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Joe Patroni besaß aber noch etwas anderes: Er geriet in einer Krisensituation nie in Panik. Statt dessen bildete er sich schnell ein Urteil über die Lage, entschied, welche Dringlichkeit der Krise zukam, und ob er eine andere Aufgabe erst abschließen sollte, ehe er sich mit der neuen befaßte. Im Fall der festgefahrenen 707 sagte ihm sein Instinkt, daß es sich um eine mittlere bis akute Krise handele, und das bedeutete, daß er das, womit er gerade beschäftigt war, beenden oder aber zu Abend essen konnte, jedoch nicht beides. Dementsprechend verzichtete er auf das Abendessen. Bald danach hetzte Marie im Morgenrock in die Küche, um für Joe schnell ein paar Sandwiches zu machen, die er auf der Fünfundzwanzig-Meilen-Fahrt zum Flughafen essen konnte, und er kaute gerade an einem.

Daß er nach einem vollausgefüllten Arbeitstag zum Flughafen zurückgerufen wurde, war für ihn nichts Neues; heute abend aber war das Wetter schlechter als bei jedem früheren Anlaß, soweit er sich erinnern konnte. Überall waren die sich summierenden Auswirkungen des dreitägigen Schneesturms zu spüren und machten das Fahren anstrengend und gefahrvoll. Riesige Schneeberge säumten die Straßen, und in der Dunkelheit schneite es immer noch. Auf den Schnellstraßen wie auf den normalen Straßen bewegte sich der Verkehr kriechend oder überhaupt nicht weiter. Selbst die M + S-Rei-fen, die Patroni an seinem Wagen hatte, faßten nur schlecht. Scheibenwischer und Entfrostungsanlagen kamen gegen die Schneeböen draußen und die beschlagenden Scheiben drinnen nicht an, und die Scheinwerfer erhellten nur ein kurzes Stück der Straße vor den Wagen. Stilliegende Fahrzeuge, manche von ihren Fahrern preisgegeben, verwandelten die Straßen in Hindernisbahnen. Offensichtlich wagten sich nur Leute, die guten Grund dazu hatten, an diesem Abend auf die Straße.

Patroni sah auf seine Uhr. Sowohl sein Wagen als auch der seines Vordermannes standen jetzt schon einige Minuten. Auch weiter vorn konnte er gleichfalls haltende Wagen ausmachen, und rechts von ihm stand eine weitere Reihe haltender Fahrzeuge. Außerdem war schon seit einiger Zeit kein Fahrzeug mehr aus der entgegengesetzten Richtung gekommen: folglich war etwas geschehen, wodurch der ganze Verkehr auf allen vier Fahrbahnen blockiert wurde. Wenn sich in den nächsten fünf Minuten nichts ergab, wollte er aussteigen, um nachzuforschen, obwohl er in Anbetracht des Matsches, der Verwehungen und des unverändert fallenden Schnees hoffte, daß es nicht nötig wäre. Ihm stand noch ausreichend Gelegenheit bevor, bis auf die Knochen durchzufrieren, wozu es zweifellos kommen würde, ehe die Nacht vorüber war, sobald er auf dem Flugplatz ankam. Inzwischen drehte er das Autoradio lauter, das auf eine Rock-'n'-Roll-Sendung eingestellt war, und paffte an seiner Zigarre.

Fünf Minuten verstrichen. Joe Patroni sah, daß vor ihm Leute ausstiegen und nach vorn gingen, und schickte sich an, ihnen zu folgen. Er trug einen pelzgefütterten Anorak, den er jetzt um sich zog und sich die Kapuze über den Kopf streifte. Er griff nach der schweren Taschenlampe, die er immer mit sich führte. Als er die Wagentür öffnete, fegten Wind und Schnee herein. Er stieg aus und schloß die Tür schnell hinter sich.

Er stampfte vorwärts, während die Türen anderer Wagen schlugen und Stimmen riefen. »Was ist denn los?« Jemand rief zurück: »Da vorn war ein Unfall. Eine Riesenschweinerei.« Als er näher kam, wurden vor ihm aufblitzende Lichter sichtbar, Schatten bewegten und trennten sich, wurden zu einer Menschentraube. Eine neue Stimme sagte: »Glauben Sie mir, das läßt sich so schnell nicht beiseite räumen. Wir sitzen hier für Stunden fest.«

Ein großer dunkler Schatten tauchte vor ihm auf, zum Teil von sprühenden roten Fackeln angestrahlt. Er stellte sich als ein schwerer Sattelschlepper mit Anhänger heraus, der auf der Seite lag. Das klobige, sechzehnrädrige Gefährt lag quer über der Fahrbahn und blockierte jeden Verkehr. Ein Teil der Ladung — anscheinend Kartons mit Konserven — war herausgestürzt, und schon trotzten einige Spekulanten dem Schnee und sammelten Kartons ein, um sie schnell zu ihren Wagen zu bringen.

