Выбрать главу

Er wickelte sein kleines Kaugummipäckchen mit der Ernsthaftigkeit eines Dreijährigen aus. Aber als sich die automatische Tür des Wagens hinter mir zuschob, schaute er für einen Sekundenbruchteil auf.

Plötzlich war er mehr als nur ein alter Chines. Er war ein Mensch. In dem Blick, den er mir zuwarf, war hellwache Intelligenz. Ich war sicher, daß er mich erkannte, doch er machte nicht einmal den Versuch, mit mir zu sprechen. Seinen Gesichtsausdruck werde ich aber niemals vergessen.

Ich hatte für einen verrückten Moment geglaubt, ich sei hier in Gefahr. Doch nicht ich war in Gefahr, denn in seinen Augen hockte nackte Angst wie bei einem Tier, das in eine Falle geraten war. Sein faltiges Gesicht wirkte hager und gehetzt. Aus hohlen Augen musterte er mich kurz, dann schaute er weg, als warte er, von seinem Elend erlöst zu werden. Das verstand ich nicht.

Ich schaute auch weg, danach kreuzten sich unsere Blicke nicht mehr. Unten angekommen stiegen wir aus. Ich schaute mich schnell nach Bob um - nichts war von ihm zu sehen.

Mir blieb also nichts anderes übrig, als bei diesem Chinesen zu bleiben. Ich folgte ihm länger als eine Stunde.

Wir machten eine Tour rund um die Kuppel, und bald wußte ich, daß er mit mir spielte. Er wußte, wer ich war, und daß ich ihm folgte. Also würde ich nichts erfahren. Trotzdem folgte ich ihm. Ich hatte sonst nichts zu tun.

Es ging auf 20 Uhr. Um diese Zeit sollte Bob zurück sein in der Bebenstation, denn da wollte Lieutenant Tsuya ihm beweisen, daß sich das von ihm vorhergesagte Beben nicht ereignen würde. Er hatte genug Zeit zur Rückkehr gehabt, seit ich ihn aus den Augen verloren hatte, und ich konnte nur hoffen, daß er auch wirklich zurückgekehrt war. Das Geheimnis, weshalb er unerlaubt die Station verlassen hatte, war nicht geklärt, und ein Geheimnis blieb auch seine Verbindung mit dem Mann, dem ich folgte.

Als es 20 Uhr und später wurde, erschien mir der Mann, dem ich folgte, immer aufgeregter. Ein paarmal schaute er zu mir zurück, öfter als einmal kam er mir sogar ein paar Schritte entgegen, doch jedesmal änderte er wieder seine Absicht. Er schien nicht nur meinetwegen besorgt zu sein, er schaute auch immer nach oben, an die Mauern, die Gebäude und nach den Menschen.

Etwas sehr Wichtiges schien ihn zu beschäftigen.

Ich konnte mir nicht vorstellen, was es war - bis ein schrecklich klagender Ton die ganze Kuppel erfüllte. Er kam von irgendwoher tief unter uns, und die Entfernung mußte so groß sein, daß das schreckliche Heulen gar keinen Sinn ergab.

Dann bewegte sich der Boden unter meinen Füßen. Nun wußte ich, was los war.

Ein Seebeben!

Bobs Vorhersage hatte gestimmt. Ich hörte Schreie von den Menschen um uns herum, sah den alten Chinesen, der sich umdrehte und mir entgegenrannte. Dann segelte ein großes, zerklüftetes Ding vom Deckdach herab, mir entgegen. Ich versuchte ihm auszuweichen, doch es war zu spät. Es streifte mich. Ich wurde etliche Meter weggeschleudert, und dann gingen für mich die Lichter aus.

8. Ein Millionen-Dollar-Seebeben

In meinen Ohren röhrte es, ich versuchte mich aufzusetzen.

Jemand hielt meinen Kopf. Benommen öffnete ich die Augen. Es war der alte Chinese. Seine Augen waren weder gehetzt, noch gefährlich, nur sehr traurig. Er schaute mich an, dann legte er sanft meinen Kopf zurück.

Als es mir endlich gelang, mich aufzusetzen, war er verschwunden.

Ein Angehöriger des Sanitätskorps kam herangelaufen. »Hier, Sie da! Alles in Ordnung mit Ihnen?« rief er.

»Ich ... glaube schon«, murmelte ich, doch er nahm schon eine rasche Untersuchung vor. Über uns tönte aus den Lautsprechern eine dröhnende Stimme:

»Achtung, Achtung! Das ist ein Beben-Alarm! Ich wiederhole: das ist ein Beben-Alarm. Routine-Vorsichtsmaßnahmen sind angelaufen. Die Sicherheitsmauern sind aktiviert. Alle Rollwege bleiben stehen. Alle Sicherheitstore werden sofort geschlossen. Keine Versuche, die Oktantbarrieren zu durchbrechen! Ich wiederhole: Keine Versuche, die Oktantbarrieren zu durchbrechen!«

»Ihnen fehlt nichts«, sagte der Mann vom Sanitätskorps und stand auf.

