«Dämlicher Hund!«Slingman rutschte an Blandys Seite.»Wir müssen mehr nach links, Doc!«
Dr. Blandy hatte wieder das Rauschen im Ohr. Sein Atem keuchte. Er hatte den Schal vom Gesicht gerissen. Er schwitzte. Der Schweiß lief ihm über die Augen und gefror in der Höhe der Wangen. Er sah wie ein trauriger Clown aus.
«O Scheiße! Die Bären!«brüllte dicht hinter ihnen Yenkins. Puckray bremste seinen Lauf. Eisbären haben keinen Sinn für wertvolle Funkgeräte.
Es waren nur zwei große, weißzottelige Tiere, die, von den sechs Hunden gehetzt, an Blandy, Slingman, Yenkins und Puckray vorbeiliefen. Sie warfen zwar die Köpfe herum, die kleinen schwarzen Augen starrten die neuen Feinde an, aber dann torkelten sie weiter, mit jenen kurzen Sprüngen, die für Bären typisch sind. In den Freilandzoos lachen die Menschen darüber. Hier war es die Flucht vor dem Tode.
Dr. Blandy hatte ein Stück freies Eisfeld zwischen den bizarren Säulen erreicht. Die Hundeschlitten waren noch weit weg, aber der dritte Bär lag auf dem Boden, unbeweglich, die Glieder von sich gestreckt. Ein eiserner Pfahl ragte aus seiner linken Seite, genau in Brusthöhe. Hier war das weiße Fell voll Blut, und auch das Eis darunter färbte sich rot. Dr. Blandy bremste seinen Lauf. Sein Atem ging röchelnd vor lauter Anstrengung.
«Sie jagen mit Harpunen!«rief er seinen Leuten zu. Er hatte einen Augenblick das Bedürfnis, sich an Slingman festzuklammern, so schwer kam der Atem. Aber dann unterließ er es. Ein Blandy wird doch nicht schwach! Ein Kerl wie er bleibt stehen. Aufrecht, und wenn's schwerfällt.
Er tappte auf seinen Kistenbrettern zu dem erlegten Eisbären und schob die Pelzmütze ein wenig in den Nacken. Slingman hielt Blan-dy am Mantel fest.
«Vorsichtig, Doc!«sagte er.»Bären spielen gern tot.«
«Nicht mit einem Eisenpfahl im Leib! Jungs, ist das ein Kerl! Schade, daß man Eisbärfleisch nicht essen darf. Es ist voller Trichinen!«Dr. Blandy lachte dröhnend. sein Atem war wieder da. Da ist doch noch Kraft in mir, dachte er zufrieden.»Das wär ein schöner Bettvorleger für Evelyn!«
Er kam noch ein paar Schritte näher und beugte sich über den Bären. In diesem Augenblick zuckte das Tier hoch. Blandy hatte es kommen sehen. Er hatte in die offenen Augen geblickt, aber er war nicht schnell genug. Auch Slingman gelang es nicht, Blandy zurückzureißen. Mit einem dumpfen, ächzenden Brüllen, die eiserne Harpune in der Brust, mit einer Schnelligkeit, die unfaßbar war, erhob sich der Bär, breitete die Vordertatzen aus und schlug dann mit unvorstellbarer Wucht zu. Wie ein zuschnappendes Fangeisen war das. Blandy brüllte. Er umklammerte mit beiden Händen die Harpune und drückte mit ihr den Bären von sich. Die Tatzen lösten sich. Der Bär riß sein Maul auf, und mit einem letzten langgezogenen und dumpfen Laut fiel das Tier krachend aufs Eis.
Auch Blandy sank in die Knie. Slingman und Yenkins fingen ihn auf und sahen sich entsetzt an. Blut!
«Doc!«schrie Slingman.»Doc! Haben Sie was abbekommen? Doc?«
Dr. Blandy schloß die Augen. Seine Brust und sein Rücken waren ein einziges Brennen. Es war ihm, als wäre sein Leib aufgeschlitzt worden. Aus seinem Körper, das spürte er ganz deutlich, lief das Blut. Es mußte gleich auf das Eis tropfen und zu einem großen roten See werden.
«Die Brust«, sagte er mühsam.»Und im Rücken! Er. er hat mich aufgerissen. Zieht mir den Mantel aus. Kein Haar in die Wunden. Infektion.«
Die Stimme versagte ihm. Der Schmerz umkrampfte sein Gehirn. Dann brach er in den Armen Slingmans zusammen und verlor die Besinnung.
Über das Eis, die flache Küste entlang, jagten die drei Hunde-schlitten der Eskimos heran. Yenkins und Puckray winkten und schrien.
«Hierher! Hierher!«
Die Schlitten änderten die Richtung und kamen auf sie zu. Das Gebell der Hunde kam Yenkins jetzt wie Glockengeläut vor. Er weinte plötzlich wie ein Kind.