Zwei Streifenwagen der Verkehrspolizei befanden sich am Unfallort. Polizisten vernahmen den Lastwagenfahrer, der anscheinend unverletzt geblieben war.

»Ich habe nur ganz leicht auf die verdammte Bremse gedrückt«, protestierte der Fahrer laut, »und schon kam das Ding ins Schleudern und wälzte sich im Schnee wie eine heiße Hure.«

Einer der Polizisten schrieb in sein Notizbuch, und eine Frau fragte mit gedämpfter Stimme den Mann neben sich: »Glaubst du, daß er das wörtlich aufschreibt?«

Eine andere Frau rief mit schriller Stimme gegen den Wind: »Das hilft uns auch nichts. Warum schafft ihr Polypen das Ding nicht aus dem Weg?«

Einer der Polizisten kam herüber. Sein Uniformmantel war fast vollständig von Schnee bedeckt. »Wenn Sie mal eben mit anfassen wollen, meine Dame, werden wir es vielleicht schaffen.«

Ein paar Leute lachten. Die Frau murrte: »Klugschwätzer.«

Ein Abschleppwagen mit rotierendem gelbem Warnlicht näherte sich auf der anderen Straßenseite langsam dem Hindernis. Der Fahrer fuhr auf der jetzt leeren Gegenfahrbahn. Er hielt an und stieg aus. Als er die Größe und die Lage des Sattelschleppers erkannte, schüttelte er zweifelnd den Kopf.

Joe Patroni drängte sich vor. Er paffte an seiner Zigarre, die im Wind rot aufglühte, und klopfte dem Polizisten nachdrücklich auf die Schulter. »Passen Sie mal auf, mein Junge. Mit einem Abschleppwagen bekommen sie den Brocken nie von der Stelle. Ebensogut könnten Sie eine Schnecke vor . . .«

Der Polizist drehte sich um. »Was ebensogut ist, spielt keine Rolle, Mister; aber hier ist Benzin ausgelaufen, darum machen Sie mal Ihre Zigarre aus.«

Patroni ignorierte die Anweisung, wie er alle Rauchverbote ignorierte. Er deutete mit seiner Zigarre auf den umgekippten Sattelschlepper. »Außerdem, junger Mann, vergeuden Sie die Zeit von allen Leuten hier, meine und Ihre auch, wenn Sie versuchen wollen, den Schrotthaufen da bei Nacht auf die Räder zu kriegen. Den müssen Sie auf die Seite schleppen, damit der Verkehr wieder durchkann, und dazu brauchen Sie noch zwei Abschleppwagen — einen auf dieser Seite hier, der schiebt, und zwei da drüben, die ziehen.« Er ging um den großen Lastzug herum, inspizierte ihn im Licht seiner Lampe von den verschiedensten Stellen. Wie immer, wenn er sich mit einem Problem befaßte, wurde er von der Aufgabe völlig in Anspruch genommen. »Die beiden Schlepper müssen gleichzeitig an drei Punkten ansetzen. Zuerst wird das Triebfahrzeug weggezogen. So geht es am schnellsten. Dadurch werden auch die Anhänger frei. Der andere Abschleppwagen . . .«

»Augenblick mal«, unterbrach der Polizist. Er rief zu den anderen Beamten hinüber. »He, Hank, hier ist einer, der weiß anscheinend, wovon er redet.«

Zehn Minuten später hatte Joe Patroni im Verein mit den Polizisten praktisch die Bergungsarbeit übernommen. Über Funk wurden seinem Vorschlag gemäß zwei weitere Abschleppwagen angefordert. Während noch auf sie gewartet wurde, befestigte der Fahrer des ersten Abschleppwagens auf Patronis Anweisungen Ketten an der Achse des umgestürzten Sattelschleppers. Die Situation ließ bereits eine zweckmäßige Zielstrebigkeit erkennen — ein charakteristisches Merkmal jeder Maßnahme, bei der der energische Chef des Wartungsdienstes der TWA seine Hand im Spiel hatte.