Выбрать главу

Keith wußte, daß die Air-Force-Maschine in Hawaii gestartet war, über der Westküste in der Luft aufgetankt hatte und sich auf einem Non-Stop-Flug mit dem Ziel Andrews Air Force Base bei Washington befand. Doch westlich der kontinentalen Wasserscheide hatte es einen Maschinenschaden gegeben und später Störungen in der elektrischen Anlage, was den Kommandanten des Flugzeugs veranlaßte, eine unplanmäßige Landung in Smoky Hill, Kansas, zu wählen. In Smoky Hill war aber die Schneeräumung der Landebahn noch nicht beendet gewesen, und die KC-135 wurde nach Lincoln International umgeleitet. Die Routenkontrolle gängelte den Militärflug nordostwärts über Missouri und Illinois. In dreißig Meilen Entfernung übernahm dann die Anflugkontrolle West, in Person von Keith Bakersfeld, die Maschine. Bald danach war dann zusätzlich zu den anderen Schwierigkeiten für den Piloten die Funkverbindung ausgefallen.

Waren die Flugbedingungen normal, vermieden Militärflugzeuge meistens zivile Flughäfen. Doch bei einem derartigen Sturm wurde ohne weiteres um Hilfe gebeten und Hilfe gewährt.

In dem verdunkelten, dichtbesetzten Raum kamen, ebenso wie Keith, auch andere Kontroller ins Schwitzen. Aber keine Spur von Hochdruck oder Spannung darf durch die Stimme des Kontrollers verraten werden, wenn er mit Piloten in der Luft spricht. Die Piloten hatten ja stets und ständig sich um genug anderes zu kümmern. Heute abend jedoch, bei Sturm und dauerndem Blindflug mangels jeder Sicht, vervielfältigten sich die Anforderungen an ihre Tüchtigkeit und ihre Geschicklichkeit. Die meisten der Piloten hatten bereits, infolge der durch den starken Verkehr verursachten Verspätungen, Überstunden geflogen; jetzt würden sie noch länger in der Luft bleiben müssen.

Von jeder Radarkontrollstelle ging ein schneller ruhiger Strom von Weisungen aus, weitere Flüge dem Gefahrengebiet fernzuhalten. Die Maschinen warteten darauf, daß sie an die Reihe kämen zum Landen, und alle paar Minuten stießen neue Anflüge zu ihnen, die aus den Luftkorridoren kamen. Ein Kontroller rief leise, aber dringend über die Schulter: »Verdammt, der hat mir noch gefehlt! Kannst du mir Delta Sieben-Drei abnehmen?« Das war die Art der Kontroller, wenn sie in Schwierigkeiten kamen und mehr hatten, als sie bewältigen konnten. Eine andere Stimme: »Himmel! — hab selbst gerade genug . . . Warte mal! . . . Wahrhaftig, ich hab ihn.« Eine Sekunde Pause. »Delta Sieben-Drei von Lincoln Anflugkontrolle. Links abbiegen; Kurs Eins-Zwei-Null. Höhe beibehalten, viertausend!« Kontroller halfen sich untereinander, wenn sie konnten. Ein paar Minuten später mochte der zweite vielleicht selber Hilfe brauchen. »He! Paß auf den Northwest auf, der kommt durch von der anderen Seite. Mein Gott! Das wird ja jetzt wie auf der Hauptstraße bei Büroschluß.« — »American Vier-Vier, gegenwärtigen Kurs halten. Geben Sie Ihre Höhe an . . . Abfliegende Lufthansa vom Kurs abgekommen. Bringt ihn doch zum Kuckuck aus dem Anflugsgebiet!« . . . Abfliegende Maschinen wurden weit um die Gefahrenzone herumgeleitet, aber Anflüge mußten aufgehalten werden, und kostbare Landezeit ging verloren. Selbst später, wenn die Gefahr vorüber war, würde es, das wußte jeder, eine Stunde oder mehr dauern, das Verkehrsdurcheinander aufzulösen, Keith Bakersfeld gab sich große Mühe, seine Konzentration nicht zu verlieren und eine klare Vorstellung von seinem Sektor und jedem Flugzeug in ihm zu behalten. Das erforderte ständiges Auswendiglernen — Identifikation, Position, Flugzeugtyp, Geschwindigkeit, Höhe, Reihenfolge der Landungen — ein detailliertes dreidimensionales Diagramm mit dauernden Änderungen — ein Bild, das niemals gleichblieb. Selbst in ruhigeren Zeiten ließ die geistige Spannung nicht nach; heute abend verlangte der Sturm das Äußerste an Konzentration. Der Alptraum jedes Kontrollers war, »das Bild zu verlieren«, ein Augenblick, in dem ein überanstrengtes Gehirn rebellierte und alles leer wurde. Das kam gelegentlich vor, selbst bei den Besten.

Keith war einer der Besten gewesen. Bis vor einem Jahr war er es, an den sich die Kollegen wandten, wenn die Konzentration unter dem Hochdruck nachließ. »Keith, mir wird mulmig! Kannst du ein paar übernehmen?« Und das tat er immer.

