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Die Männer gingen im Boot nur in Strümpfen herum, und auch das nur, wenn es unbedingt nötig war. Die meisten lagen auf ihren Betten und lasen, dösten vor sich hin, unterhielten sich flüsternd, spiel-ten Karten, indem sie die einzelnen Blätter wie Seidenpapier auf die Tische schweben ließen, oder würfelten auf Wolldecken. Jeder unnötige Lärm wurde vermieden.

Nicholson saß im Kommandantenraum und schrieb ins Bordbuch die volle Wahrheit hinein. Es war ein Bericht, der ihm später den Nak-ken brechen würde, wenn er die Unterquerung des Nordpols wirklich hinter sich bringen sollte. Er versuchte keine Erklärungen, er schrieb mit militärischer Nüchternheit nur die Meldungen, die seine Schuld dokumentierten.

Schuld? War Menschlichkeit eine Schuld? War Liebe ein Verbrechen? Ist ein Commander ein anderer Mann als Millionen normaler Männer? Bestand die Welt denn nur noch aus einem U-Boot?

Es wurde nicht danach gefragt. Wer Amerikas größtes und empfindlichstes Geheimnis befehligte, hat aufzuhören, normal zu sein. Der Admiral hatte Nicholson darüber nie im unklaren gelassen.»Jack«, hat er gesagt,»fühlen Sie sich stark genug, diese Aufgabe zu übernehmen? Seien Sie sich klar darüber, Sie verlassen eine gewohnte Welt und werden selbst eine neue Welt! Es gibt dann kein Zurück mehr.«

Und Jack Nicholson hat geantwortet:»Sir, ich fühle mich stark genug. Die Navy ist meine Familie. Das wissen Sie.«

«Ich habe nichts anders erwartet, Jack. «Damals war der Admiral wirklich wie ein Vater gewesen. Er hatte Nicholson umarmt.»Ich hätte auch sonst keinen gewußt, dem ich das Boot ohne tiefe Sorge anvertrauen kann.«

Wie lange war das jetzt her? Fast ein Jahr! Damals wurde an der POSEIDON I noch gearbeitet. Die elektronischen Instrumente wurden eingebaut. Von den U-Boot-Basen und aus dem Marinesonderausbildungslager kamen die Namen und Personalakten nach Rochester, aus denen man dann die dreihundert Besten auswählte. Vor einem Jahr fast… was hatte sich seither alles getan!

Nicholson hatte sich zweimal verliebt: Einmal in sein Boot, das zweitemal in Monika, und diese zweite Liebe, die jetzt alles überstrahlte, die alles Bisherige sinnlos werden ließ, war nie einkalkuliert worden, weil sie es nach Jacks Ermessen nie geben konnte. Er hatte immer und allen Ernstes geglaubt, zu einer großen Liebe nie fähig zu sein, nicht, weil ihm einige Hormone fehlten, sondern weil er zu der Navy ein geradezu erotisches Verhältnis hatte, das alles andere ausschloß. Hier und da einmal eine flüchtige Bettgeschichte. Natürlich, die gab es. Jeder Dampfkessel hat ein Ventil, aus dem es einmal pfeift. Aber daß es möglich war, ein Mädchen wie Monika Herrmann zu sehen und von da an nur noch sie zu sehen, ob er die Augen offenhielt, ob er sie schloß — nur noch ihr blondes Haar zwischen seinen Fingern zu fühlen, ihren Atem auf seiner Haut zu spüren, ihren glatten jungen Körper mit dem seidigen Haarflaum immer gegenwärtig zu haben, auch in Gedanken so greifbar nahe, daß er oft die Hand ausstreckte, um sie zu berühren. und wenn sie nicht da war, so zog dennoch die Wärme ihres Leibes durch seine Handflächen — kurzum, das alles war ein so ungeheures Erlebnis, daß er jetzt in sein Bordbuch schrieb: >Es war notwendig, gegen den vorliegenden Befehl sowohl Kurs als auch Aufgabenstellung vorübergehend zu ändern und den Realitäten anzupassen.<

Realität?

