere Erde in einen feuerflüssigen Zustand zurückzuversetzen.«

«William!«Shuster fuhr aus seinem Sessel empor und wich vor dem Bleikasten entsetzt zurück.»Und das bewahrst du in deinem Bücherschrank auf?«

«Sollte ich es im Labor tun, wo ein dummer Griff genügt, uns wegzufegen? Bei mir ist es sicher… sicher für alle Teile, Henry.«

«Du willst diese Entdeckung nicht bekanntgeben?«

«Nein.«

«William…«Prof. Shuster atmete auf. In seiner Stimme lag ungewohnte Wärme und eine tiefe Erschütterung.»Ich danke dir.«

«Weil ich mich selbst verrate?«

«Weil du dich selbst rettest, William!«

Als Prof. Dr. Shuster das Haus verließ, brachte ihn Paerson bis an die äußere Tür. Er drückte ihm fest die Hand, als müsse es ein langer Abschied sein. Dr. Shuster ahnte das Furchtbare, doch er schwieg. Er war unfähig einzugreifen. Er umarmte Paerson nur und drückte ihn an sich.

«William«, sagte er stockend.»Du warst mir der beste und einzige Freund.«

Paerson nickte. Er stand auf der Treppe, als sich Shuster von ihm losgerissen hatte und mit schnellen Schritten, fast rennend, über das Hochplateau seinem Haus zueilte. Er sah ihm nach, bis er aus dem Lichtkreis der Treppenlampe trat und in der Nacht unterging.

Ruhig wandte er sich dann ab und ging zurück ins Haus. Er schloß die Türen ab und setzte sich in seinem Arbeitszimmer an den Tisch, vor den kleinen, grauen Block aus Blei.

So saß er über eine Stunde. Allein, stumm, vor sich hinbrütend. Ab und zu ergriff er das Weinglas und trank einen kleinen, schnellen Schluck, als brenne ihm die Kehle.

Als das Telefon schellte, nahm er ohne Hast den Hörer ab und lauschte. Ein Ferngespräch aus Evanstone. Man hatte Mabel und Dr. Bouth gefunden. Auf einer Farm am Bear River lägen sie jetzt — zwei Ärzte seien unterwegs. Dr. Bouth sei schwer verwundet, aber nicht hoffnungslos. Miß Paerson sei bis auf die große Erschöpfung gesund.

Prof. Dr. Paerson hörte es an, ohne daß sein Gesicht von heller Freude erleuchtet wurde. Nur ein Glücksstrom durchflutete ihn.

«Danke«, sagte er bloß und hängte ein.

Mabel war frei. Dr. Bouth gerettet. Das Leben kann weitergehen — nur das Werk des Hasses ist geschaffen und verlangt sein Recht.

Das Recht der Zerstörung.

Mabel lebt. Und sie soll weiterleben. Ruhig, ohne Angst. Alle Menschen sollen weiterleben, die Kinder sollen weiterspielen, die Mütter weiter ihre Kinder säugen, die Väter weiter für das Leben sorgen… alles soll so sein wie immer, wie in Tausenden von Jahren… der große Rhythmus des Lebens, der ewige Gesang der Natur… die Sonne soll sein und der Mond und der Nachthimmel voller Sterne… Die Sterne sollen weiterleuchten, bis Gott und nicht der Mensch sie auslöscht.

Prof. Paerson erhob sich und holte Papier. Mit seinen steilen Schriftzügen schrieb er einen Brief, und während des Schreibens versank er ganz in sich und fühlte die große Kraft, die zum letztenmal seinen Körper durchrann.

Dann war der Brief vollendet, ein kurzer Brief, viel zu kurz für das, was er aufzugeben gewillt war. Er trank seinen Wein und überlas dabei seine Zeilen. Ruhig ging der Blick über seine Schrift:

«Meine Lieben!

Ihr kehrt ins Leben zurück, zwei junge Menschen, die noch eine Welt zu erobern haben. Ich kehre auch zurück, aber meine Rückkehr ist ein Weg zu dem, aus dem wir wurden: aus Staub.

