«Wir sollten ihn betäuben, Bernie«, sagte Hendricks tonlos.
«Such im Koffer nach Morphium. «Cornell beugte sich wieder über Blandys Kopf. Der Doc hatte die Augen offen — glänzende, fiebrige Augen.»Ist Morphium richtig, Doc?«
«Arschlöcher!«Mehr konnte Blandy nicht herausbringen. Nach dieser Kraftanstrengung fiel er wieder zusammen und rang mit weiteren Worten, die aber von den Schmerzen vertrieben wurden.
Hendricks wühlte im Arztkoffer. Von draußen ertönte das Gebell der Hunde. Die Eskimos hatten sie ausgeschirrt und ihnen einen Sack mit gefrorenem Fleisch hingeworfen. Jetzt balgten sie sich um das Fressen. Sie rissen Stücke aus den Fleischklumpen, legten sich auf das Eis, tauten mit ihrer Zunge das Fleisch auf und fraßen es.
Cornell blickte hoch, als ihn ein eisiger Lufthauch traf. Monika war ins Zelt gekommen und warf ihren Pelzmantel ab.»Ich möchte Ihnen helfen, Bernie«, sagte sie. Cornell schüttelte den Kopf.
«Das ist nichts für zarte Gemüter, Miß Herrmann! Gehen Sie in ihr Zelt zurück. Kümmern Sie sich um diese hysterische Evelyn.«
«Das macht Joan. Sie hat bereits den dritten Kinnhaken ange-bracht.«
«Hier ist Morphium, Bernie!«Hendricks hatte die Ampullen ge-fanden.»Aber nur für Spritzen! Kannst du eine Spritze geben?«
«Lassen Sie mich das machen, Bernie. «Monika hockte sich neben Cornell und riß eine Packung mit Einwegspritzen auf. Cornell sah sie fragend an.
«Sie können das?«
«Ich habe einen Krankenpflegekurs mitgemacht. «Sie lächelte, als wolle sie um Verzeihung bitten.»Mit irgend etwas muß sich auch eine Tochter beschäftigen, die einen reichen Vater hat. Und ich habe mich schon immer für Medizin interessiert. Ein paar Grundkenntnisse und Grundgriffe beherrsche ich noch.«
«Dann los!«Cornell rückte ein wenig zur Seite. Der Kessel mit dem heißen Wasser wurde herangeschoben. Monika überlegte nicht lange. Sie warf drei Scheren, vier Skalpelle und einige Klemmen in den dampfenden Topf. Dann brach sie die Morphiumampulle auf und zog die wasserhelle Flüssigkeit in den Spritzenkörper.
«Noch besser wäre ein richtiges Anästhesiemittel«, sagte sie ruhig.
«Das nimmt auch den Schmerz weg, das Morphium.«
«Aber nicht so gründlich, daß der Doktor nachher nichts spürt. Wenn ich in die Wunde gehe.«
«Was wollen Sie?«fragte Cornell entgeistert.
«Ich will versuchen, zu operieren. Die Wunde bis in die Tiefe säubern.«
«Ich werd verrückt!«sagte Hendricks leise.»Bernie, das Mädchen zeigt uns, was für Waschlappen wir sind. Monika, ich sage nie mehr ein schiefes Wort über Sie!«
Es dauerte über eine Stunde, bis Monika und Cornell die Wunden so gesäubert hatten, daß sie dicke Mullkompressen darüberlegen und mit dem Verbinden beginnen konnten. Das Morphium wirkte. Blandy verhielt sich still, obwohl Monika mit Skalpell und Schere die Wunden anging, Muskelfetzen abtrennte und Splitter einer zertrümmerten Rippe herausholte. Dann stäubte sie alles mit Penicillinpuder ein, injizierte eine hohe Dosis Antibiotika und kontrol-lierte mit dem Membranstethoskop Blandys Herzschlag und Atmung.
Zweimal kamen auch noch die Eskimos ins Zelt. Sie standen still herum, beobachteten wortlos, was die fremden Männer mit dem Verletzten taten, nickten ein paarmal zustimmend bei Monikas schnellen Handgriffen und gaben Laute von sich, die wie ein Grunzen klangen. Als sie das drittemal ins Zelt kamen, war Blandy gerade verbunden und schlief röchelnd, von dieser Welt genommen, solange das betäubende Morphium wirkte. Monika kontrollierte Blan-dys Atmung.
Die Eskimos brachten einen Tontopf mit, stellten ihn vor Blandys Füße und sagten etwas mit ihren hellen Stimmen. Dabei zeigten sie auf Blandy und machten die Zeichen des Einschmierens. Cornell tauchte den Zeigefinger in den Tontopf und zog ihn wieder heraus. Eine breiige, zähe Flüssigkeit klebte daran. Er roch an dem Brei und verzog das Gesicht.
