Der Mann auf dem Deck holte die Leine ein. Sie mußte schwer sein, denn er atmete heftig. Einmal legte er eine kleine Pause ein und wischte sich mit dem Ärmel die Stirn ab. Er sah mich nicht, doch ich konnte ihn erkennen. Einen Irrtum gab es nicht. Es war Bob Eskow.
Plötzlich wurde ich mir der beißenden Kälte bewußt. Die ganze Welt war für mich eisig kalt. Immer hatte ich gehofft, daß alles nur ein Irrtum, vielleicht ein grotesker Zufall wäre, aber nun konnte ich nicht mehr zweifeln.
Wie betäubt wartete ich, bis der Taucher wieder heraufkam und den Gegenstand, den Bob so mühsam auf das Deck des Seewagens hievte, anhob. Der Taucher ging sehr vorsichtig damit um und schützte ihn mit seinem Körper vor einem Anprall an der Schiffswand.
Ich lehnte mich so weit hinaus, wie ich es wagen konnte, um zu sehen, was es war. Wie konnte dieses Schiff überhaupt hier sein, im Abwasserbecken der Kuppel und tief unter ihr? Es gab von hier aus keinen Ausgang zur See, gar keine Möglichkeit dafür, denn der ganze Ozean würde, angetrieben von drei Meilen Salzwasser, mit einem ungeheuren Druck hereinströmen. Hier konnte es auch keine Schleuse geben. Ein Edenit-Schleusensystem war etwas überaus Kompliziertes. Es wäre einfacher und billiger, einen neuen Seewagen unten auf dem See selbst zu bauen, als hier ein ganzes Schleusensystem zu konstruieren.
Selbst wenn man all diese phantastischen Tatsachen und Überlegungen einmal wegschob, blieb immer noch eine Frage: Warum?
Was war der Zweck? Wem konnte es nützen, einen Edenit-beschichteten Seewagen hier hereinzuschmuggeln? Nun ja, dieses Wort deutete eine Erklärung an: Schmuggler. Aber das war doch lächerlich! Nein, hier gab es nichts so Wertvolles zu schmuggeln, das einen solchen Aufwand rechtfertigen würde.
Dann sah ich, was auf das Schiff gehievt wurde. Sie gingen überaus sorgsam damit um, und das Ding wirkte irgendwie bekannt. Es war eine polierte goldene Kugel von etwa fünfzehn Zentimetern Durchmesser. Für ihre Größe mußte sie unverhältnismäßig schwer sein. Ein Reifen aus Edelstahl lag um die Kugel, daran war ein Ring, und die Schleppleine war an diesem Ring befestigt.
Im Labor für thermonukleare Waffen an der Akademie hatte ich mit einem solchen Ding gearbeitet, darum kannte ich es.
Es war der Zünder einer H-Bombe.
Niemand brauchte mir zu sagen, daß die private Verwendung einer thermonuklearen Waffe eine sehr ernste Angelegenheit war.
Was wurde hier gespielt? Wurde dieses Schiff hier für eine Piratenreise ausgestattet, um Beute zu machen oder Zerstörungen vorzunehmen? Das war mein erster Gedanke, doch Bob Eskow paßte nicht in mein Piratenbild.
Fast vergaß ich, wie erbärmlich mich fror, denn ich mußte ja sehen, was jetzt geschah. Bob hob die kleine tödliche Kugel äußerst behutsam durch die Luke. Der alte Chinese unten mußte sie ihm dann wohl abgenommen haben, denn Bob warf das Leinenende zum Taucher zurück, der sofort wieder nach unten ging.
Davon schien es also noch mehr zu geben.
Nicht nur ein einziger H-Bombenzünder, es mußten einige sein. Vielleicht viele. Bald hoben sie noch eine Goldkugel heraus, dann eine dritte, und noch eine und noch eine. Es waren acht von diesen tödlichen Dingern.
Acht thermonukleare Zünder! Und jeder konnte eine Explosion auslösen, die diese ganze Kuppel einfach wegblasen würde. Das war keine Piraterie mehr, es war sehr viel ernster.
In halber Betäubung sah ich zu, während der Taucher, der seine gefährliche Arbeit vollendet hatte, sich aus dem Wasser stemmte und seinen umfangreichen Thermoanzug öffnete. Und als er den Helm abnahm, wäre ich um ein Haar in die Grube gestürzt, denn das Gesicht, das ich erblickte, war das freundliche, ehrliche Negergesicht der rechten Hand meines Onkels, das von Gideon Park!
Das genügte. Es war ein erschreckendes Finale für den schlimmsten Tag meines Lebens. Doch der Tag war noch lange nicht zu Ende. Das dicke Ende sollte erst noch nachkommen.
