Er zog seinen dicken Pelz an, stülpte die Pelzkappe bis weit über die Ohren auf seinen dicken Schädel, band sich einen Wollschal um den Mund, daß nur die Augen freiblieben, setzte eine Schneebrille auf und ließ sich die Fellhandschuhe um die Handgelenke binden. Leutnant Hendricks, der das tat, benutzte dazu eine Nylonschnur.
«Viel Glück, Doc«, sagte er dabei.»Ich würde kriechen. Das gibt die geringste Angriffsfläche.«
«Genau das habe ich auch vorgehabt!«Blandy trat an den Eingang.»Verdrückt euch, Jungs«, sagte er laut.»Für ein paar Augenblicke wird der Sturm hineinblasen. Bernie, reißen Sie sofort hinter mir den Verschluß wieder zu! Kümmern Sie sich bloß nicht darum, was mit mir passiert!«
Er öffnete den Reißverschluß, der Sturm heulte sofort ins Zelt und warf Schneestaub hinein. Mit einem Hechtsprung fast stürzte Dr. Blandy ins Freie und ließ sich dort sofort aufs Eis fallen. Der Sturm erfaßte ihn und riß ihn herum. Das ist doch nicht möglich, dachte er erschrocken. Ich wiege über zwei Zentner. Es ist, als wäre ich gegen eine Mauer gesprungen.
Er kroch auf allen vieren weiter. Der Sturm hämmerte auf ihn herunter wie mit Riesenfäusten, aber er kam vorwärts, auch wenn er sofort mit einer zähen Schnee- und Eisschicht bedeckt war.
Mit großer Erleichterung stellte er fest, daß das Mannschaftszelt noch stand und daneben, ebenfalls durch eine Eismauer geschützt, das kleinere Zelt der Mädchen. Es sah nicht mehr wie ein Zelt aus. Es glich eher einem Eskimo-Iglu, denn es war völlig zugeweht.
Dr. Blandy kroch weiter. Der Sturm packte ihn, als er zwischen den beiden schützenden Eismauern ein Stück freies Land überwinden mußte, mit einer solchen Wucht, daß er sich flach hinlegen mußte, um nicht weggerollt zu werden. Und wieder dachte er: So etwas von Wind gibt es gar nicht. Ich habe in der Südsee einen Tornado erlebt und dachte damals, toller geht's nicht. Und ein flaues Gefühl hatte ich im Magen. Aber das hier! Verdammt — Junge, bleib nicht liegen, beweg dich… du bist sonst in Sekundenschnelle ein Eiszapfen.
Er erreichte das kleine Zelt, hieb mit der Faust dagegen und schlug damit große Eisbrocken ab. Innen rührte sich nichts. Natürlich, sie denken, das ist der Wind, sagte sich Blandy. Und schreien nützt auch nichts. Sie können einen kaum hören.
Er trat gegen die vereiste, innen gepolsterte Leinwand, immer und immer wieder, und immer gegen die gleiche Stelle. Das müssen sie merken, dachte er. So dämlich kann keiner sein, zu glauben, daß der Sturm immer die gleiche Stelle einbeult. Nun bewegt euch schon, Mädchen! Ich spüre den Frost bereits auf den Knochen!
Auf der Eingangsseite bröckelte das Eis ab. Der Reißverschluß wurde von innen ein wenig geöffnet. Blandy sah die kühlen Augen Monikas und einen Schimmer von ihren blonden Haaren.
«Macht auf, ihr Süßen, ich bin Väterchen Frost!«brüllte Blandy gegen das Heulen des Sturmes.
Er half, den Reißverschluß so weit aufzuziehen, daß er sich in das Zelt zwängen konnte. Und sogleich riß er ihn wieder zu.
Die Wärme, die ihn empfing, war geradezu höllisch im Vergleich zu diesem Eiswind draußen. Die Polsterung des Zeltes war fabelhaft. Der Gasofen flackerte. Die Mädchen lagen auf ihren Matratzen, mit Decken umwickelt. Blandy's zweiter Blick — der erste hatte dem Gasofen gegolten — traf Evelyn Darring. Sie war wie immer geschminkt, ihr rotes Haar war zu frechen Locken gedreht. Jetzt roch er auch das Parfüm, dessen Duft das ganze Zelt erfüllte. Sehr süßlich — vermutlich der Extrakt irgendeiner tropischen Blume. Dr. Blandy nahm die Pelzmütze ab und öffnete den Mantel.
«Alles okay?«fragte er.
«Bis jetzt noch«, sagte Monika. Sie schien jetzt hier der Chef zu sein.»Wie haben Sie's überhaupt geschafft, bis hierzu zu uns?«
«Auf einer Duftwolke! Hier riecht es nämlich wie im Puff.«
«Es ist mein Parfüm, Bärchen!«Evelyn räkelte sich unter der Decke. Blandy kannte das. Die Geschmeidigkeit ihrer Glieder hatte ihn immer fasziniert. Sie konnte einen Mann umarmen, daß er völlig wehrlos, ja, eine Beute ihrer Glieder wurde. Eine Umklammerung, aus der allerdings auch keiner entrinnen wollte.
