»Verstanden. Melde mich wieder.« Das Funkgerät verstummte.
Mel griff unter seinen Mantel nach seinen Zigaretten. Er hielt die Packung Ingram hin.
»Danke.«
Sie zündeten sich die Zigaretten an und sahen dem Scheibenwischer zu, der hin- und herfuhr.
Ingram deutete mit dem Kopf auf das beleuchtete Cockpit des Düsenflugzeugs der Aereo Mexican. »Das dumme Schwein von Kapitän da oben heult wahrscheinlich in seinen Sombrero. Das nächste Mal wird er auf die blauen Taxilichter aufpassen, als wären es Altarkerzen.«
»Besteht Ihr Bodenpersonal aus Mexikanern oder Amerikanern?« fragte Mel.
»Wir sind alle Amerikaner. Nur solche Dummköpfe wie wir arbeiten bei diesem miserablen Wetter. Wissen Sie, wohin die Maschine bestimmt war?«
Mel schüttelte den Kopf.
»Acapulco. Heute nachmittag noch hätte ich gern für ein halbes Jahr auf sonst was verzichtet, wenn ich in ihr hätte sitzen können.« Der Vormann lachte verhalten vor sich hin. »Stellen Sie sich doch mal vor ... Sie steigen ein, Sie machen es sich bequem, und dann müssen Sie so wieder raus. Sie hätten hören sollen, wie die Passagiere fluchten. Besonders die Frauen. Heute abend habe ich ein paar neue Ausdrücke gelernt.«
Das Funkgerät erwachte wieder zum Leben.
»Schneekontrolle an Mobil eins«, sagte Danny Farrow. »Ich habe mit TWA wegen Joe Patroni gesprochen. Sie haben Nachricht von ihm. Er wurde durch eine Verkehrsstauung aufgehalten. Er braucht mindestens noch eine Stunde. Er hat eine Nachricht durchgegeben. Haben Sie alles verstanden?«
»Alles verstanden«, bestätigte Mel. »Wie lautet die Nachricht?«
»Patroni warnt davor, die Maschine noch tiefer in den Schlamm zu manövrieren, als sie schon ist. Er sagt, das könne leicht passieren. Wenn also die Leute von der Aereo Mexican sich nicht ganz sicher sind, daß sie das Richtige machen, sollen sie ihre Finger davon lassen, bis Joe da ist.«
Mel sah Ingram von der Seite an. »Was haben Sie und Ihre Leute dazu zu sagen?«
Ingram nickte. »Patroni kann von uns aus alles versuchen, was er will. Wir warten, bis er da ist.«
»Alles verstanden?« fragte Danny Farrow. »Alles klar?«
Mel drückte auf den Schaltknopf am Mikrofon. »Alles klar.«
»Gut. Jetzt noch was. TWA holt sich noch zusätzliche Kräfte Vom Bodenpersonal zur Hilfe heran. Und Ihre Frau hat noch einmal angerufen, Mel. Ich habe Ihre Nachricht an sie weitergegeben.« Mel spürte, daß Danny zögerte, weil er wußte, daß noch ander ihre Funksprechgeräte auf die Frequenz der Flughafenwartung eingestellt hatten und zuhörten.
»Sie war wohl nicht bei bester Laune?« fragte Mel.
»Kann man wohl sagen.« Wieder eine sekundenlange Stille. »Am besten rufen Sie bald mal bei ihr an.«
Ich könnte darauf wetten, dachte Mel, daß Cindy zu Danny noch schnippischer gewesen ist als sonst, aber aus Loyalität sagt er nichts darüber.
Mit der 707 der Aereo Mexican konnte offensichtlich nichts weiter unternommen werden, bis Joe Patroni eintraf. Patronis Hinweis, daß die Maschine noch tiefer in den Schlamm manövriert werden könnte, war einleuchtend.
Ingram knöpfte seinen Mantel wieder zu und streifte seine dicken Fausthandschuhe über. »Danke für das Aufwärmen.« Er kletterte aus dem Wagen in den Sturm und Schnee hinaus und warf die Tür schnell hinter sich zu. Gleich darauf konnte Mel ihn durch die hohen Schneewehen auf die Fahrzeuge auf der Taxibahn zuwaten sehen.
Über Sprechfunk sprach die Schneekontrolle jetzt mit dem Schneeräumungskommando. Mel wartete, bis das Gespräch beendet war, ehe er wieder auf den Schaltknopf drückte. »Hier Mobil eins, Danny. Ich fahre jetzt zur Conga-Kette.«.
Er fuhr langsam an, suchte sich vorsichtig seinen Weg durch den wehenden Schnee und die Dunkelheit, in der ihm nur die in weiten Abständen stehende Befeuerung der Startbahn Anhaltspunkte gab.