Doch in letzter Zeit waren die Rollen vertauscht. Nun deckten ihn die Kollegen, soweit sie nur konnten, aber es gab eine Grenze dafür, wie weit ein Mensch einem anderen helfen und gleichzeitig die eigene Arbeit verrichten konnte.

Weitere Instruktionen über Funk wurden nötig. Keith war allein; Tevis, der Inspektor, hatte sich und seinen Hochsitz durch den Raum katapultiert, um einen anderen Kontroller zu überprüfen. Keiths Gedanken trafen Entscheidungen: Schick Braniff nach links, Air Canada nach rechts, Eastern um hundertachtzig Grad. Das geschah; auf dem Schirm änderten die Punkte die Richtung. Die langsamer fliegende Lake Central Convair konnte noch eine Minute in Ruhe gelassen werden. Die schnelle Düsenmaschine der Swissair aber nicht; sie konvergierte mit Eastern. Swissair muß sofort neuen Kurs kriegen, aber welchen? Denk schnell nach! Fünfundvierzig Grad, aber nur für eine Minute, dann wieder rechts. Behalte TWA und Northwest im Auge. Ein neuer Flug kommt aus Westen in hohem Tempo — identifiziere und finde mehr Luftraum. Konzentrieren, konzentrieren!

Keith beschloß erbittert: Er würde das Bild nicht verlieren; heute abend nicht, jetzt nicht.

Dafür gab es einen Grund; ein Geheimnis, das er mit keinem Menschen geteilt hatte, nicht einmal mit Natalie, seiner Frau. Nur Keith Bakersfeld, nur Keith allein, wußte, daß er heute zum letztenmal vor einem Radarschirm saß und eine Wache durchstand. Heute war sein letzter Tag bei der Flugsicherung. Bald würde es vorüber sein.

Es war auch der letzte Tag seines Lebens.

»Machen Sie eine Pause, Keith.«: Es war die Stimme des Dienstleiters.

Keith hatte den Dienstleiter nicht hereinkommen sehen. Es war unbemerkt geschehen, und nun stand er neben dem Inspektor.

Vor einem Augenblick noch hatte Tevis dem Dienstleiter in aller Ruhe gesagt: »Keith ist ganz in Ordnung, glaube ich. Vor ein paar Minuten war ich besorgt, aber er scheint sich zusammengerissen zu haben.« Tevis war froh, daß er den drastischen Schritt, an den er vorher gedacht hatte, nicht anzuwenden brauchte, doch der Dienstleiter flüsterte: »Wir wollen ihn aber auf jeden Fall eine Weile ablösen.« Und als Nachsatz: »Ich übernehme das.«

Als Keith flüchtig die beiden Männer zusammenstehen sah, wußte er sofort, weshalb er abgelöst wurde. Die Krise war ja immer noch da, und sie trauten ihm nicht. Die Pause war ja nur ein Vorwand; sie war für ihn erst in einer halben Stunde fällig. Sollte er dagegen protestieren? Für einen Kontroller seines Dienstalters war das eine Schande, die von den anderen bemerkt wurde. Dann dachte er aber: Warum jetzt einen Streitfall daraus machen? Es lohnte sich nicht. Außerdem würden ihm zehn Minuten Pause gut tun.

Hinterher, wenn die schlimmste Gefahr vorüber war, konnte er ja für den Rest der Schicht wieder an die Arbeit zurückkehren.

Wayne Tevis beugte sich vor. »Lee wird Sie ablösen, Keith.« Er ging zu einem anderen Kontroller, der gerade von seiner Pause zurückgekommen war — einer planmäßigen.

Keith nickte ohne Kommentar, obgleich er an seinem Platz blieb und weitere Weisungen an Flugzeuge gab, während der neue Mann sich ins Bild setzte.

In der Regel brauchte ein Kontroller mehrere Minuten, um an einen anderen zu übergeben. Der Ablösende mußte das Radarbild studieren, eine Übersicht von der Gesamtlage gewinnen. Er mußte sich völlig darauf einstellen.

Diese innere Vorbereitung gehörte zur Arbeit. Die Kontroller nannten es »das Messer wetzen«, und Keith hatte es in seinen fünfzehn Jahren bei der Flugsicherung regelmäßig beobachtet, bei anderen und bei sich selbst. Man tat das, weil man es tun mußte, wenn man einen Dienst übernahm. Zu anderen Zeiten wurde es eine Reflexhandlung, so zum Beispiel, wenn Kontroller gemeinsam zur Arbeit fuhren, wie es manche taten. Bei der Abfahrt von zu Hause war die Unterhaltung entspannt und normal. An diesem Punkt der Fahrt erfolgte auf eine belanglose Frage wie: »Gehst du am Samstag zum Ballspiel?« eine ebenso belanglose Antwort — »Klar«, oder »Schaff es diese Woche wohl nicht.« Aber je näher man dem Arbeitsplatz kam, desto knapper wurde die Unterhaltung, so daß die gleiche Frage — eine viertel Meile vor dem Flughafen — ein knappes »Ja« oder »Nein« auslösen würde.