«Andere Sorgen habt ihr wohl nicht?«knurrte er und setzte sich auf eine Kiste mit Konserven.
«Genug!«sagte Lili Petersen.»Wenn Evelyn nicht ihr Parfüm bei sich hätte, stänke es hier ganz anders. Wir sind nicht anders gebaut als andere Menschen.«
«Wir haben nur einen Plastikeimer hier. «Monikas Blick ging in eine Ecke. Blandy folgte ihm und sah einen Stapel Decken.»Ja, da drunter!«sagte Monika, ehe Blandy eine Bemerkung machen konnte.»Es ist unmöglich, ihn auszuschütten.«
«Und wenn, dann nur gegen den Wind!«sagte Blandy und lachte.
«Sind Sie zu uns gekommen, um dämliches Zeug zu quasseln?«fauchte Dorette.»Wie soll das weitergehen!«
«Da müssen Sie den lieben Gott fragen, der diesen Sturm losgelassen hat. «Blandy klopfte gegen die Gasflasche. Sie klang ziemlich hohl.»Ohne diesen Sturm wären wir jetzt schon im warmen Schoß von VENUS XI. So verzögert sich die ganze Sache ein wenig, aber es ist kein Grund vorhanden, sich um die Testamente zu kümmern. Das wollte ich erst einmal gesagt haben.«
Das war gut und glatt gelogen, dachte er. Sie müssen es glauben. Wenn sie alle wüßten, welchen Verdacht ich habe! Ich werde darüber nachher mit Cornell und Hendricks sprechen. Wir können nicht hier oben bleiben, um Eisdenkmäler zu werden.
«Und was ist zweitens?«fragte Joan. Sie war dabei, mit einem Büchsenöffner eine Konserve aufzuschneiden. Sie hatte das Kochen übernommen.
«Wenn das Gas zu Ende geht, nützen euch auch eure heißen Körper nichts!«sagte Blandy und betrachtete sinnend den Gasofen.»Das war unsere stärkste Sorge, und sie ist es noch.«
«Wir haben genug Gasflaschen vom Boot mitgenommen«, sagte Monika.
«Aber wie kommen wir an sie heran? Wo liegen sie? Ich weiß, ich weiß. Wir sind alles Rindviecher, aber wer hat jemals an einen solchen Sturm gedacht! Wir haben sieben Materialstapel. Ich habe sie vorhin gesehen… sie sind nicht mehr zu sehen. Nur Schneehaufen. Man muß also alle sieben Stapel — im ungünstigsten Fall, denn meistens ist es immer der letzte — ausgraben, um an das Gas und andere notwendige Dinge heranzukommen. Und das bei diesem Sturm! Mädchen, und wenn ihr uns für ganz trübe Flaschen haltet: Das ist unmöglich! Da draußen kann sich keiner auf den Beinen halten, geschweige denn arbeiten!«
«Also erfrieren wir in absehbarer Zeit!«sagte Monika nüchtern.»Das ist eine erfreuliche Botschaft.«
«Sie werden uns nicht umkommen lassen. «Dorette verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf.»Dafür wird schon Billy sorgen.«
«Auch Ihr schwarzer Riese kann den Wind nicht wegboxen. Aber wir werden alles versuchen, um ans Material heranzukommen. Wir haben ja die gleichen Probleme. Bei uns reicht das Gas nur noch einen Tag.«
«Es wäre schon aus, wenn wir es nicht mehrmals am Tag abdrehten!«sagte Monika.»Dann machen wir hier Freiübungen, um uns warmzuhalten.«
«Fünf starke Boys wären uns lieber!«rief Lili und lachte.»Sie müssen ein toller Knabe sein, Doc. Du Himmel, wie Evelyn von Ihnen schwärmt. Warum kommt mein starkes Bärchen nicht? Ach, wenn doch Pauli da wäre! Ich muß immer an ihn denken! So geht's seit vier Tagen.«
«Du bist gemein!«sagte Evelyn und sah Blandy ganz verliebt an.»Hundsgemein, das zu erzählen!«
«Ich stelle fest, den Damen geht es vorzüglich!«sagte Blandy mit rauher Stimme. Sie scheinen wirklich nicht zu ahnen, dachte er dabei, in welch verzweifelter Lage sie sich tatsächlich befinden.»Mir scheint sogar, es ist Ihnen ab und zu ein wenig zu heiß unter der Haut. Machen Sie den Reißverschluß des Zeltes auf und strecken Sie den Hintern eine Minute ins Freie. Das hilft garantiert.«
«Und das ist nun dein charmanter süßer Pauli«, sagte Dorette sarkastisch zu Evelyn.»Den würde ich auf ganz andere Art vernaschen.«