Als das Mädchen gegangen war, drehte sich Tanya auf ihrem Sessel um und wandte sich Mel zu. »Wie geht's?« fragte sie gutgelaunt
Er legte die Zeitung nieder, in die er hineingeblickt hatte, und lächelte sie an. »Wie geht's selbst?«
»Haben Sie meine Nachricht bekommen?«
»Ich bin gekommen, um mich dafür zu bedanken, obwohl ich wahrscheinlich auch so gekommen wäre.« Er deutete auf die Tür, durch die das Mädchen verschwunden war, und fragte: »Was hat es denn hier gegeben? Einen Nervenzusammenbruch?«
»Nicht ganz so schlimm.« Sie erzählte ihm den Vorfall.
Mel lachte. »Müde bin ich auch. Wollen Sie mich nicht auch in einem Taxi nach Hause schicken?«
Tanya sah ihn forschend an. Der Blick ihrer leuchtenden hellblauen Augen war bemerkenswert direkt Sie hatte den Kopf zur Seite geneigt, und die Deckenbeleuchtung ließ auf ihrem Haar rote Glanzlichter reflektieren. Eine schlanke Figur, aber wohlgeformt, was die anliegende Uniform der Fluggesellschaft noch hervorhob . . . Wieder fiel Mel auf, wie anziehend und begehrenswert sie war.
»Das wäre zu erwägen«, antwortete sie, »vorausgesetzt, daß das Taxi zu meiner Wohnung fährt und ich für Sie Abendessen machen darf. Sagen wir: Hammelragout.«
Er zögerte und wog die einander ausschließenden Verpflichtungen gegeneinander ab und schüttelte dann resigniert den Kopf. »Ich wollte, ich könnte es annehmen. Aber wir haben hier einige Schwierigkeiten, und anschließend muß ich in die Stadt.« Er stand auf. »Aber Kaffee wollen wir wenigstens zusammen trinken.«
»Also gut«
Mel hielt ihr die Tür auf, und sie traten in die belebte und geräuschvolle Haupthalle hinaus.
Vor den Schaltern der Trans America drängten sich jetzt noch mehr Leute als vorhin. »Ich habe nicht lange Zeit«, sagte Tanya. »Meine Schicht dauert heute noch zwei Stunden.«
Während sie sich zwischen den Menschen und den Stapeln von Gepäck hindurchdrängten, mäßigte sie ihren im allgemeinen flinken Schritt und paßte sich Mels langsamerem Tempo an. Sie bemerkte, daß er stärker als sonst hinkte. Sie hätte gern seinen Arm genommen, um ihm zu helfen, unterließ es aber lieber. Sie trug noch die Uniform der Trans America, und der Klatsch lief schon schnell genug um, ohne daß man ihm aktiv Nahrung gab. Die beiden waren in letzter Zeit häufig zusammen gesehen worden, und Tanya war überzeugt, daß die Klatschmaschine des Flughafens — die wie ein Dschungeltelegraf mit der Geschwindigkeit eines Computers arbeitete — bereits davon Kenntnis genommen hatte. Wahrscheinlich wurde angenommen, daß sie und Mel miteinander ins Bett gingen, obwohl zufällig gerade das nicht stimmte.
Sie gingen zum Cloud Captain's Coffee Shop in der Haupthalle.
»Aber dieses Hammelragout«, begann Mel. »Könnte das nicht an einem anderen Abend stattfinden? Sagen wir mal übermorgen?«
Tanyas spontane Einladung hatte ihn überrascht. Sie waren zwar schon zusammen ausgegangen, zu einem Drink und zum Abendessen — aber bis jetzt hatte sie noch keine Einladung in ihre Wohnung ausgesprochen. Selbstverständlich war es möglich, daß er nur zum Essen gebeten wurde. Trotzdem — es bestand immerhin die Möglichkeit, daß es mehr bedeutete.
In letzter Zeit hatte Mel das Gefühl, wenn sie ihre Begegnungen außerhalb des Dienstes auf dem Flughafen fortsetzten, könnte eine natürliche und naheliegende Entwicklung einsetzen. Aber er war vorsichtig gewesen. Sein Instinkt warnte ihn davor, daß eine Affäre mit Tanya nicht nur eine vorübergehende Romanze sein würde, sondern etwas, worin sie beide emotionell tief verstrickt würden. Auch mußten seine Probleme mit Cindy berücksichtigt werden. Es würde sehr schwierig sein, für sie Lösungen zu finden, falls überhaupt Lösungen dafür gefunden werden konnten, und die Zahl der Probleme, mit denen ein Mann sich gleichzeitig befassen konnte, war begrenzt. Es ist eine merkwürdige Situation, dachte er, daß es leichter zu sein scheint, mit einer Affäre fertigzuwerden, wenn man in einer gesicherten Ehe lebt, als wenn diese Ehe erschüttert ist. Wie dem auch sei, Tanyas Einladung war zu verlockend, um sie zu übergehen.