Jack Nicholson legte den Kugelschreiber hin und klappte das Bordbuch zu. Die Realität ist, dachte er, daß wir wahrscheinlich alle vor die Hunde gehen. Wir hier unten in dem stählernen Sarg, und die da drüben auf dem vereisten Land erst recht. Sie glauben, daß wir VENUS XI erreicht haben und werden warten, bis sie nichts mehr haben, keine Verpflegung, kein Propangas zum Wärmen und Kochen, kein Holz für ein Feuer und schließlich keinen Willen mehr zum Leben. Sie werden erfrieren oder sich in sinnloser Panik gegenseitig umbringen. Die letzten Überlebenden werden die anderen auffressen, aber auch dieser Kannibalismus wird sie nicht retten. Es wird alles zu Ende sein: Das Boot, die dreihundert fantastischen Jungs, die Mädchen, die große Liebe, die letztlich an allem schuld ist. Das ist die Realität, Jack Nicholson. Denn da oben, über dir, lauert der Russe. Noch weiß er von dir nichts, noch ist alles ein verdammter Zufall… aber was alles auf der Welt ist nicht schon zugrunde ge-gangen durch einen kleinen Zufall?

Auf Strümpfen ging Nicholson durch sein Boot zum Sonarraum. Hier hockten seine Spezialisten und beobachteten die feinen Meßinstrumente. Leutnant Surakki, der Mann, der aus einem Punkt im Sonarschreiber ein ganzes Buch ableiten konnte, hockte vor den elektronischen Ohren und beobachtete die zitternden Meßnadeln, die Kurvenanzeiger, die flimmernden Punkte auf dem Radar und die Daten, die ihm das lautlose Echolot lieferte. Als er Nicholson sah, nahm er seinen Kopfhörer ab und deutete auf die Anzeigetafeln.

«Die Russen haben Nerven, Sir«, sagte er flüsternd.»Sie machen einen Krach, als wären sie allein auf der Welt.«

«Das glauben sie auch in dieser Gegend zu sein, Pit. Irgendwelche Anzeichen, daß sie unsere Leute an Land gesehen haben?«

«Noch nicht, Sir. «Pit Surakki hob die Schultern. Nicholson nickte.

«Aber Sie erwarten es? Ich auch, Pit! Und wir können ihnen nicht helfen, das ist das Schreckliche!«

«Was soll ihnen passieren, Sir?«Surakki lehnte sich zurück. Der Sonarschreiber als Kontrolle hackte große Zacken auf den Papierstreifen. Im sowjetischen U-Boot mußten Geschirre klirren, Musik dröhnen, laute Rufe hin und her fliegen. Die neuen, bisher nur einmal, und zwar in der POSEIDON I eingebauten elektronischen Geräuschempfänger, die ihre Meßwerte an einen Computer weitergaben, der dann in einem Bruchteil von Sekunden die Entfernungen ausrechnete, arbeiteten exakt. Das sowjetische Boot lag genau 372,47 Meter von der POSEIDON I entfernt an der Meeresoberfläche. Ein anderer elektronischer Computerschreiber hatte ebenso peinlich genau das gegnerische U-Boot beschrieben: Länge, Breite, Höhe, Tiefgang. Nicholson hätte es jetzt maßstabgerecht auf Millimeterpapier zeichnen können. Ein Wunderwerk der Elektronik.

«Wenn man unsere Leute sieht, wird man sie auf das russische Boot holen, und sie sind gerettet«, sagte Leutnant Surakki.»Man sollte es ihnen eigentlich wünschen. Was soll ihnen denn geschehen?«

«Pit, da lesen die Russen fünfzehn amerikanische Matrosen, zwei

Offiziere und einen Marinearzt auf, und dazu noch fünf Mädchen, ebenfalls Amerikanerinnen. Und das alles auf Grönland, wo es am einsamsten ist! Glauben Sie, die Sowjets sind blöd? Man wird die Leute in die Zange nehmen.«

«Wir haben keinen Krieg, Sir!«

«Keinen offenen, Pit! Aber wer will die Russen hindern, zum Beispiel die Mädchen so durch die Mangel zu drehen, daß sie alles sagen, was sie hier bei uns gesehen haben? Und die Mädchen werden singen. Es gibt da schmerzlose Methoden, die ungeheuer wirksam sind. Jeder Geheimdienst kennt sie, auch der unsere! Und dann wissen die Russen, daß da durch das Meer ein dickes Geheimnis schippert. Was werden sie tun? Sie nehmen sich unsere Männer vor, und die natürlich härter als die Mädchen. Wieder die Frage: Wer will sie daran hindern? Sie drehen die ganze Sache als Spionage auf und haben dann das Recht, auf die Pauke zu hauen.«

«Das gäbe ungeheure Verwicklungen, Sir.«

«Einen Scheißdreck gäbe das! Glauben Sie, das Weiße Haus läßt wegen achtzehn Mann und fünf Mädchen die Atome los? Man wird alles ableugnen, alles als Propaganda hinstellen, sogar die Verurteilung unserer Männer als Spione hinnehmen und sie später austauschen. und uns wird man jagen. Mit allen Mitteln! Die Chancen, dann zu entkommen, sind gleich Null.«