Blandy erhob sich, knöpfte den Fellmantel zu und stülpte die Pelzmütze auf den Schädel.»Wir werden Ihnen neues Gas bringen!«sagte er.»Irgendwie muß uns etwas einfallen, wie wir an das Material herankommen.«
«Du bleibst nicht hier?«rief Evelyn und fuhr hoch. Sie trug über ihre spitzen Brüste nur ein Unterhemd und sah geradezu verworfen hübsch aus.»Wir haben Angst… wir fünf hier allein. Das hat dir Monika nicht gesagt.«
«Kein Wind bläst ewig, Baby. «Dr. Blandy tappte zum Ausgang. Es fiel ihm tatsächlich schwer, wegzugehen. Das rote Biest hat mich geschafft, dachte er. Aber das wußte ich vom ersten Augenblick an, als ich sie sah. Daß sie mit dem windigen Belucci geschlafen hat, traf mich verdammt hart. Aber das ist jetzt vorbei, man sollte nicht mehr daran denken.»Ich war mal in einer Jagdhütte in den Rocky Mountains eingeschneit«, sagte er.»Vierzehn Tage lang. Und ganz allein! Man gewöhnt sich dran. Bis morgen, Mädchen!«
Monika riß den Reißverschluß auf, er sprang ins Freie und ließ sich sofort hinfallen. Der Sturm packte ihn wieder, und es war ihm, als hätte ihn ein Bulle ins Hinterteil getreten.
Auf allen vieren kroch er zurück.
Morgen müssen wir an die Gasflaschen ran, dachte er. Auch wenn's nur eine Verlängerung des Lebens um ein paar Tage ist. Der Mensch klammert sich an die Hoffnung. Wenn es ganz hart kommt, glaubt er sogar an Wunder.
«Es geht ihnen gut!«sagte Blandy.»Sie haben noch Gas für einen Tag!«Sie kamen auf ihn zugestürmt, als er ins Zelt schlüpfte. Sie zogen ihm den Mantel aus, rissen ihm die Pelzmütze vom Kopf, überschütteten ihn mit Fragen. Cornell rieb ihm mit einem harten Frotteehandtuch das Gesicht warm, Hendricks klopfte mit den Fäusten Blandys Körper ab, um die Blutzirkulation anzuregen. Die mörderische Kälte hatte ihm doch sehr zugesetzt.
«Sie machen Turnübungen, um sich fit zu halten, und dabei ahnen sie gar nicht, was auf sie zukommt«, sagte Blandy.»Ich glaube, die einzige, die die Lage ganz nüchtern sieht, ist Monika. Aber sie schluckt's runter.«
«Wir werden alles versuchen, die Gasflaschen auszugraben«, sagte Cornell.»Die Hauptsache ist, daß die Zelte halten! Schlimmer kann's nicht mehr kommen.«
Blandy sah ihn nachdenklich an, goß sich einen Whisky ein und kippte ihn mit einem Zug hinunter. Er hustete nicht einmal dabei. Wer so etwas sah, war versucht, ihn statt Blandy sinnigerweise Dr. Brandy zu nennen, aber nachdem das ein paarmal geschehen war und der Witzbold sich ein geschwollenes Auge einhandelte, sprach es sich in der Navy herum, den Doc nicht mit anzüglichen Wortspielen zu reizen.
«Meinen Sie«, sagte er laut. Cornell warf das Handtuch weg. Blandy setzte sich auf eine Kiste und rieb seine dicke Nase.»Fangt mal an, zu denken, Jungs. Der Commander schickt uns los mit dem Versprechen, Radar VENUS XI zu verständigen, daß sie uns abholen sollen. Aber noch bevor wir an Land sind, muß er Alarmtauchen und spielt seitdem tote Fliege. Über ihm liegt ein Russe! Und nun denkt mal schön nach.«
Cornell und Hendricks starrten Dr. Blandy an. Die anderen grinsten verlegen. Sie begriffen die Lage noch nicht.
«Das ist unmöglich«, sagte Cornell endlich.»Doc, der Commander hatte genug Zeit.«
«Er hatte keine, Bernie!«Blandy sah die anderen an, die noch immer nicht begriffen.»Das ist meine feste Überzeugung: VENUS XI konnte gar nicht benachrichtigt werden, daß wir an Land sind. Also kann uns auch keiner abholen!«
«O Scheiße!«sagte Slingman.
«Wir könnten versuchen, mit unserem kleinen Funkgerät die Station zu erreichen.«
«Und der Russe hört alles mit, peilt uns an und holt uns ab!«Blan-dy schüttelte den Kopf.»So geht's nicht, Bernie.«
«Dann ziehen wir allein, wenn der Sturm vorbei ist, zur Station!«sagte Hendricks.
