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»Mein lieber Gezeitenvater«, sagte er vorwurfsvoll, »dein Problem ist, daß deine Ausbildung allzu großes Gewicht auf die Sünde legt. Das führt immer dazu, das Allerschlimmste zu vermuten. Und es macht dich, sobald es um Menschen geht, zum ausgesprochenen Pessimisten.«

Ich bin überzeugt, das war ein in Scherz gefaßter milder Vorwurf, doch Vater Tide dachte ernsthaft darüber nach. »Vielleicht stimmt das, Stewart«, antwortete er mit seiner klaren Stimme. »Das über die menschlichen Schwächen. Aber ich bin wenigstens hinsichtlich der Möglichkeiten einer Erlösung Optimist.«

Er trank den Rest seines Kaffees und lehnte sich zurück. »Mein ganzes Leben lang, seit ich mein Studium und das Noviziat begann, haben mich Seismologie und Vulkanologie fasziniert. Und warum? Weil ich sie als direkten Ausdruck des Willens Gottes sehe. Selbst ein lebenslanges Studium ihrer Ursachen konnte daran nichts ändern.

Du darfst nicht denken, ich würde daran zweifeln, daß der Mensch dazwischentreten kann. Natürlich nicht. Ich bin auch nicht der Meinung, das Eingreifen des Menschen sei ein Unrecht. Stewart, du kannst mich ruhig einen Sünderjäger nennen, aber denken kannst du das nicht. Die Vorhersage von Seebeben ist so wichtig und unsündig und proper wie eine Wettervorhersage. Daran ist nichts falsch.«

Er schaute mich an, und mir lief ein kalter Schauer den Rük-ken hinab. Wußte denn jeder in Krakatau Dome das, was Lieutenant Tsuya für ein wohlgehütetes Geheimnis hielt?

»Da gibt es noch ein anderes Gebiet als die Vorhersage«, fuhr der Gezeitenvater fort. »Wenn man sich hier einmischt, ist es gefährlich. Ein Spiel mit dem Leben von Menschen, mit ihren Seelen. Stewart, du weißt, was ich meine. Ich habe allen Grund anzunehmen, daß jemand - den Namen dieser Person kenne ich nicht sicher - ganz nach Belieben Seebeben erzeugen kann. Falls das richtig ist, dann muß diese Kraft dazu benützt werden, Leben und Besitz zu retten und nicht dazu, sündige Menschen zu bereichern!«

Das war alles, was gesprochen wurde. Vielleicht genügte es, denn es wirkte auf meinen Onkel. Er aß schweigend und düster weiter.

Es war ein Zusammenprall zweier starker Menschen, und ich muß zugeben, er erschütterte mich. Mein Onkel glaubte unerschütterlich an sich selbst, an seinen Verstand und sein überragendes Wissen von der See, auch wenn er jetzt nicht mehr der starke Mann war wie früher; und Vater Tide war ebenso unerschütterlich im Glauben an seine Religion.

Daß mein Onkel ein durch und durch ehrenhafter Mann war, konnte und wollte ich nie bezweifeln. Nie würde ich glauben, er könne einem Lebewesen, egal ob Mensch oder Tier, etwas Böses tun. Und doch: warum hatte er nicht das abgestritten, was Vater Tide behauptet hatte?

Und noch eine Frage: warum hielt Vater Tide die enge Verbindung mit meinem Onkel aufrecht, wenn er glaubte, er sei fähig, so etwas zu tun? Das paßte nicht zu beiden Männern!

Vater Tide blieb heiter bis zum Schluß. Er rühmte den delikaten Geschmack der See-Steaks und die saftige Frische der Seefrüchte, die wir zum Nachtisch bekamen, doch mein Onkel Stewart blieb wortkarg.

Ich war froh, als das Essen vorbei war. Vater Tide verließ uns, und ich ging mit meinem Onkel durch die lauten, lebhaften Straßen zurück zu seinem schäbigen Büro. Ich bemerkte, daß ihm das Gehen schwerfiel.

Vor dem Hauseingang blieb er stehen und griff nach meinem Arm. »Tut mir leid, Jim«, sagte er. »Ich hoffte, du könntest noch eine Weile oben bei mir bleiben. Aber ich habe eine Verabredung. Sie ist sehr wichtig für mich. Ich weiß, du verstehst das.«

»Natürlich, Onkel Stewart«, antwortete ich und verabschiedete mich gleich auf der Straße. Ich verstand es dete mich gleich auf der Straße. Ich verstand es nämlich.

Als wir uns der Nr. 88 näherten, hatte ein Mann aus dem Haus gespäht. Und diesen Mann hatte mein Onkel einen Sekundenbruchteil vor mir gesehen und deshalb gesagt, er habe eine Verabredung. Und den Mann hatte ich schon gesehen, unter Umständen, die den jetzigen sehr ähnlich waren. Es war der alte, zusammengeschrumpfte Chinese, den ich in der Unterkunft und später auf den Straßen der Kuppel mit Bob Eskow gesehen hatte. Er hatte ein kleines, schweres Paket bei sich, eingewickelt in Zellstoff. Es war genau von der Größe des fehlenden Modells der ortholytischen Sonde .

