Patroni selbst war inzwischen mehrmals besorgt der Grund durch den Kopf gegangen, warum er in dieser Nacht eigentlich unterwegs war, und daß er schon längst auf dem Flughafen hätte sein müssen. Aber er rechnete sich aus, daß er am schnellsten dorthin käme, wenn er half, die blockierte Straße freizubekommen. Sein eigener Wagen würde ebensowenig weiterkönnen wie die anderen, solange der verunglückte Lastzug nicht von der Fahrbahn heruntergeschleppt worden war. Umzudrehen und es auf einem anderen Weg zu versuchen, war aussichtslos, weil inzwischen die Straße hinter ihm auch durch eine ständig länger werdende Wagenschlange meilenweit, wie ihm die Polizisten versicherten, verstopft war.
Er kehrte zu seinem Wagen zurück, um über Funktelefon anzurufen, das er sich auf Vorschlag seiner Arbeitgeber angeschafft hatte, und für das sie die monatlichen Gebühren übernahmen. Er rief die Wartungsabteilung der Gesellschaft auf dem Flughafen an, um sie über seine Verspätung zu informieren, und erhielt seinerseits die Mitteilung von Mel Bakersfeld, daß es dringend erforderlich sei, die Startbahn Drei-Null zu räumen und einsatzfähig zu machen.
Joe Patroni gab über das Telefon einige Anweisungen durch, war sich aber klar, daß es das Wichtigste sei, selbst so schnell wie möglich zum Flughafen zu kommen.
Als er zum zweitenmal aus dem Buick ausstieg, schneite es immer noch stark. Er wich Schneeverwehungen aus, die sich um die Schlange der wartenden Wagen gebildet hatten, und kehrte in einem mühsamen Zotteltrab zum Schauplatz des Unfalls zurück. Mit Erleichterung stellte er fest, daß inzwischen der erste der beiden zusätzlichen Abschleppwagen eingetroffen war.
5
Der Fahrstuhl, in den Mel Bakersfeld gestiegen war, nachdem er sich von Tanya verabschiedet hatte, brachte ihn in das Kellergeschoß des Flughafengebäudes. Sein Dienstwagen — senfgelb und mit Sprechfunk ausgerüstet — stand an einem reservierten Platz in der Nähe bereit. Mel fuhr durch die Ausfahrt auf eine der Abstell-rampen für Flugzeuge in den Sturm hinaus. Sobald er aus dem Schutz der unterirdischen Garage kam, prallten Wind und wirbelnder Schnee mit ungezügelter Wildheit gegen seine Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer fuhren hastig hin und her, konnten aber nur knapp so viel Platz freihalten, daß er nach vorn Sicht hatte. Durch das auf einen schmalen Spalt geöffnete Fenster fuhren ein eisiger Windstoß und Schnee herein. Hastig kurbelte er das Fenster zu. Der Unterschied zwischen der behaglichen Wärme des Flughafengebäudes und den Unbilden der Nacht draußen war überraschend.
Unmittelbar vor ihm waren Maschinen in Verladeposition an der Rampe abgestellt. Zwischen Schneeböen, die entstanden, wenn der Wind um die Ecken der Gebäude fegte, konnte er das beleuchtete Innere verschiedener Flugzeuge erkennen, in denen die Passagiere bereits Platz genommen hatten. Offenkundig waren mehrere Maschinen startbereit und warteten auf Genehmigung vom Kontrollturm, die Motoren anzulassen. Die anhaltende Verzögerung war die Folge davon, daß Startbahn Drei-Null blockiert war. Weiter draußen auf dem Flugfeld nahm er die verschwommenen Umrisse und Positionslichter weiterer Maschinen wahr, die kürzlich angekommen waren und mit laufenden Motoren warteten. Sie befanden sich in einem Wartegebiet, das die Piloten die Strafzelle nannten, und würden weiterrollen, sobald Verladepositionen für sie frei wurden. Zweifellos spielte sich das gleiche vor den sieben anderen Flugsteigen ab, die um das Hauptgebäude herumgruppiert waren.
Das Funksprechgerät in Mels Wagen, das auf die Frequenz der Bodenkontrolle eingestellt war, erwachte knisternd zum Leben.
»Kontrollturm an Eastern siebzehn«, gab ein Kontroller durch: »Sie haben freie Bahn zur Startbahn Zwei-Fünf. Schalten Sie jetzt die Funkfrequenz für Ihre Starterlaubnis ein.«
Ein Knattern statischer Elektrizität. »Eastern siebzehn. Verstanden.«
Eine lautere Stimme verkündete gereizt: »An Bodenkontrolle von Pan Am vierundfünfzig auf äußerem Taxiweg zu Zwei-Fünf.