Es bleibt mir kein anderer Weg. Wohin ich blicke, ist der Weg von Flammen eingeschlossen, die ich selbst auf meine Straße streute. Nur dieser eine Pfad, der ins Dunkle führt, ist frei, und ich bin froh, daß Gott mir diese Gnade gibt, mich selbst voll zu erkennen, mir, dem Menschen, der ihn versuchte und mit dem Geist, den er ihm schenkte, ihn entthronen wollte.

Mabel, Du wirst mich verstehen, denn ich erinnere mich an Deine Worte bei Deiner Ankunft in Los Alamos. >War die Welt nicht schön genug, bevor ihr zu forschen anfingt?< sagtest Du. Wie gut ich sie behalten habe, Deine

Worte. >Damals war die Sonne noch eine Sonne!< Das hast Du schön gesagt, Mabel. Lerne diese Sonne lieben, werde glücklich mit Ralf — nicht wahr, mein Junge, Du willst sie glücklich machen? — Lehr Deinen Kindern, das Leben, die Menschen und die Natur Gottes zu lieben und freue Dich, ohne an mich zu denken.

Ich habe Euch nur dies zu sagen: Seid glücklich, glücklich, glücklich. Ich schwöre Euch vor unserem Gott: Die Sonne und die Sterne sollen weiterleuchten. Ich küsse Euch — und weint nicht, sondern lebt.

Euer Vater.«

Er legte das Blatt hin und trank ruhig seinen Wein aus. Dann verschloß er den Brief in ein großes Kuvert und schrieb darauf: Mabel und Dr. Bouth. Dieses Kuvert legte er auf den Tisch.

Er zog seinen Mantel an, nahm den kleinen Bleiblock und verließ langsam das Haus. Er drehte das Treppenlicht aus, verschloß die Tür von außen sorgsam und stieg in seinen Wagen.

Mit abgeblendeten Lichtern fuhr er in den Canon, über die einzige Straße, die Los Alamos mit der Außenwelt verband, und wandte sich einem anderen Tal zu, das nördlich der großen Atomwerke quer in die Felsen geschnitten war und noch in der Einsamkeit und Unberührtheit träumte wie die Canons weit im Umkreis des Colorado.

Hier, abseits gelegen der Cyclotrone und Hanford-Brenner, der großen Labors und Industriewerke, stand ein kleines Versuchslabor, das sich Prof. Dr. Paerson vor einigen Jahren errichten ließ, um in aller Ruhe und unbeobachtet seinen Forschungen nachgehen zu können. Ein kleiner Cyclotron stand in dem Labor, ein

Miniaturbrenner und Spalter, ein kleines Elektronenmikroskop und überhaupt in winzigen Ausmaßen alles, was draußen in den Los Alamos-Bergen ins Riesenhafte übersteigert war.

Mit ruhiger Hand schloß Prof. Dr. Paerson. die rostig in den Angeln knarrende Tür auf und hängte seinen Hut an die verstaubte Garderobe. Dann betrat er den Raum und sah sich um.

Alles lag noch so, wie er es vor Jahren verlassen hatte. Sogar die Uranblendenprobe lag noch unter Glas, das erste Uran, das er 1939 behandelt hatte.

1939. Wie lange ist das her? Dreizehn Jahre… und in diesen dreizehn Jahren war er der einsamste unter allen Menschen geworden, weil er die Grenze des Menschlichen hinter sich ließ.

Er ging die Tische entlang und zog mit dem Zeigefinger spielerisch tiefe Rillen in den Staub. An der elektrischen Kontrolluhr drückte er einen Relaishebel herunter und sah, daß der Strom noch nicht unterbrochen war und die Leitung arbeitete. An der Schalttafel des kleinen Cyclotrons hingen dichte Spinnweben… er ließ sie hängen und sah durch ein dickes Quarzauge in das Innere des Brenners. Die Graphitblöcke lagen noch darin, die ersten Versuchsblöcke von Los Alamos.

Etwas wie eine tiefe Wehmut ergriff ihn. Er setzte sich auf den staubigen Stuhl und sah sich in Gedanken dreizehn Jahre zurückversetzt. Dr. Fermi, Dr. Wheeler und Prof. Oppenheimer standen damals hinter ihm und beobachteten die ersten kleinen ElektronenvoltSpannungen, die im Oszilloskop emporschnellten. Damals war man glücklich, fiel sich um den Hals… und heute?