Ich weiß nicht mehr, wie ich zur Station kam. Bob Eskow und Harley Danthorpe schauten mich sonderbar an, voll Neid Harley Danthorpe, und mit Gefühlen, die ich nicht zu deuten vermochte, Bob Eskow. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, Bob habe irgendwie Angst.

»Du glückliche Landratte!« rief Harley. »Sag mal, welchen Stein hast du bei Lieutenant Tsuya im Brett? Das war jetzt dein zweiter Paß.«

»Der Lieutenant wünscht, du sollst dich sofort auf Station K melden«, sagte Bob leise.

Ich eilte also hinab, denn in diesem Moment hatte ich nicht den Wunsch, mit Bob zu sprechen. Lieutenant Tsuya arbeitete an seinem Tisch im feuchten, toten Schweigen der Station und zog Isobaren, Isogeothermen und Isogale auf der plutonischen Karte nach.

»Nun, Eden?« seine Stimme klang angestrengt. »Haben Sie etwas zu berichten?«

Ich zögerte nur eine Sekunde. »Nichts, Sir.« Es stimmte ja, ich hatte keine Tatsachen. Und was mein Onkel auch tun mochte, mit Vermutungen und Verdachten konnte ich dem Lieutenant nicht kommen.

»Genau das habe ich erwartet«, antwortete der Lieutenant bekümmert. Er nahm einen roten Stift und schattierte mechanisch die Gefahrenzonen seiner plutonischen Karte. Ich bemerkte, daß die möglichen Frakturebenen fast unmittelbar neben der Kuppel von Krakatau lagen.

Er blinzelte mich an. Ich sah, daß seine Augen geschwollen waren. »Ich habe Kadett Eskow einen Paß gegeben«, sagte er. »Denn er bat darum, und ich meinte, er solle ihn haben.«

Das brachte mich aus dem Gleichgewicht. »Aber er war doch eben jetzt in der Unterkunft.«

»Das ist richtig. Ich ließ den Paß in Yeoman Harris’ Büro liegen, bis Sie zurückkamen, Eden. Ich möchte, daß Sie ihm folgen.«

»Ich und ihm folgen?« fuhr ich auf. »Das kann ich nicht. Er ist mein bester Freund. Ich würde nie .«

»Eden, Achtung!« bellte er mich an. Ich versteifte mich und schwieg. Etwas freundlicher fuhr er fort: »Ich weiß, daß er Ihr Freund ist. Aus genau diesem Grund will ich ja, daß Sie der Sache nachgehen. Ist Ihnen denn die Alternative nicht klar?«

»Warum ... Nein, Sir. Ich meine, ich habe darüber noch nicht nachgedacht.«

»Die Alternative wäre die Überweisung der ganzen Sache an die Sicherheitsabteilung der Tiefsee-Flotte«, sagte Lieutenant Tsuya leise. »Und sobald dies geschieht, liegt die Sache nicht mehr in meinen Händen. Ist Kadett Eskow eines schweren Verstoßes gegen die Vorschriften schuldig, dann ist er dort an der richtigen Stelle. Ich kann nämlich nicht billigen, wenn gegen Befehle verstoßen wird, sofern die Befehle so wichtig sind wie in diesem Fall.

Hat sich aber Kadett Eskow nur eines, sagen wir, kleinen Irrtums schuldig gemacht, dann wäre es eine grobe Ungerechtigkeit, wollten wir die Sache der Sicherheitsabteilung übergeben. Es liegt also an Ihnen, Eden.«

Der Lieutenant musterte mich schweigend und wartete auf meine Antwort.

»Ich sehe, daß ich keine Wahl habe, Sir«, sagte ich schließlich.

Er nickte schwer. »Das sehe ich auch so.«

11. Das Schiff in der Grube

Eine Stunde später war ich wieder im zivilen Bereich der Kuppel; übrigens auch Bob Eskow, nicht nur ich. Und Bob war nicht allein.

Es war kindisch einfach, ihm zu folgen. Ich hatte nur am Haupttor der Flottenbasis gewartet, einen Wettermantel über meine Uniform gezogen und mich ein bißchen versteckt. Bob kam wie eine Granate aus einem Kanonenrohr geschossen und rannte sofort zu den Elevatoren, die nach oben gingen. Dort traf er mit dem alten Chinesen zusammen.

Der Chinese hatte nun nicht mehr das vorige Paket bei sich. Er mußte es also irgendwo gelassen haben. Ich konnte mir nur einen einzigen Platz dafür denken - meines Onkels Tresor.