Vor mir ist eine private Cessna — zweimotorige Schildkröte. Ich stehe auf der Bremse, um sie nicht zu überrollen.«
»Pan Am vierundfünfzig, warten.« Eine ganz kurze Pause, dann wieder die Stimme des Kontrollers: »An Cessna sieben drei metro von Bodenkontrolle. Nächste Abzweigung rechts einbiegen, abwarten und Pan American vorbeilassen.«
Überraschend antwortete eine angenehme Frauenstimme: »An Bodenkontrolle von Cessna sieben drei metro. Ich biege ab. Machen Sie zu, Pan Am, Sie dicker Protz.«
Ein verhaltenes Lachen. Dann: »Danke, mein Schatz. Sie können inzwischen Ihre Lippen nachmalen.«
Die Stimme des Kontrollers fuhr dazwischen: »Turm an alle. Beschränken Sie sich auf dienstliche Durchsagen.«
Der Kontroller war gereizt, wie Mel erkannte, trotz der geübten einstudierten Ruhe. Aber wer wäre das an diesem Abend, bei diesem Wetter und diesem Betrieb nicht? Mit Unbehagen dachte er an seinen Bruder Keith, der unter dem unablässigen Druck der Kontrolle der aus dem Westen eintreffenden Maschinen stand.
Der Austausch zwischen Turm und Flugzeugen ging weiter, ohne Pause zwischen den einzelnen Durchsagen. Als eine Durchsage beendet war, drückte Mel auf den Schaltknopf seines Mikrofons. »An Bodenkontrolle von Mobil eins. Ich bin bei Eingang fünfundsechzig auf dem Weg nach Drei-Null zur Position der festgefahrenen 707.«
Er wartete, während der Kontroller zwei weiteren gerade gelandeten Maschinen Anweisung für die Taxiwege gab. Dann: »Turm an Mobil eins. Verstanden. Folgen Sie DC-9 der Air Canada, die vor Ihnen von der Rampe rollt. Halten Sie knapp vor Rollbahn Zwei-Eins.«
Mel bestätigte. Er konnte die Maschine der Air Canada sehen, die sich in diesem Augenblick von einer Sperre des Hauptgebäudes löste; ihr hohes anmutiges Leitwerk erschien als kantige Silhouette.
Solange er noch im Gebiet der Verladerampen war, fuhr er vorsichtig auf das Flugfeld hinaus, hielt Ausschau nach Rampenläusen — wie auf dem Flughafen die Fülle der Fahrzeuge, die die Flugzeuge auf dem Boden umschwärmten, genannt wurde. Neben den üblichen waren heute abend auch mehrere sogenannte Kirschpflük-ker unterwegs — Lastwagen mit hoch ausfahrbaren, beweglichen
Plattformen auf steuerbaren Stahlträgern. Auf den Plattformen bemühten sich Leute vom Bodenpersonal, die Tragflächen der Flugzeuge vom Schnee zu befreien und besprühten sie mit Glycol, um die Eisbildung zu verhindern. Die Leute selbst auf ihren ungeschützten Plätzen waren von Schnee bedeckt.
Mel bremste plötzlich, um einem schnellfahrenden Honigwagen auszuweichen, der aus dem Rampenbereich kam, um seine übelriechende Ladung von vierhundert Gallonen fortzuschaffen, die er aus den Toiletten der Flugzeuge herausgepumpt hatte. Die Ladung wurde in einen Reißwolf in einem besonderen Gebäude des Flughafens, um das alle einen möglichst weiten Bogen machten, geleert und dann in die städtische Kanalisation gepumpt. Meistens ging die Beseitigung glatt vonstatten, außer wenn Passagiere Verluste anmeldeten: Gebisse, Handtaschen, Brieftaschen, sogar Schuhe, die ihnen versehentlich in die Toiletten der Flugzeuge gefallen waren. Das geschah jeden Tag ein- oder zweimal. Dann mußten die Ladungen gesiebt werden, und jeder Beteiligte hoffte, daß der vermißte Gegenstand schnell gefunden würde.
Mel wußte, daß auch ohne besondere Zwischenfälle das sanitäre Personal des Flughafens eine arbeitsreiche Nacht vor sich hatte. Aus Erfahrung war der Leitung des Flughafens bekannt, daß die Inanspruchnahme der Toilettenanlagen auf dem Boden und in der Luft bei sich verschlechterndem Wetter stieg. Mel fragte sich, wie viele Leute wohl wissen mochten, daß die Aufsicht über die sanitären Anlagen des Flugplatzes stündlich Wettervoraussagen erhielt und dementsprechend ihre Vorkehrungen traf — für zusätzliche Reinigung und verstärkten Materialbedarf.
Die Maschine der Air Canada, der er folgen sollte, hatte das Hauptgebäude zurückgelassen und erhöhte seine Rollgeschwindigkeit. Mel gab Gas, um den Anschluß zu halten. Es war beruhigend, das Rücklicht der DC-9 als Richtpunkt vor sich zu haben, da die Scheibenwischer mit der Fülle des Schnees kaum fertig wurden. Im Rückspiegel konnte er die Umrisse einer weiteren größeren Düsenmaschine ausmachen, die ihm jetzt folgte. Der Bodenkontroller warnte über Funk: »Air France vier null vier, zwischen Ihnen und Air Canada befindet sich ein Bodenfahrzeug des Flughafens.«