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Jemand packte mich und weckte mich ziemlich unsanft auf. Es war Harley Danthorpe. »Du hast ja ganz verzweifelt getan, Jim«, sagte er. »Hast du abends Muscheln gegessen? Oder einen Tintenfisch?« Er lachte dazu, denn dies war ein uralter Witz der Tiefsee-Leute. Dabei weiß jeder, daß ein Tintenfisch bestimmt keine Alpträume erzeugt, auch keine Muschel. »In dreißig Minuten sind wir zur Station K befohlen.«

Benommen tastete ich nach meiner Uhr.

»Fünf Uhr ist’s«, sagte Harley.

Da war ich schnell wach. Man wollte uns also drei Stunden früher im Dienst haben. Und das wiederum hatte zu bedeuten, daß sich etwas zusammenbraute.

Als wir zur Station kamen, war Lieutenant McKerrow im Dienst. Er tat düster und gereizt. Lieutenant Tsuya hatte immer den Dienst mit einem kurzen Gespräch über die Kräfte begonnen, die sich auf das Gestein unter unserer Dienststelle auswirkten. Die Mühe machte sich Lieutenant McKerrow nicht. Die übermüdete Crew an der Geosonde machte neue Versuche, und wir sollten dabei helfen.

Bob Eskow war nicht auf der Station, auch im Quartier war er nicht gewesen. Insoweit stimmte das also, was ich Lieutenant Tsuya berichtet hatte. Sehr interessiert war er aber daran anscheinend nicht. Er befand sich jetzt in seinem kleinen Kartenraum, der zur Station gehörte, und schlief dort auf dem schmalen Feldbett, während wir den neuen Test mit der Sonarsonde beendeten.

Es war kein besonders erfolgreicher Test. Der Endpunkt, wo die Implosion der Sonde erfolgte, lag bei siebzigtausend Fuß unter der Station K, also bei ungefähr zwanzig Kilometern.

Doch schon diese Ergebnisse waren, als wir sie umrechneten, beunruhigend genug. Sie zeigten einen scharfen Anstieg der negativen Schwerkraftanomalien. Angenommen, die Sensorelemente der Sonde hätten sehr genau aufgezeichnet, so konnte das bedeuten, daß plötzlich ein Fluß heißeren und daher weniger dichten Gesteins in eine Zone unter der Station eindrang.

Heißer und weniger dichter Stein. Zum Beispiel flüssiges Magma.

McKerrow sah müde und überanstrengt aus, als er die Karten studierte. Er nickte und hatte die Augen halb geschlossen. »Ungefähr so wie es Tsuya erwartet hat«, murmelte er. »Ansteigend. Eden, Danthorpe, Sie beide machen sich sofort an die Analyse. Jeder für sich. Ich möchte sehen, ob Sie beide getrennt voneinander zu gleichen Ergebnissen kommen. Wenn Sie begriffen haben, was es heißt, Beben vorherzusagen, dann können Sie das jetzt beweisen.«

So machten wir uns also an die Arbeit, Harley und ich, jeder an seinem Tisch.

Ich skizzierte die Druckisobaren, die Isogeothermen der Temperatur, die Milligale der Schwerkraftanomalien, die Kraftvektoren; die Veränderungen bei den früheren Analysen gab ich dem Computer ein und projizierte sie in die Zukunft. Dabei bediente ich mich zur Errechnung der Spannungen der geodynamischen Gleichungen, die von Vater Tide entwickelt worden waren. So lokalisierte ich die wahrscheinlichen Fehlerebenen. Ich maß die Gezeitendrücke und schätzte die anderen Auslösefaktoren ab. Schließlich baute ich meine Zahlen in die Gleichungen der möglichen Zeit und Kraft ein.

Das Ergebnis, das ich bekam, gefiel mir ganz und gar nicht.

Ich besah mir noch einmal meine Zahlen, dann schaute ich zu Harley Danthorpe hinüber. Offensichtlich hatten ihn seine Berechnungen zu ähnlich beunruhigenden Resultaten geführt. Er sah sehr blaß aus und blinzelte mehr als sonst. Er radierte heftig und malte seine Ziffern neu.

Die Bebenvorhersage ist, genaugenommen, keine Wissenschaft, wie es auch die Wettervorhersage nicht ist.

Man versteht die Ursachen und Wirkungen der großen daran beteiligten Prozesse sehr gut, aber ein Mensch ist nun einmal nicht darauf eingerichtet, restlos alle Daten zu sehen, um alle Tatsachen berücksichtigen zu können.

