Er ging an die Seite, wo man zwischen die Magneten des Cyclotrons die Vakuumröhre einschieben konnte. Er zog sie heraus und untersuchte sie. Das Metall war noch gut, es konnte halten.
Langsam ging er durch den Raum zurück zu seinem Wagen und schleppte den kleinen Bleiklotz herein. Er stellte ihn auf den Tisch und lief zurück. Mit einem Stapel Akten voll Aufzeichnungen, Berechnungen und Konstruktionszeichnungen im Arm kehrte er zurück und legte sie neben den Cyclotron auf eine Bank. Dann trug er den Bleikasten hinter ein dickes Bleischild, streifte sich dicke Gummihandschuhe über die Hände und öffnete mit einem Metallgreifer den Deckel. Aus der Mitte nahm er eine winzige Masse Metall, steckte sie in eine Bleikapsel und trug diese zu der Vakuumröhre des Cyclotrons.
Es waren Handgriffe, die er in den Jahren schon mechanisch ausführte, die zu seinem Lebensrhythmus gehörten wie Essen und Schlafen. Es war eine Arbeit, die er mit geschlossenen Augen verrichten konnte… das Füllen eines Cyclotrons.
Dann saß er vor dem Oszilloskop und wartete. Er schaltete den Strom ein, die Hochspannungsquelle begann zu surren, die Uhren zu beiden Seiten der Maschine begannen mit den Zeigern zu pendeln.
Zwischen den Magneten rasten die Atomkerne durch das elektrische Feld. Das Atomthermometer kletterte langsam hoch. 500.000… 1.000.000… 7.000.000 Volt! Prof. Dr. Paerson sah auf seine Armbanduhr. Sie zeigte 23.32 Uhr nachts.
Er drosselte den Strom etwas und packte die Akten, die neben ihm lagen, vor sich an den Fuß des Cyclotrons. Seine ganze Lebensarbeit lag vor ihm… die einzigen schriftlichen Aufzeichnungen über seine neue Spaltung, die es gab, waren nicht höher als zehn Zentimeter.
Zehn Zentimeter Papier… In ihnen ruhten dreizehn Jahre
Forscherarbeit. Nur zehn Zentimeter… nicht höher war der Untergang der Welt, wenn man ihn berechnen wollte.
Die Hochspannungsquelle summte. Das Oszilloskop zitterte bei 10.000.000 Volt. Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit, mit einem rasenden Lauf von 10 Milliarden Umdrehungen in der Sekunde, jagten die Atome zwischen den beiden Magneten herum.
Mit ruhigem Gesicht saß Prof. Dr. Paerson auf seinem Stuhl. Er hatte die Hände gefaltet und betete. Still, mit stummen Lippen. Seine Augen waren geschlossen… wie ein großer Friede durchzog es seine blassen, eingefallenen Züge.
Sein Gebet dauerte nicht lange. Er hatte wenig zu sagen in diesen Minuten, da er endgültig die Grenze überschritt. Er war mit sich und seinen Kindern klargeworden… er war auch klar mit seinem Gott, den er herausgefordert hatte und der stärker war als er.
Er beugte sich vor. Seine Hand ergriff einen Hebel, der den vollsten Strom durch das Kraftfeld jagte und der die rasenden Atome, die Energie der Masse, freigab.
Die Finger krampften sich um den kleinen Metallstab. Dann senkte sich der Arm.
In Los Alamos, in allen Canons, selbst in Santa Fe fuhr man aus den Betten, rannte man aus den Werken auf die Straße, quollen die Arbeiter und Techniker aus den unterirdischen Anlagen, als eine riesenhafte Explosion die Luft erschütterte und die Erde wie ein Schiff auf hoher See erbeben ließ. Eine ungeheure Feuersäule schoß zwischen den Felsen hervor in den Nachthimmel, ein langer Strahl weißen Qualms stieß in das Dunkel und verbreiterte sich oben zu einem weiten Pilz.
Dr. Fermi, der vor seinem Haus stand, schrie auf.
«Eine Atomexplosion!«brüllte er.»Alarm! Alarm!«
Die Sirenen heulten auf. Das Militär jagte durch die Canons, die Straße wurde gesperrt… der Sonderbefehl vier wurde ausgegeben — Los Alamos in Gefahr!
Zehntausend Menschen rannten durch die Felsen und suchten Schutz: in den vorbereiteten Betonkammern unter der Erde. Prof. Dr. Oppenheimer lief mit wehendem weißen Haar durch die Werke und suchte Professor Dr. Paerson. Dr. Fermi und Dr. Bolz leiteten die Fluchtmaßnahmen.
Sabotage… geisterte es durch die Atomstadt. Spione! Die Russen! Sie haben mit Atombomben zu sprengen versucht!
Von Santa Fe kamen die Spezialtrupps. In Washington riß der Fernsprecher die Regierung aus den Betten. McKinney stand mit wirren Haaren und leichenblaß in seinem Haus am Apparat und berichtete von der Explosion. Militär und Polizei riegelten das gesamte Gebiet ab. Mit Geigerzählern tasteten sie die Räume nach radioaktiven Strahlen ab, Männer in Schutzanzügen streiften durch die Schluchten.
Die Geigerzähler schwiegen.
«Das Versuchslabor war es!«rief Dr. Fermi, der durch die Felsen irrte.»Ich habe Paerson vorhin dorthin fahren sehen! Mein Gott, wenn Paerson…«
Und dann stand man still. Die Felsen waren zerstört, wo das Labor gestanden hatte, war ein riesiger Trichter… sonst nichts. Kein Auto mehr, kein Haus, nicht das geringste Zeichen, daß hier ein Mensch gestanden hatte.
Die Natur war in den Urzustand zurückversetzt.
Dr. Fermi sah McKinney, Prof. Oppenheimer und Prof. Shuster an, die neben ihm an der Stelle des Unglücks standen.
«Paerson«, sagte Shuster leise.»Wer hätte das gedacht? Ich habe ihn vor einer Stunde noch gesprochen.«
McKinney sah in die Luft, wo der Wind die Rauch- und Staubwolke forttrieb.
«Und seine Pläne hatte er bei sich. Alle Pläne…«
Dr. Fermi schwankte.»Das ist unmöglich… «stammelte er.»Das wäre schrecklich… Dann stehen wir wieder am Anfang.«
McKinney wandte sich ab.»Er wollte etwas Neues erproben, das wird es sein. Er hatte Pech, meine Herren, Forscherpech.«
Prof. Oppenheimer sah den General groß an. Er ahnte, was McKinney wußte.
«Und was… was werden Sie nach Washington berichten?«
McKinney zuckte mit den Schultern.»Es war ein glatter Unglücksfall«, sagte er langsam.»Unser Land erwartet, meine Herren, daß Ihre Forschungen ungestört weitergehen.«
Wenn man nach Los Alamos kommt, sieht man in einem Seitental eine mannshohe Platte aus Stahl in die Felsen eingelassen. Mit grauen Stahlbuchstaben sagt sie nüchtern, daß hier, an dieser Stelle, der größte Atomforscher Amerikas in Ausübung seines Dienstes zum Fortschritt der Menschheit den Tod fand.
Unter diesen Sätzen aber steht ein Spruch, der eine Mahnung ist an alle, die es je vergessen sollten.
«… denn die Elemente hassen das Gebild von Menschenhand!«
Am 23. August 1952. In Los Alamos. Das amerikanische Volk.