«Ich glaube, er verblutet«, sagte Slingman tonlos und hielt den Doktor in den Armen.»Was kann ich denn tun? Sag mir doch einer, was ich tun soll?«
Kapitel 11
Doc Blandy war ein harter Brocken. Noch bevor die Eskimos mit ihren Hundeschlitten die vier Männer erreichten, die in ihre Bärenjagd hineingeraten waren, kehrte das Bewußtsein bei Blandy zurück und mit ihm auch ein wahnsinniger Schmerz in Brust und Rük-ken. Er kniete nun auf dem Eis. Slingman hielt ihn umfaßt, und rings um den Verletzten wurde das Eis jetzt rot.
«Zieht mir den Mantel aus, verdammt!«stöhnte er und warf den Kopf nach hinten.»Den Mantel und alles, was ich anhabe.«
«Wollen Sie erfrieren, Doc?«schrie Yenkins. Er winkte noch immer mit beiden Armen und brüllte:»Hierher! Hierher! Hilfe! Hilfe!«
«Ihr Idioten! Anders bekomme ich die schönste Infektion!«Blandy wollte aufstehen, aber es war unmöglich. Als er die Hände auf das Eis stützte, um sich hochzustemmen, war es ihm, als wäre sein Oberkörper in zwei Teile geteilt.»Wenn Haare in die Wunden kommen. Zieht mich doch aus, ihr Rindviecher.«
Das Hundegebell übertönte seine Stimme. Mit knirschenden Kufen hielten die drei Schlitten. Sie bildeten einen Kreis um die vier Män-ner und den toten Bären mit der Eisenharpune im Leib. Unter den dicken haarigen Pelzmützen blickten die Eskimos stumm auf die Gruppe. Kleine, flache, braungelbe Gesichter mit geschlitzten Augen. Forschend, mißtrauisch, abwartend. Das hier war ihr Jagdgebiet. Wo kamen die fremden Männer her?
Puckray ging auf einen Schlitten zu und zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf Slingman und Blandy.
«Hilfe!«rief Puckray.»Verletzt. Der Bär! Mit den Schlitten zu uns! Los, schnell!«
Die Eskimos rührten sich nicht. Sie sahen Blandy mißtrauisch an.
«Sie verstehen nichts!«heulte Puckray.»Aber sie müssen doch sehen, was los ist.«
Die Eskimos sahen es genau. Ein blutender Mann. Langsam stieg einer von ihnen vom Schlitten. Er stampfte zu Blandy, beugte sich über ihn, dann ging er zu dem Bären, betrachtete auch ihn und entdeckte in den Pranken schließlich die Fetzen von Blandys Mantel. Dann ging er zurück zu den Schlitten, rief mit heller Stimme den andern etwas zu. Ein Schlitten wurde freigemacht, indem sie einfach alles aufs Eis warfen. Nur die Felle ließen sie liegen.
«Endlich!«schrie Yenkins und wischte sich die Tränen aus den Augen.»Endlich haben sie begriffen.«
Die Eskimos verhandelten untereinander. Dann machten sie durch Handzeichen deutlich, daß Slingman Blandy loslassen sollte. Sie faßten mit sicheren Griffen den schweren, stöhnenden Mann, stellten ihn auf die Beine und unterstützten ihn. Blandy nickte. Vor seinen Augen wurde das Meer lila, der Himmel rosa und das Eis blau. Eine Welt aus fantastischen Farben.
«Ich kann gehen!«sagte Blandy.»Die Umarmung eines Eisbären wirft mich doch nicht um.«
Er taumelte einige Schritte. Gestützt auf die kleinen Eskimos, erreichte er den Schlitten und brach dort wieder in die Knie. Aber es genügte. Slingman half. Sie legten Blandy auf die Seite in den Schlitten und warfen dann die Felldecken über ihn.
«Ausziehen!«stammelte Blandy wieder.»Ihr blöden Hunde, zieht mich doch aus! Das gibt sonst Blutvergiftung!«
Die Eskimos starrten die fremden Männer fragend an. Yenkins be-griff.Sie wollten wissen, wohin.
«Dorthin!«sagte er und zeigte nach Süden.»Unser Lager!«Er machte mit den Händen ein Zelt und hob dann drei Finger hoch. Die Eskimos nickten und lächelten. Drei Zelte. Sie zeigten auf die anderen Schlitten und liefen dann zu ihrem Gespann.
«Einsteigen!«schrie Puckray und riß sich die Kistendeckel vom Fuß.»Nicht wegwerfen, vielleicht brauchen wir sie noch!«
Sie stellten sich neben die Eskimos an die Haltestangen der Schlitten, ein paar helle Schreie ertönten, die Hundeketten zogen an, und fast schwerelos glitten die lustigen Fahrzeuge über das blanke Eis. Ihr Tempo war erstaunlich.