Ich glaube, wenn man eine absolut genaue Bebenvorhersage machen will, müßte man eingehende Informationen vielleicht über jedes Molekül der Erdkruste haben; man müßte die Temperaturen und die Schmelzpunkte kennen, die chemischen Zusammensetzungen und Unreinheiten, die Drücke, die Trenn-und Fliehkräfte, die magnetischen und elektrostatischen Einflüsse, die Radioaktivität - alles und noch viel mehr. Weiß man dies alles, dann müßte man doch noch ein gutes Stück mehr erfahren, denn man müßte auch noch wissen, wie sich in welcher Stärke und in welchem Zeitraum die einzelnen Daten, Zusammensetzungen und Kräfte verändern, ob sie nach oben oder unten gehen, wie schnell, gleichmäßig ansteigend oder abfallend, oder ungleichmäßig und in welchem Ausmaß ...

Man kam sich da ungefähr so vor wie in einem riesigen Theater mit einer Million Zuschauern, und jemand schrie »Feuer!« Es gibt keine Möglichkeit, genau vorherzusagen, was die Menge in einem solchen Fall tut. Man müßte vorher wissen, wie jede einzelne Person reagieren wird, denn ein einziges kopfloses Individuum kann alle Vorsichtsmaßnahmen über den Haufen werfen. In einem solchen Fall läßt sich also nichts vorhersagen, und so ist es im Grund auch bei den Beben. Selbst wenn man alle Daten hätte, könnte man höchstens von Möglichkeiten oder Wahrscheinlichkeiten sprechen.

Man muß also immer von dem ausgehen, was man hat. Die Daten sammelt man. Da man nicht jedes Felsstückchen messen kann, nimmt man hier und dort ein Muster, um - hoffentlich -ein durchschnittliches Bild zu bekommen. Selbst Instrumente sind Fehlern unterworfen, da sie unter ungeheuren Drücken arbeiten, auch unter zum Teil sehr hohen Temperaturen oder großen Temperaturschwankungen. Diese Instrumentendaten liest man also ab, bringt sie zueinander in Relation und legt sie aus. Diese Auslegung ist ungeheuer wichtig, fast noch wichtiger als die Daten selbst.

Und dann ist es ja schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich, mit den Sonden zum Bebenherd hinabzukommen; das heißt natürlich, zum vermutlichen oder voraussichtlichen Bebenherd. Viele Beben kommen aus einer Tiefe von hundert Meilen und mehr unter der Oberfläche. Zwanzig Meilen, die wir bestenfalls messen können, sind lächerlich wenig, der Rest ist Theorie, ein bißchen Erfahrung, indirekter Beweis - und Vermutung.

Ausgehend von diesem Wissen, rechnete ich meine ganze Arbeit noch einmal nach, fütterte noch einmal den Computer mit den Gleichungen. Ich prüfte alles nach, was nur irgendwie möglich war, ich warf die Ziffern der Schwerkraftanomalien aus, die mir unwahrscheinlich hoch erschienen und setzte sie wieder ein, als die letzten drei Versuche mit der Geosonde die gleiche rasche Zunahme negativer Anomalien ergaben. Meine neu gewonnenen Ziffern kamen in die Gleichungen der möglichen Zeit und der möglichen Kraft - und ich kam zu denselben Ergebnissen.

Natürlich ließ sich nie eine eindeutige Antwort errechnen, etwa der Art: es gibt kein Beben, aus dem ganz einfachen Grund, weil es jederzeit und überall ein Beben geben kann. Davon gingen auch die Gleichungen aus.

Die beste erreichbare Möglichkeit war die, daß kein meßbares Beben sich in vorhersehbarer Zeit ereignen werde. Unter solchen Bedingungen ist die Ziffer für die mögliche Kraft: Null, und die für die mögliche Zeit heißt: Unendlich.

Aber diese Antworten bekam ich nicht.

Harley Danthorpe blinzelte mich besorgt an. »Jim? Bist du schon fertig?« fragte er mit heiserer Stimme.

Ich nickte.

»Was kriegst du heraus?«

Ich holte tief Atem und sagte es ihm. »Mögliche Stärke: Zehn, plus oder minus zwei als Toleranz. Mögliche Zeit: Sechsunddreißig Stunden, plus oder minus vierundzwanzig.«

Er legte seinen Radiergummi weg und sah mich fast erleichtert an.

»Ich dachte, ich hätte meinen ganzen Ballast verloren«, flüsterte er. »Aber es stimmt. Ich kam zum gleichen Ergebnis. Ganz genau.«