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Die mit dem Unterrichten verbundenen Risiken und die zusätzliche psychische Belastung waren so groß, daß viele Kontroller sich weigerten, sie auf sich zu nehmen. Sie wiesen darauf hin, daß dieser Unterricht ihnen weder offizielle Anerkennung noch zusätzliche Bezahlung einbrachte. Außerdem war der unterrichtende Kontroller voll verantwortlich, wenn irgend etwas schiefging. Warum diese Verantwortung für nichts und wieder nichts auf sich nehmen?

Keith jedoch hatte sowohl Begabung als Lehrer als auch die Geduld gezeigt, seine Schüler voranzubringen. Und obwohl auch er manchmal Qualen litt und schwitzte, übernahm er diese Aufgabe, weil er sich dazu verpflichtet fühlte. In diesem Augenblick war er stolz darauf, wie gut George Wallace sich entwickelt hatte.

Wallace sagte wieder ruhig: »Ich würde United 284 nach rechts abdrehen, bis der Höhenunterschied zu der Mohawk groß genug ist.«

Keith nickte zustimmend, während er auf den Schaltknopf an seinem Mikrofon drückte. »An United 284 von Washington Center. Nach rechts abdrehen, Kurs Null-Sechs-Null.«

Sofort kam knisternd die Antwort: »An Washington Center von United 284. Kurs Null-Sechs-Null. Verstanden.«

Meilen entfernt und hoch oben im strahlend hellen Sonnenlicht bog die mächtige, schnittige Düsenmaschine in eine glatte elegante Kurve, während die Passagiere dösten oder lasen. Der hellgrüne halbzollgroße Punkt auf dem Radarschirm, der die United 284 anzeigte, bewegte sich in eine andere Richtung.

In einem großen Raum unter der Radarstation standen in Regalen Tonbandgerät neben Tonbandgerät, die die Gespräche zwischen Boden und Luft aufnahmen, damit sie später abgespielt werden konnten, falls sich die Notwendigkeit ergab. Jedes dieser Gespräche, von jedem Arbeitsplatz im Kontrollraum, wurde aufgezeichnet und aufbewahrt. In regelmäßigen Abständen wurden einige Bänder von Inspektoren kritisch abgehört. Wenn etwas falsch gemacht worden war, bekam der betreffende Kontroller das zu wissen; aber kein Kontroller erfuhr jemals, wann eines seiner Bänder zur Überprüfung ausgesucht wurde. Die Tür zu dem Raum mit den Tonbandgeräten trug ein improvisiertes Schild, das mit Galgenhumor mahnte: »Der große Bruder hört dich.«

Der Vormittag verstrich.

In regelmäßigen Abständen erschien Perry Yount. Er überwachte nach wie vor zwei Positionen und blieb jedesmal lange genug, um die gegenwärtige Verkehrslage einzuschätzen. Was er sah, schien ihn zufriedenzustellen, und er verbrachte weniger Zeit hinter dem Platz von Keith als bei der anderen Station, wo sich verschiedene Probleme zu ergeben schienen. Um die Mitte des Vormittags ließ der Verkehr etwas nach; bis zum Mittag würde er wieder anwachsen. Kurz nach 10.30 Uhr wechselten Keith Bakersfeld und George Wallace die Plätze. Jetzt saß der in Ausbildung befindliche Kontroller am Radarschirm und Keith neben ihm zur Überwachung. Keith fand keinen Anlaß einzugreifen; der junge Wallace zeigte sich fähig und aufmerksam. Soweit es die Umstände erlaubten, entspannte Keith sich.

Um zehn vor elf mußte Keith auf die Toilette. In den letzten Monaten hatte er verschiedentlich unter Anfällen von Darmgrippe gelitten, und er befürchtete, daß ihm wieder eine bevorstand. Er winkte Perry Yount heran und unterrichtete ihn.

Der Inspektor nickte. »Wie macht sich George?«

»Wie ein alter Hase«, antwortete Keith so laut, daß George es hören konnte.

»Ich behalte alles im Auge«, sagte Perry. »Sie können eine Pause machen, Keith.«

Keith trug sich im Dienstbuch ein und vermerkte den Zeitpunkt der Unterbrechung seines Dienstes. Perry kritzelte seine Initialen auf die nächste Zeile des Dienstbuchs und übernahm damit die Verantwortung über Wallace. In wenigen Minuten, sobald Keith zurückgekommen war, würde sich der Vorgang wiederholen.

Als Keith den Radarraum verließ, studierte der Inspektor den Radarschirm, die Hand leicht auf die Schulter von George Wallace gelegt.

