Mein Onkel sah erst mich an, dann Gideon. Er nickte. »Ah, ich verstehe. Aber was hat das mit mir zu tun?«
Diese Frage kam äußerst überraschend. Nie hätte ich geglaubt, daß er eine Verantwortung von sich abschütteln würde für etwas, das Gideon tat. Aber Tsuya nickte.
»Gut, Mr. Eden. Dann wollen wir über ein paar Dinge reden, die Sie direkt betreffen.
Erstens«, zählte er an seinen Fingern ab, »ist da die Frage, was Sie bei der kürzlichen Eruption, in der Ihr Wagen verlorenging, beim Mount Calcutta zu suchen hatten.«
»Tiefsee-Bergung, Lieutenant, ist eines meiner Hauptanliegen«, erwiderte mein Onkel. »Wir hatten in einem der Canons unter dem Seeberg ein verlorenes Schiff entdeckt, und wir versuchten es zu bergen.«
Der Lieutenant hob eine Augenbraue. »Die Geschichte des Indischen Ozeans ist mir einigermaßen bekannt. Ich glaube nicht, daß in der Umgebung von Mount Calcutta im letzten Vierteljahr hundert ein Schiff verlorenging.«
Mein Onkel nickte. »Stimmt. Es war ein älteres Wrack.«
»Ah, ich verstehe«, meinte Lieutenant Tsuya skeptisch. »Und wenn die Tiefsee-Bergung Ihr Geschäft ist - warum haben Sie hier in Krakatau Dome ein Büro aufgemacht?«
»Bergung ist nur eines meiner Geschäfte. Deshalb heißt mein Firmenname ja auch EDEN ENTERPRISES, UNLIMITED. Das schließt alles mit ein, was sich irgendwie ergeben könnte.«
»Auch Börsenspekulationen?« knurrte Lieutenant Tsuya. »Ich hörte, bei dem letzten Beben machten Sie einen Millionenprofit.«
»Gelegentlich auch Börsenspekulationen, jawohl«, gab mein Onkel zu. »Seit dreißig Jahren handle ich mit den Reichtümern der See, Lieutenant. Als ich hier nach dem Verlust meines Seewagens am Mount Calcutta ankam, entdeckte ich, daß die
Versicherungen ungewöhnlich teuer waren. Ich war daher überzeugt, daß selbst ein kleines Beben eine Panik auslösen könnte und zweifelte nicht daran, daß es auch bald eines geben würde. