Ich unterbrach ihn, denn ich war richtig neugierig geworden. »Sag mal, Danthorpe, was ist denn so Wunderbares an Seebeben?« Ich konnte nichts anders, ich mußte ein wenig ironisch fragen. Erdbeben sind schon schlimm genug, aber ein Seebeben kann noch sehr viel schlimmer sein. Selbst ein kleines Beben kann einen Transporttunnel aufbrechen, oder die irre See ergießt sich in den Schächten einer Mine. Auch das kleinste Beben kann den hauchdünnen Edenit-Film für eine Sekunde aufbrechen, und das genügt in der Tiefsee, um eine ganze Kuppel zu vernichten.
Danthorpe grinste. »Gut? Sie sind ausgezeichnet, Eden! Sie verscheuchen nämlich die ängstlichen Landratten!« Das klang richtig befriedigt. »Für den, der den Draht nach innen hat, bleibt damit viel mehr. Mein Dad, zum Beispiel, verdient in Krakatau Dome eine ganze Menge.«
Plötzlich schoß mir ein Gedanke durch den Kopf. »Dein Vater? Danthorpe? Dann muß er also .«
Er nickte. »Du hast also schon von ihm gehört«, sagte er stolz. »Er hat sich in der untersten Ebene des Krakatau Dome eingekauft, als die Stadt weiter nichts war als sechs Edenit-Blasen, die aneinandergekoppelt und ein Versprechen für die Zukunft waren. Und auf die Art ist er bis zur Spitze gelangt. Immer, wenn es ein Seebeben gibt, gehen die Preise nach unten. Da kauft er - und wird wieder ein Stück reicher. Er hat einen Sitz an der Börse und ist im Rat. Er lebt schon so lange in den Tiefen, daß ihn die Leute Barnacle Ben heißen .«
Bob unterbrach ihn. »Barnacle Ben? Scheint ein guter Name zu sein. Klingt gut für einen Parasiten. Wenn du von richtigen Pionieren reden willst, von den Erfindern und Forschern, die den Seeboden erschlossen, als das Festland hoffnungslos übervölkert war, dann frag’ Jim nach seinem Onkel Stewart. Stewart Eden, der das Edenit erfand!«
Danthorpe blieb stehen und musterte mich scharf. »Was? Der alte Stewart Eden ist dein Onkel?«
»Ja, das stimmt. Ich will nicht damit angeben. Onkel Stewart sagt, die Familie sei wichtig wegen der Inspiration und der Hilfe, die man von ihr hat, nicht zum Angeben. Aber natürlich bin ich wahnsinnig stolz auf den Mann, der das ganze TiefseeReich überhaupt erst möglich gemacht hat.«
»Mein Dad könnte ihn aber glatt auskaufen«, erklärte Danthorpe. »Und er läßt keine Chance aus.« Er wartete darauf, daß ich etwas sagte, doch das sparte ich mir auf. Deshalb wandte er sich an Bob. »Na, Eskow, und was ist mit deiner Familie?«
»Was soll schon damit sein?« fragte Bob Eskow abweisend.
»Hast du denn keine Familie? Wer sind deine Leute? Was haben sie? Wo leben sie? Was tut dein alter Herr?«
»Das sind eben ... Leute. Mein Vater verdient sein Geld ehrlich.«
»Wie tief? Oder ist er eine Landratte?« Mir genügte das jetzt. »Laß ihn endlich in Ruhe, Danthorpe«, warnte ich ihn. »Schau, wenn da wirklich ein wahres Wort an deinen angeblichen guten Beziehungen ist, mit denen du so prahlst, dann rate ich dir, vergiß deine Familie. Wir müssen miteinander auskommen. Konzentriere dich auf deinen Job, egal wie er aussehen wird.«
Danthorpe hob verächtlich die Schultern und deutete auf Bob, der auf die See hinausschaute. »Dann sag doch ihm, er soll sich konzentrieren. Der ist doch wirklich nicht der richtige Mann für Krakatau! Da gehört keiner hin, der sich vor Seebeben fürchtet.«
Nachdem Danthorpe endlich gegangen war, versuchte ich Bob aufzuheitern, als wir selbst zu unserer Unterkunft zurückkehrten. »Wir haben bis jetzt noch keinen Befehl bekommen«, sagte ich. »Vielleicht beginnen wir das Semester mit allen anderen zusammen.«
»Glaub’ ich nicht«, murmelte Bob düster. »Schau mal, was da am schwarzen Brett angeschlagen wird.«
Eine Ordonnanz vom vierten Jahr klebte gerade einen Befehl an das schwarze Brett. Er war für uns. Wir lasen:
Die hier genannten Kadetten melden sich heute um 17 Uhr im Büro des Kommandanten: Kadett Danthorpe, Harley Kadett Eden, James Kadett Eskow, Robert.
Wir schauten einander an. »Der O. O. D. hat doch was von 13 Uhr gesagt. Erinnerst du dich? Vorher am Tiefwasserbek-ken.«
Bob schüttelte den Kopf. »Ich hab’ ihn nicht gehört.«
Die Ordonnanz drehte sich um, salutierte und meldete: »Sir! Kadett Tilden, Walter S. bittet um die Erlaubnis, einen Oberklassenmann ansprechen zu dürfen.«
So gehörte sich’s, und ich habe es als Neuling nicht so gut gemacht. »Rede, Kadett Tilden!« sagte ich ihm.
Er stand stramm und schaute irgendwohin in die Unendlichkeit, wie es Vorschrift war. »Sir, Kadett Eden hat zwei Befehle. Der um 13 Uhr betrifft den möglichen Tod seines Onkels Stewart Eden.«
2. Der Mann namens Gezeitenvater
Die Gezeiten warten nicht!
Das stand in groben Silberbuchstaben über dem Korallenportal der Akademie und war ihr Motto.
Aber ich wartete. Ich war zehn Minuten früher gekommen, doch für den Kommandanten war 13 Uhr immer und jederzeit 13 Uhr, keine Sekunde früher oder später. Ich saß stramm in seinem Vorzimmer und überlegte, ob die Ordonnanz mit seiner Vermutung recht gehabt haben könne.
Mein Onkel Stewart war mein einziger naher Verwandter. Sein Heim lag zehntausend Meilen entfernt und drei Meilen tief im Tiefsee-Staat Marinia. Ich wußte, daß er in letzter Zeit nicht mehr recht gesund gewesen war, und vielleicht hatte sich sein Zustand verschlechtert. Aber daran wollte ich ja gar nicht denken. Möglicher Tod, das heißt, daß keine Krankheit vorausgegangen war .
Genau um 13 Uhr kam der Kommandant aus der Offiziersmesse. Er war ein düsterer Riese von einem Mann, so kraftvoll wie die See selbst. Begleitet wurde er von einem kleinen, zierlichen Mann in klerikalem Schwarz. Er mußte sich mit seinen viel kürzeren Beinen ordentlich ‘ranhalten, und gleichzeitig redete er drängend auf den Riesen ein.
»Ach-TUNG!« bellte der Posten und präsentierte seine Waffe. Ich sprang auf.
Der Kommandant blieb auf seinem Weg in sein Büro stehen, der kleine Mann ebenfalls. »Kadett Eden«, sagte der Kommandant ernst, »Sie haben einen Besucher. Das hier ist Vater Jonah Tidesley von der Gesellschaft Jesu. Er ist einen weiten Weg gekommen, um Sie zu sehen.«
Ich erinnere mich daran, des kleinen Mannes Hand geschüttelt zu haben, doch recht viel mehr weiß ich nicht, nur daß ich dann mit den beiden Männern im Kommandantenbüro saß. Der Kommandant, der großen Respekt vor dem Priester zu haben schien, musterte mich so scharf, daß ich mich fast unbehaglich fühlte. Sie sagten, der Kommandant könne die Gedanken der Kadetten lesen, und das konnte wahr sein.
Dann konzentrierte ich mich auf das, was Vater Tidesley sagte: »Ich kannte Ihren Onkel, Jim«, sprach er mit klarer, warmer Stimme. »Vielleicht hat er schon einmal von mir erzählt. Gewöhnlich nannte er mich Gezeitenvater. Das tun alle.«
»Ich kann mich nicht erinnern, Sir. Aber ich sehe ja meinen Onkel auch sehr selten.«
Er nickte. Er war ein liebenswerter kleiner Mann, doch seine blauen Augen waren ebenso scharf wie die des Kommandanten. Und er war nicht mehr jung. Sein Gesicht war rund und dicklich, doch die roten Wangen wiesen viele Falten auf. Ich wußte gar nichts von ihm. »Aber setzen Sie sich, Jim«, sagte er, und der Kommandant nickte aufmunternd. »Ich habe von Ihrem Abenteuer mit den Seeschlangen gehört, Jim. Ah, das war sicher keine Kleinigkeit! Ich selbst hätte den TongaGraben auch gerne einmal gesehen, doch bis jetzt war mir das nicht möglich. Vielleicht später einmal ...
Aber Sie haben viel mehr getan als dies. Ich weiß sehr viel über Sie, Junge, wenn wir einander auch noch nie begegnet sind.« Das war alles richtig. Möglich, daß Onkel Stewart mit ihm über mich gesprochen hatte, doch er mußte sich in der Tiefsee wirklich gut auskennen, diese Landra ...