»Das wollte ich Ihnen ja vorher schon sagen«, versuchte ich ihm zu antworten, doch er war schon unterwegs zu einem anderen offensichtlich Verletzten. Ich stand auf. Meine Knie fühlten sich recht weich an. Ich schaute mich um. Die Troyon-Leuchtschrift eines kleinen Feinkostladens war herabgefallen und hatte mich erwischt, zum Glück aber nur mit einer Ecke gestreift.

Die Lautsprecherstimme dröhnte weiter:

»Es besteht kein Grund zur Panik. Nur kleine Schäden wurden bis jetzt gemeldet, auch nur leichte Verletzungen. Die Sicherheitsmaßnahmen werden nur zur Vorsicht ergriffen. Bitte, bleiben Sie in den Häusern, bis der Alarm aufgehoben werden kann. Die öffentlichen Wege müssen für den öffentlichen Gebrauch freigehalten werden.«

Daran war nichts zu ändern. Die Oktantbarrieren waren nun herabgelassen, und ich mußte bleiben, wo ich war.

Es dauerte etwa zwei Stunden, bis der Alarm aufgehoben wurde. Mit der verbleibenden kurzen Zeit meines Urlaubs konnte ich nichts mehr anfangen.

Um mich herum reagierten die Leute von Krakatau Dome ganz natürlich auf das Beben. Besorgt schienen sie nicht zu sein; im großen und ganzen gingen sie ihrer Beschäftigung nach. Natürlich waren kleinere Beben hier fast alltäglich, denn die Kuppel lag ja im großen Bebengürtel, der von Mexiko quer durch Westindien und Südeuropa reicht, dann weiter durch Kleinasien bis nach Ostindien. Die Ingenieure, die Krakatau entworfen hatten, verstanden ihr Geschäft schon. Die Kuppel hatte man so geplant, daß sie kleinere Beben ohne weiteres aushielt.

Aber dieses Beben war doch etwas Außergewöhnliches. Niemand von uns hatte es vorhergesagt, nur Bob Eskow.

Ich kehrte zurück zur Station und hatte einen Kopf voller Fragezeichen. In erster Linie natürlich über das Beben. Lieutenant Tsuya hatte eine seiner Geosonden aufgeschickt, doch dies war gefährlich, wenn man die Edenit-Schilde zwischen der Bebenstation und dem Rest der Basis beziehungsweise der Kuppel selbst nicht aktivierte, besonders wenn das letzte Beben so kurz vorüber war und die Gefahr bestand, ein weiteres könne folgen.

Ich mußte unbedingt Bob sehen.

Mein Kopf schmerzte, ich konnte kaum wach bleiben, also ging ich zu Bett. Ich wollte aber wach sein, wenn Bob von der Station zurückkam.

Als ich aufwachte, war Bobs Bett zwar benützt, doch er war schon wieder weg. Harley Danthorpe saß daneben und schaute mich merkwürdig an.

»Eden«, sagte ich, »ich muß dir’s mitteilen.«

»Was?«

Er lachte, doch in seinen Augen las ich Respekt - und noch etwas, das ich nicht recht verstand. Es war so, als bewundere er mich irgendwie voll Zögern, vielleicht auch voll Enttäuschung. »Das vom heißen Draht natürlich.« Er schüttelte den Kopf. »Junge, Junge, du und dein Onkel, ihr bringt uns ja direkt zum Kentern.«

Ich stand auf und zog mich an. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du redest«, sagte ich und verließ ihn, um zur Messehalle zu gehen. Als ich von dort zurückkam, war Bob Eskow da - und Danthorpe schaute ihn genauso an wie vorher mich!

Vor Danthorpe wollte ich nicht mit ihm über den alten Chinesen reden, denn ich fürchtete, Bob könne dafür keine überzeugende Erklärung haben. »Bin ich froh, daß du wieder da bist«, sagte ich nur.

Bob zuckte die Schultern und sah mich ruhig an. »Jim, du hättest dir meinetwegen keine Sorgen zu machen brauchen.«

»Keine Sorgen! Du bist ja ein Herzchen! Bob, weißt du, was passiert wäre, hätte Lieutenant Tsuya herausgefunden, daß du ohne Erlaubnis einfach ausgebüchst bist?«

»Hscht«, machte Harley Danthorpe lachend. »Ihr zwei Haie sollt euch erst mal überlegen, was ihr redet. Kommt, ihr zwei. Warum wollt ihr mich nicht ins Vertrauen ziehen?«