»Übermorgen ist Sonntag«, erinnerte sie ihn, »aber ich habe an dem Tag frei, und wenn Sie es arrangieren können, habe ich mehr Zeit.«
Mel lächelte. »Kerzen und Wein also?«
Er hatte vergessen, daß es ein Sonntag war. Aber er würde trotzdem zum Flughafen kommen, denn selbst wenn der Schneesturm weiterzog, würde er seine Nachwirkungen haben. Und was Cindy anging, sie selbst war an Sonntagen mehrfach fortgegangen, ohne daß sie Gründe dafür angegeben hatte.
Einen Augenblick wurden Mel und Tanya getrennt, als sie einem eiligen Mann mit einem frischen, geröteten Gesicht auswich, dem ein Gepäckträger mit einem Karren folgte, dessen Ladung Golfschläger und Tennisracketts krönten. Wohin diese Ladung auch bestimmt ist, dachte Tanya neidisch, sie geht bestimmt weit, weit nach Süden.
»Einverstanden«, antwortete sie, als sie sich wieder trafen. »Kerzen und Wein.«
Als sie in die Kaffeestube eintraten, erkannte eine flinke Kellnerin Mel sofort und führte ihn vor anderen zu einem kleinen Tisch im Hintergrund, mit dem Schild »Reserviert«, an dem die leitenden Leute des Flughafens oft saßen. Als er sich setzen wollte, kam er etwas ins Stolpern und griff nach Tanyas Arm. Die aufmerksame Kellnerin ließ schnell ihre Blicke, mit dem Anflug eines Lächelns, über die beiden schweifen. Klatschmaschine, paß auf, dir steht Nahrung bevor, dachte Tanya.
Laut sagte sie: »Haben Sie je solche Menschenmassen gesehen? Das sind die schlimmsten drei Tage, die ich je erlebt habe.«
Mel sah sich in der dichtgefüllten Kaffeestube um. Der Stimmenlärm wurde durch das Geschirrklappern gelegentlich noch übertönt. Er deutete mit dem Kopf zur Eingangstür, durch die sie gerade gekommen waren, und durch die sie wirbelnde, sich drängende Menschenschwärme sehen konnten. »Wenn Sie das schon für eine große Horde halten, dann warten Sie erst mal ab, bis die Lockheeds L-500 in Dienst gestellt werden.«
»Ich weiß — wir werden ja kaum mit den 747 fertig. Aber tausend Passagiere, die sich dann auf einmal vor den Empfangsschaltern drängen — Gott sei uns gnädig!« Tanya schauderte. »Können Sie sich vorstellen, wie es zugehen wird, wenn die alle ihr Gepäck abholen. Ich wage nicht, auch nur daran zu denken.«
»Das tun viele andere auch nicht — Leute, die aber heute schon daran denken sollten.« Es amüsierte ihn, daß ihr Gespräch sich bereits der Luftfahrt zugewendet hatte. Flugzeuge und Fluggesellschaften faszinierten Tanya, und sie sprach gern darüber. Das galt auch für Mel, und hier lag einer der Gründe, weshalb er ihre Gesellschaft liebte.
»Welche Leute denken nicht daran?«
»Jene, die die Verkehrspolitik bestimmen — für Flughäfen und Luftverkehr. Die meisten tun so, als ob die Düsenmaschinen von heute ewig fliegen würden. Sie scheinen zu glauben, wenn sich jeder still und ruhig verhielte, würden die neuen großen Maschinen verschwinden und uns nicht belästigen. Auf diese Weise brauchten wir dann keine Bodeneinrichtungen, die diesen Maschinen entsprechen.«
Tanya sagte nachdenklich: »Aber auf den Flughäfen wird doch rege gebaut. Man sieht es überall, wohin man auch kommt.«
Mel bot ihre eine Zigarette an, aber sie schüttelte ablehnend den Kopf. Er zündete sich selbst eine an, ehe er antwortete. »Die meisten Bauarbeiten sind Flickwerk — Umbauten und Erweiterungen an Flughäfen, die in den fünfziger Jahren oder Anfang der sechziger entstanden sind. Aber wenig ist wirklich voraussehend geplant. Es gibt Ausnahmen — eine davon ist Los Angeles; Tampa in Florida und Dallas/Fort Worth in Texas sind andere. Das werden einzigen Flughäfen der Welt sein, die für die neuen Mammutmaschinen mit Überschallgeschwindigkeit bereit sind. Kansas City,
Houston und Toronto machen sich nicht schlecht. San Francisco hat einen Plan, aber der kann politisch torpediert werden. In Nordamerika gibt es sonst nicht viel, das einem imponieren könnte.«