Die Conga-Kette, gleichzeitig Speerspitze und Hauptstreitmacht des Systems zur Schneeräumung auf dem Flughafen, befand sich im Augenblick auf Startbahn Eins-Sieben links. In wenigen Minuten würde er wissen, dachte Mel grimmig, ob der kritisierende Bericht von Kapitän Demerests Schneeausschuß der Fluggesellschaften von der Wahrheit oder nur von der Bosheit diktiert worden war.
6
Die Person, an die Mel gerade dachte — Kapitän Vernon Demerest von der Trans America —, befand sich im Augenblick etwa drei Meilen vom Flughafen entfernt. Er fuhr in seinem Mercedes 230 SL Coupe, und im Vergleich mit der Fahrt, die er von seinem Haus zum Flughafen hinter sich hatte, machten ihm die kürzlich vom Schnee geräumten Straßen in dieser Gegend wenig Schwierigkeiten. Immer noch fiel dichter, vom Wind gepeitschter Schnee, aber die frische Decke auf dem Boden war noch nicht tief genug, um das Fahren zu erschweren.
Demerests Ziel war eine Gruppe dreistöckiger Apartmenthäuser, die allgemein »Stewardess Row« hießen. Hier hielten sich viele der am Lincoln International stationierten Stewardessen aller Fluggesellschaften Apartments. In jedes teilten sich gewöhnlich zwei oder drei der Mädchen, und die Eingeweihten hatten auch eine Bezeichnung für die einzelnen Wohngemeinschaften. Sie hießen Stewardess-Nester.
Diese Nester waren häufig Schauplatz lebhafter Partys während der Freizeit des Flugpersonals und manchmal Ausgangspunkt der Liebesaffären, die sich mit voraussagbarer Regelmäßigkeit zwischen den Stewardessen und den männlichen Besatzungsmitgliedern an-sponnen.
Im ganzen gesehen ging es in den Stewardess-Nestern aber nicht mehr noch weniger ungezügelt zu als in anderen Apartments, die alleinstehende Mädchen bewohnten. Der Unterschied bestand darin, daß sich das ungehemmte amoralische Treiben vorwiegend auf das Personal der Fluggesellschaften beschränkte.
Das hatte seine guten Gründe. Sowohl die Stewardessen als auch die männlichen Besatzungsmitglieder, mit denen sie zusammentrafen — Kapitäne, Erste und Zweite Offiziere — waren ausnahmslos Leute von Format. Alle hatten ihre Stellungen, um die viele andere sie beneideten, durch einen harten, zermürbenden Prozeß der Auslese erworben, bei dem die weniger Begabten völlig ausgeschaltet wurden. Die verhältnismäßig wenigen, die dabei übrig blieben, waren die klügsten und die besten. Daraus ergab sich eine Auslese intelligenter, aufgeklärter Persönlichkeiten, voller Lebenslust und mit der Gabe, ihresgleichen anzuerkennen und zu schätzen.
Vernon Demerest hatte während seiner Laufbahn viele Stewardessen ebenso schätzen gelernt wie sie ihn. Tatsächlich hatte er eine Reihe von Affären mit schönen, intelligenten jungen Frauen hinter sich, die mancher Monarch und manches männliche Filmidol begehrt haben mochten, ohne sie je zu gewinnen. Die Stewardessen, die Demerest und seine Kollegen kannten und mit denen sie gewöhnlich schliefen, waren keine Huren, nicht einmal leichtfertig. Sie waren lebensfrohe, aufgeschlossene und sexuell ungehemmte junge Frauen, die Qualität schätzten und akzeptierten, wenn sie ihnen so selbstverständlich und ohne Schwierigkeiten geboten wurde.
Eine, die das Gebotene — um es so auszudrücken — von Vernon Demerest angenommen hatte und geneigt schien, es weiterhin zu tun, war die lebhafte, attraktive, in England geborene Gwen Meighen. Sie war die Tochter eines Farmers, die vor zehn Jahren als Achtzehnjährige ihre Heimat verlassen hatte und in die Vereinig ten Staaten gekommen war. Ehe sie bei der Trans America eintrat, hatte sie in Chicago kurz als Modell gearbeitet. Vielleicht auf Grund ihres bewegten Lebens verband sie eine ungehemmte Sinnlichkeit im Bett, mit Eleganz und Lebensstil im Alltag.
Gwen Meighens Apartment war jetzt das Ziel von Kapitän Demerest. Später am Abend würden sie gemeinsam mit Trans Americas Flug Zwei die Reise nach Rom antreten. In der Pilotenkanzel würde Kapitän Demerest den Befehl haben, in der Passagierkabine hinten würde Gwen Meighen Erste Stewardess sein. Am Ende der Reise in Rom erwartete die Besatzung ein dreitägiges »Layover«, während der eine andere Besatzung — die inzwischen zu ihrer eigenen Ruhepause bereits in Italien war — die Maschine zum International Lincoln Airport zurückflog.