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Er ahnte nicht, daß er auf einem riesigen Vulkan lag, daß unter ihm, an unbekannten Maschinen, vor großen Thermometern an Tischen mit noch nie gesehenen Apparaten kleine, gelbe Männer in dicken Bleischürzen arbeiteten, im Schein einiger trüber Lampen das Uran und das Plutonium stapelten und aus winzigen Mengen des wertvollen Metalls die Hoffnung bauten, Rache zu nehmen für die 100.000 Toten im purpurnen Blitzstrahl einer von Menschen erfundenen Sonne.

Dr. Hakanaki, der Leiter der Atomstadt Nagoi, beugte sich über den Tisch. Draußen war Nacht. Schwach hörte man das Stampfen der Maschinen. Durch die Glaswand, die das Zimmer von dem Produktionssaal trennte, sah man die Physiker vor großen Uhren sitzen, deren Zeiger hin und her pendelten.

«Japan ist besetzt, General«, sagte Dr. Hakanaki.»Unsere Arbeit ist eine Arbeit in der Stille, in der Begrenzung.«

«Für einen Japaner gibt es keine Grenzen!«Simanuschi fuhr mit der Hand durch die stickige Luft. Sein Kopf schoß vor.»Wir müssen wissen, was Prof. Paerson gefunden hat! Wir müssen Formeln haben! Wir müssen Licht bringen in dieses Geheimnis von Los Alamos! Die Nation schaut auf Sie, meine Herren! Sie sind heute die große Hoffnung Japans! Der Kaiser ist ein Privatmann geworden, seine Göttlichkeit ist vorbei! Aber Sie, meine Herren — Sie sind die neuen Götter Japans, wenn es Ihnen gelingt, Amerika mit dem Atom zu schlagen!«

«Wir Menschen haben Grenzen«, sagte Yamamaschi leise.

«Aber Sie dürfen nicht kleiner sein als die der Amerikaner.«

Dr. Hakanaki schob die Papiere zur Seite und stützte den Kopf in beide Hände. Seine dunkel umrandete Brille blinkt im Schein der Tischlampe. Über seine hohe Stirn lief ein nervöses Zucken.

«Wir können nur forschen, Exzellenz. Sie, als Soldat, haben die Möglichkeit, mit Spionen das Geheimnis an uns heranzutragen.«

Tayo Simanuschi blickt an die Decke. Dort war der rohe Felsen, kantig, herausgehauen, schwarz. Feuchtigkeit hing in den Ritzen und Winkeln.

«Kennen Sie Percy Kenneth?«fragte er.

«Den amerikanischen Militärattache? Nein. Nur vom Sehen.«

«Ich habe gehört, daß er neue Informationen von Washington bekommen haben soll. Er fuhr gestern von Tokio nach Kyoto und nahm einen Kurier in Empfang. «Der Greis strich sich mit spitzen Fingern über die Stirn.»Man müßte ihn fragen.«

Die beiden Physiker wechselten schnelle Blicke. Ihre Mienen waren undurchdringlich. Eine Maske, hinter der es kein Gefühl gab.

«Wenn Sie das könnten, Exzellenz…«Dr. Hakanaki nickte.»Wir haben ein schönes Zimmer für dieses Gespräch.«

«Das ist gut, das ist sehr gut. «Der General erhob sich. Er mußte sich auf einen Ebenholzstock stützen, sein Rücken war gekrümmt von Rheuma. In seine Augen trat ein flimmernder Glanz.»Sie werden von mir rechtzeitig hören, meine Herren. Vergessen Sie aber unterdessen nicht eins: Japan hat keine Zeit mehr! Einmal standen wir an der Spitze der Welt… sie brach ab. Aber es gibt keinen Griffel, den man nicht wieder anspitzen könnte, es sei denn, er habe sich abgeschrieben.«

Ein jüngerer Forscher brachte den Alten aus der Zentrale.

Dr. Hakanaki und Dr. Yamamaschi sahen ihm nach, wie er krumm und schleppend durch die Halle schlich, den Blick nicht wendend, als wolle er nicht sehen, was um ihn herum geschieht. Als sich die Bleitür hinter ihm schloß, ließ sich Hakanaki in seinen Sessel fallen.

«Holen Sie mir den Deutschen«, sagte er tief aufatmend.»Er muß jetzt in Abteilung III sein.«

Yamamaschi nickte und eilte aus dem Zimmer. Er sah noch, wie sein Chef nach einer großen Karteikarte griff, die jeder Angestellte von Nagoi besaß und ein Röntgenbild seines Lebens enthielt.

Ein Bild war auf der Karte, die Hakanaki hervorzog.

Ein junger, intelligenter, braunlockiger Kopf mit hellen, tatenlustigen Augen.

Ein Name stand darunter. Heinz Behrenz. Deutschland.

Kein Ort. Keine Straße. Kein Datum.

Dr. Hakanaki sah auf das Bild mit dem frischen

Jungengesicht.

Er könnte es tun, dachte er zufrieden. Er ist der richtige Mann. Als Angehöriger der deutschen Militärmission in Japan von den Amerikanern bei der Eroberung Okinawas gefangengenommen. In den Lagern auf hundert Inseln herumgeschleppt, verprügelt, verhört, verspottet. Mit Gewehrkolben geschlagen, drei Zähne verloren, in Dunkelhaft gehalten, um Aussagen zu erpressen. Als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt, beim Transport zu den Todeszellen geflohen und sich versteckt bei den Nationalisten Japans. Von ihnen der Atomstadt Nagoi als Verbindungsmann übergeben. Ein Amerikahasser, wie es keinen zweiten gibt. Beseelt von Rache und Vergeltung.