Während ich zusah, faltete Gideon schnell den Thermoanzug, wickelte die Leine auf und verstaute alles auf der kleinen Plattform. Er sagte etwas zu Bob, doch ich konnte es nicht verstehen. Dann kletterten beide durch die Luke hinein. Im Schiff begannen Motoren zu summen, der Lukendeckel schloß sich.
Dann wurde der Turm eingezogen, bis der Deckel mit der Deckebene abschloß. Der Edenit-Film schimmerte pulsend und wurde heller.
Dann begriff ich wenigstens etwas von diesem sonderbaren Rätsel. Schleusen? Gab es keine! Denn das Schiff brauchte keine. Es war auch nicht irgendein Tiefsee-Schiff, das einen offenen Weg in die Tiefe brauchte. Es war viel mächtiger, viel geheimnisvoller:
Ein MOLE!
Ein Tiefsee-Kreuzer also, der mit den ortholytischen Bohrern ausgerüstet war, die sich durch den soliden Fels fressen konnten. Jetzt, da der Turm eingezogen war, konnte ich die Spiralelemente des ortholytischen Bohrers erkennen.
Das konnte nur eines bedeuten: Jemand hatte eines der bestgehüteten Geheimnisse der Tiefsee-Flotte verraten ...
Das Schiff tauchte, das schwarze Wasser wusch darüber weg. Der Edenit-Film des Rumpfes wurde noch heller, als er auf den veränderten Druck reagierte. Es glitt nach unten, das Wasser verwischte die Umrisse des Schiffes, dann war es weg. Es war in den Fels getreten.
Das riesige Becken war nun völlig dunkel. Mühsam kam ich auf die Füße. Ich zitterte vor Schock und Kälte, stolperte zum Abfluß und machte den langen, mühseligen Weg zurück in das erstickende Dunkel. Der Fels zitterte unter meinen Füßen. Die Pumpen? Oder die Bohrer des MOLES?
Erschöpft, naß und halb erfroren taumelte ich weiter, wäh-rend unter meinen Füßen ein winziges Schiff mit zweien von meinen besten Freunden vielleicht zu einem verräterischen Auftrag unterwegs war.
12. Vorhersage: Ärger!
Ich kam erst nach 24 Uhr ins Quartier zurück, brauchte dringend ein heißes Bad und eine trockene Uniform, noch dringender aber einen Menschen, der mir versicherte, meine Augen seien Lügner, und nichts von dem, was ich gesehen hatte, sei wahr.
Aber ich meldete mich auf Station K. Lieutenant Tsuya war schon wieder im Dienst und befahl mir sofortigen Bericht.
Er saß an seinem großen Arbeitstisch und musterte finster seine seismische Spannungs-Karte. Er schwang sich auf seinem hohen Hocker herum und schaute mich an. Sein rundes Gesicht wirkte verkniffen und besorgt, bevor ich ihm noch erzählte, was ich erlebt hatte.
Er saß danach lange schweigend da und starrte seine Karte an, ohne etwas darauf zu sehen. »Ich wollte, die Computerabteilung würde sich beeilen«, sagte er schließlich.
»Sir?« Ich war verwirrt. Er schien geistesabwesend zu sein, obwohl ich ihm doch von den tödlichen Ereignissen im Abwasserbecken erzählt hatte!
Er schüttelte den Kopf und schien sich erst allmählich wieder meiner zu erinnern. »Oh, ja. Eden. Sie erzählten mir von ... äh .«
»Sir, vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt«, fiel ich ihm ins Wort. »Sie haben ein MOLE! Und es ist mit Wasserstoffbombenzündern beladen!«
»Hm. Ich verstehe.« Er nickte ernst, doch ich fand sein Verhalten recht merkwürdig. Entweder er glaubte mir nicht, oder ... Was konnte es sonst sein?
»Eden«, sagte er so gereizt, wie ich es bei ihm noch nie erlebt hatte, »Sie kommen da herein mit einer so phantastischen Geschichte, wie ich sie noch nicht gehört habe, und Sie erwarten auch noch, daß ich sie Ihnen glaube. Lächerlich, Mann! Es gibt keine sechs MOLEs auf der ganzen Welt, und ich garantiere Ihnen, höchstens ein Seismologe von der höchsten Rangstufe kann seine Hand darauf legen. Niemand sonst! Hätten Sie mir gesagt, Vater Tide stecke in der Sache - das hätte ich eher für möglich gehalten. Aber auch da bestünde nur eine winzige Chance, Eden. Aber Bob Eskow? Unsinn!«