Die Toilette, die Keith aufsuchte, lag in einem höheren Stockwerk. Ein Milchglasfenster ließ etwas von der Tageshelligkeit draußen herein. Als Keith fertig war und sich zur Erfrischung das Gesicht gewaschen hatte, trat er ans Fenster und öffnete es. Er fragte sich, ob das Wetter noch so herrlich sei wie zu der Stunde, als er gekommen war. Es hatte sich nicht geändert.

Von der Rückseite des Gebäudes, in der sich das Fenster befand, konnte er hinter einem Hof grüne Wiesen, Bäume und wilde Blumen sehen. Es war jetzt wärmer geworden. Ringsumher erklang das einschläfernde Summen von Insekten.

Keith stand da und blickte hinaus. Er verspürte eine Abneigung, sich vom Anblick des heiteren Sonnenglanzes loszureißen und in das Halbdunkel des Kontrollraums zurückzukehren. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er in letzter Zeit auch schon aus anderen Anlässen ähnliches empfunden hatte — zu oft vielleicht. Und er dachte: Wenn er ehrlich war, dann war es nicht das Halbdunkel, gegen das er Abneigung empfand, sondern der psychische Druck. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als die Anspannung und der Druck seiner Arbeit, so unbarmherzig sie waren, ihn nicht gestört hatten. Neuerdings war das anders geworden, und gelegentlich mußte er sich dazu zwingen, sie auf sich zu nehmen.

Während Keith Bakersfeld am Fenster stand und nachdachte, näherte sich eine Northwest Orient 727 auf dem Weg von Minne-apolis-St.Paul Washington.In der Kabine beugte sich eine Stewardess über einen älteren Passagier. Sein Gesicht war aschgrau; er schien unfähig zu sein, zu sprechen. Die Stewardess glaubte, daß er einen Herzanfall gehabt hätte oder gerade einen erlitt. Sie eilte nach vorn zur Pilotenkanzel, um den Kapitän zu informieren. Sekunden später ersuchte der Erste Offizier der Northwest aufBefehl des Kapitäns das Washington Air Route Center darum, die Höhe zu vermindern und die Maschine bevorzugt zum Washington National Airport durchzuschleusen.

Keith fragte sich manchmal in solchen Augenblicken, für wie viele Jahre noch er seinen gelegentlich erschöpften Kopf zwingen könne, durchzuhalten. Er war jetzt seit anderthalb Jahrzehnten Kontroller. Er war achtunddreißig Jahre alt.

Das Deprimierende war: In seinem Beruf konnte man im Alter von fünfundvierzig oder fünfzig Jahren psychisch ausgelaugt, ein alter Mann sein, aber eine ehrenvolle Pensionierung war erst in zehn oder fünfzehn Jahren zu erwarten. Für viele Kontroller erwiesen sich diese letzten Jahre als eine allzu grausame Wegstrecke, deren Ende sie nicht erreichten.

Keith wußte wie die meisten Kontroller, daß die physische Belastung des Organismus der Leute, die bei der Flugsicherung arbeiteten, seit langem erkannt war. Die Krankengeschichten der amtliehen Luftfahrtärzte lieferten dafür Beweise in Hülle und Fülle. Diese Krankengeschichten von Fällen, die sich unmittelbar auf die Arbeit als Kontroller zurückführen ließen, umfaßten überhöhter Blutdruck, Herzanfälle, Magengeschwüre, Tachykardie, psychische Zusammenbrüche sowie zahllose kleinere Leiden. Angesehene unabhängige Mediziner hatten diese Ergebnisse in wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt. Ein namhafter Forscher faßte das Ergebnis in folgenden Worten zusammen: »Ein Kontroller verbringt aus Nervosität jede Nacht schlaflose Stunden, in denen er sich fragt, wie es ihm, um Gottes willen, gelungen ist, alle diese Flugzeuge vor Zusammenstößen zu bewahren. Heute ist es ihm gelungen, eine Katastrophe zu verhindern, aber wird er morgen das gleiche Glück haben? Nach einer gewissen Zeit bricht in ihm unvermeidlich etwas zusammen — sei es physisch oder psychisch —, und oft genug beides.« Mit diesen Kenntnissen und weiteren bewaffnet, drängte die Federal Aviation Agency den Kongreß, Flugsicherungskontrollern ein Pensionsalter von fünfzig Jahren, oder nach zwanzigjährigem Dienst zuzugestehen. Diese zwanzig Jahre, erklärten die Ärzte, seien vierzig Jahren in den meisten anderen Berufen gleichzusetzen. Die FAA warnte die Gesetzgeber, daß es dabei um die öffentliche Sicherheit gehe; nach zwanzig Jahren Dienst könnten die Kontroller nicht mehr als zuverlässig gelten. Der Kongreß hatte, wie Keith wußte, diese Warnung ignoriert und jede Maßnahme abgelehnt.