«Womit denn? Zu Fuß? Die Mädchen im Schlauchboot, vor das sich sechs Mann wie Schlittenhunde gespannt haben?«
«So ähnlich, Doc! Anders geht's doch nicht, wenn das stimmt, was Sie sagen. Wir können doch nicht hier tatenlos herumhocken und warten, bis wir krepiert sind. Vielleicht ist der Russe auch morgen weg, und der Commander kann auftauchen.«
«Damit sollten wir gar nicht rechnen. «Dr. Blandy griff wieder zur Whiskyflasche, goß den Becher voll und ließ den ganzen Inhalt in sich hineinlaufen.»Nicholson wird froh sein, wenn er sich lautlos wegschleichen kann aus dem Sonarbereich der Russen. Auftauchen und durch die Gegend funken, wäre kompletter Irrsinn. Machen wir uns also mit dem Gedanken vertraut, daß wir allein auf uns angewiesen sind. Es gibt keine fremde Hilfe. So, Jungs, und jetzt malt euch die Zukunft aus! Jeder darf ab sofort vor Angst in die Hosen scheißen!«
«Und… und wenn wir uns tatsächlich den Russen übergeben?«sagte Obermaat Yenkins leise.»Nichts einfacher als das. Sie liegen ja vor der Tür. Dann sind wir gerettet. Die Mädchen sind in Sicherheit. Man wird uns zum nächsten Hafen bringen oder dem nächsten Schiff übergeben.«
«Yenkins, Sie sind wirklich ein blöder Hund!«unterbrach ihn Blandy.»Die Sowjets werden uns durch die Mühle drehen. So einen Happen bekommt ihr Geheimdienst selten. Also, Junge, halt's Maul, ich weiß, was du sagen willst. Was ist mehr wert — das Boot oder die Mädchen?«
«Irgendwo hört die Pflicht auf!«sagte Cornell großartig.
«Und wo liegt Irgendwo?«bellte Blandy.»Bernie, mir sind rote Haare auch lieber als Eisbrocken! Sie sind noch jung. Sie haben keinen Krieg mitgemacht. Aber ich habe Vietnam hinter mir.«
«Scheiß-Vietnam!«schrie Slingman.
«Zugegeben. Aber, Bill, wir haben dort gelernt, Tatsachen hinzunehmen. Wir waren bereit, zu krepieren. Für nichts! Jetzt aber haben wir ein Boot, das wirklich einen Einsatz wert ist. Natürlich setzen wir uns jetzt nicht hin und warten, bis wir vereist sind. Aber wir sollten alle wissen, daß unsere Chance beschissen ist! Wir werden gegen Eis, Frost und Sturm kämpfen und versuchen, VENUS XI zu erreichen und sollten immer dabei denken: Das ist so etwas wie ein Kriegseinsatz!«
«Mit fünf Mädchen zwischen uns!«
«In Vietnam sind Hunderte von Krankenschwestern umgekommen!«
«Scheiß-Vietnam!«brüllte Slingman noch einmal.»Ich hab's überlebt und soll jetzt auf Grönland krepieren?«
«Man kann sich den Ort nicht aussuchen, Bill. Ende des Themas!«Dr. Blandy stieß Oberleutnant Cornell an.»Jetzt bist du wieder dran, Bernie! Ihr müßt die Materiallager ausgraben.«
Am sechsten Tag ließ der Sturm merklich nach, am siebten war der Himmel blank und blau, als wäre er die Arglosigkeit selbst.
Blandy, Cornell und Hendricks standen hinter der Eismauer und blickten hinunter aufs Meer. Das sowjetische U-Boot war noch immer da. Es tanzte in der noch unruhigen See und schien unendlich viel Zeit zu haben.
«Sie machen tatsächlich Grönland-Urlaub!«sagte Blandy sarkastisch.»Es kommt alles, so wie ich's geahnt habe. Nicholson muß weiter auf Grund liegen, bewegungslos und stumm wie das Grab. Wenn die da unten nicht verrückt werden, schreib ich dem Papst nach Rom, er soll's als Wunder anerkennen. Und wir werden zu Fuß losziehen!«
Die Stimmung war trotz dieser Aussichten in den vergangenen Tagen gut gewesen. Ein Kommando aus neun Mann, mit Stricken miteinander verbunden, hatte es tatsächlich fertiggebracht, mitten im Sturm die Gasflaschen zu finden. Sie hatten allerdings Glück gehabt. Schon beim zweiten Materialhaufen stießen sie auf die Flaschen sowie auf Kisten mit Wurst, Gebäck und Milchkakaopulver. Blandy brachte drei große Dosen davon hinüber zu den Mädchen. Er brüllte ins Zelt, durch den Schlitz des Reißverschlusses:»Einen guten Kaffeeklatsch mit Kakao! Kakao ist gesund und gibt Kraft. «Dann kämpfte er sich wieder zum Lager durch und schleppte die Kisten zu den übrigen Zelten. Die Eimer mit den Fäkalien wurden ausgeschüttet — der Sturm riß sie gleich mit und zerstäubte sie.