«Das stinkt bestialisch!«sagte er.»Wie faule Eier und ranzige Butter zusammen. Damit sollen wir den Doc einschmieren?«
«Wenn's hilft, Bernie. «Monika schnupperte an dem Topf. Es roch wirklich abscheulich.»Die alte Volksmedizin ist oft besser als die modernste Chemie!«Sie deutete auf den Topf und dann auf den röchelnden Blandy, nickte und lächelte. Die Eskimos lächelten auch und verließen das Zelt. Cornell breitete eine Decke über Blandys nackten Körper.
«Jetzt haben wir drei Schlitten«, sagte Cornell und zündete sich mit bebenden Fingern eine Zigarette an.»Wenn das Wetter so gut bleibt, könnten wir VENUS XI in vier Tagen erreichen. Ob unser Doc transportfähig sein wird?«
«Das wird sich morgen zeigen. «Monika schob einen zusammenklappbaren Hocker heran und setzte sich zu Blandy.»Und wenn nicht, Bernie — was sollte Sie abhalten, aufzubrechen?«
«Ich laß unseren Doc nicht allein zurück! Nie! Wie können Sie so etwas denken, Monika?«
«Ich bleibe bei ihm, Bernie.«
«Das ist absoluter Blödsinn!«
«Sie werden versuchen, mit den Schlitten und meinen Freundinnen diese Radarstation zu erreichen. Der Doc, ich und vielleicht vier Männer — sie sollten sich freiwillig melden, Bernie — bleiben bei mir. Gelingt es Ihnen, VENUS XI zu erreichen, können Sie uns von dort mit Motorschlitten sofort abholen. Es sind, grob gerechnet, acht Tage. Glauben Sie nicht, daß wir hier noch acht Tage aushalten? Das meiste Material bleibt ja bei uns.«
«Es ist unmöglich!«Cornell schüttelte den Kopf.»Wir machen es genau umgekehrt. Hendricks und ihr Mädchen zieht mit den Hundeschlitten los, und ich bleibe mit ein paar Mann beim Doktor.«
«Damit ist ihm nicht geholfen, daß einer neben ihm sitzt und ihn traurig anschaut«, sagte Monika hartnäckig.»Was machen Sie, wenn er hohes Fieber bekommt? Eisstücke auf die Stirn legen, was? Oder Wadenwickel — «
«Sie werden mir heute und morgen die nötigen Handgriffe erklären, Monika«, entgegnete Cornell.»Und Sie werden mir die Medikamente zurechtlegen, die ich brauche. Und Sie werden mir zeigen, wie man spritzt. Ich übe das an meinem Seesack. Nur acht Tage, haben Sie gesagt? Glauben Sie, ich könnte unsern Doc nicht acht Tage versorgen?«
«Bernie, Sie wissen genau, welchen Unsinn Sie da reden!«
«Okay!«Cornell zog hastig an seiner Zigarette.»Dann bleiben wir alle!«
«Warum muß ein Mann, sobald er eine Uniform trägt, ein sturer Büffel werden? Da sind vier Mädchen, die Sie retten müssen. Denken Sie nicht an Joan? Lieben Sie Joan nicht? Und Ihre Männer, was soll aus ihnen werden?«
«Wir sind Kameraden. Wir lassen keinen zurück!«
«Mein Gott, ihr fahrt doch nur voraus! Ihr holt uns doch ab!«
«Ist das so sicher, Monika?«
Sie sahen einander in die Augen. Was ist, wenn ein neuer Sturm alle Möglichkeiten zerstört, zurückzukommen? Wenn auch die Eskimos es nicht mehr schaffen, denn sie kennen dieses Land und seine mörderischen Stürme.
«Wir haben Zeit bis morgen«, sagte Cornell stockend.»Es ist alles viel einfacher, wenn Blandy transportfähig ist.«
Er ging hinaus und traf auf Hendricks, der mittlerweile zum Beobachtungsstand gegangen war.»Sieh dir das an«, sagte er begeistert.»Die Russen werden nie auf den Gedanken kommen, daß hier Amerikaner sind.«
Die Eskimos standen vorn am Felsen und starrten hinunter auf das stählerne Ungeheuer, das bewegunglsos im Meer lag. Auf dem russischen U-Boot wimmelte es jetzt von Menschen… der Turm war dicht besetzt, und eine Menge Ferngläser waren auf die Eskimos gerichtet.
Da niemand den Eingeborenen erklären konnte, daß die Menschen auf dem merkwürdig geformten Schiff andere Menschen waren als die hier oben und keiner etwas von dem anderen wissen durfte, winkten die Eskimos zu den Russen hinab, und die Russen winkten mit Signalflaggen zurück.
«Nett!«sagte Hendricks hinter der Eismauer.»Direkt familiär. Die Eskimos sind Gold wert! Wenn wir morgen aufbrechen, glauben die Russen, ein ganzer Eskimostamm ist auf der Wanderschaft.«