Dr. Hakanaki blickte auf. Auch er ist einer der Jungen, die man aus der Bahn warf, dachte er. Man hat ihn entwurzelt, schon, als man ihn nach Japan schickte. Ihn, den Jungen von der Mosel.

Es klopfte. Dr. Yamamaschi trat ein. Ihm folgte eine hohe, schlanke Gestalt. Ein weißer Kittel flatterte.

«Nehmen Sie Platz, Herr Behrenz«, sagte Dr. Hakanaki freundlich und wies auf den Sessel, in dem vor wenigen Minuten noch General Simanuschi hockte.

Behrenz setzte sich. Vorsichtig, als wittere er etwas. Stumm blickte er von einem der Gelehrten zum anderen. An den blinkenden Gläsern von Hakanakis Brille blieb sein Blick hängen. Er ahnte das Ungewöhnliche, das ihn hier in die Zentrale führte.

«Sie werden eine Reise machen«, sagte Dr. Hakanaki ohne lange Umschweife. Heinz Behrenz zog die Augenbrauen hoch. Aber er schwieg.»Sie werden eine schöne Reise machen«, fuhr Hakanaki fort.»Wir möchten Sie an einem Ort wissen, der uns sehr am Herzen liegt. Was halten Sie von Los Alamos?«»Los Alamos?«Behrenz sah die Männer groß an. Seine Stimme war voll Erstaunen.»Ich habe diesen Ort noch nie gehört. Liegt er in Spanien?«

«Nicht ganz. «Hakanaki lächelte.»In den Vereinigten Staaten. Los Alamos ist die amerikanische Atomstadt. Die Konkurrenz. Wir haben Meldungen, daß sich dort Dinge vorbereiten, die unsere ganze bisherige Arbeit umsonst werden lassen! Was dies für Dinge sind, das möchten wir von Ihnen wissen.«

«Mit anderen Worten: Spionage!«

«Nicht ganz. Nennen wir es eleganter: Information!«

Dr. Hakanaki lächelte. Er bot Behrenz eine Zigarette an und goß ihm einen starken Reisschnaps ein.

«Es handelt sich um das Amerika, das Ihnen drei Zähne ausschlug«, sagte er mit seiner leidenschaftslosen Stimme.

Heinz Behrenz biß sich auf die Lippen. Er war blaß geworden. Seine Finger verkrampften sich ineinander.

Mit einem Ruck blickte er auf.»Verfügen Sie über mich!«sagte er laut.

Dr. Hakanaki lächelte leicht.»Ich danke Ihnen. Ich habe es nicht anders erwartet. Kommen Sie her, ich will Ihnen unsere Pläne zeigen… «

Wer eine Karte Rußlands vornimmt, selbst eine Spezialkarte Zentralrußlands, der wird vergeblich nach einem Ort Nowo Krasnienka suchen. Auch die Meßtischblätter der Generalstäbe aller Staaten, Blatt Jsh Njemdjesh, Gebiet zwischen Tolman und Njemda, zwei Flüssen jenseits der Wolga nach Sibirien hin, zeigen dort, wo Nowo Krasnienka liegen soll, Wald, Steppe und Sumpf.

Als vom Zentralbüro der technischen Kriegsführung in Moskau der Befehl erteilt wurde, in kürzester Zeit im

Gebiet von Njemda südlich der kleinen Stadt Ljebjashie ein Atomwerk zu errichten, das die Erprobungen der unterirdischen Anlagen im Ural und in Südsibirien industriell auswerten soll, zweifelten auch die Experten des mit Millionen Arbeitern in Tag- und Nachtschicht fertiggestellten Eismeerkanals daran, ob dieser Befehl überhaupt ausführbar sei.

In wochenlangen Transporten wurden alle verfügbaren Kräfte der Armee, der Zwangsarbeitslager, der deutschen Kriegsgefangenen und freiwilliger chinesischer Arbeiter in das Gebiet der Njemda geworfen. Ein MillionenAmeisenheer krabbelte über die Steppe und durch die Wälder, hoben die Fundamente aus, in die Spezialbetongießmaschinen die meterdicken Grundplatten füllten, richteten die Hochöfen, bauten die weiten Hallen, hoben aus der schwarzen Erde zwanzig Kilometer von Kokscha die Bunker aus, in denen hinter Bleiwänden unvorstellbarer Dicke die Riesenmagneten, die Brenner der Uranatome, getreu den amerikanischen Hanford-Anlagen nachgebildet, versenkt wurden. Dann zogen die Millionen wieder ab — man sprach von 2,5 Millionen Arbeitern, die auf einem Gebiet von 2500 Quadratkilometern zusammengedrängt waren —, und eine geheimnisvolle Stille senkte sich über die leeren Riesenanlagen des neuen Ortes Nowo Krasnienka. Heimlich, mit Spezialzügen, die auf gesperrten Strecken fuhren, sickerten die Wissenschaftler ein — aus dem Ural, aus Moskau, aus Gorkij, aus Iwanowo, aus Stalinsk, aus Stalingrad, aus Tiflis, aus Saratow, Odessa, Krasnodar, Shdanow und Makejewka. Aus allen Teilen des unermeßlichen Rußlands kamen sie zusammen und versammelten sich unter dem Stalinpreisträger Prof. Dr. Gregorij Kyrill in Nowo Krasnienka.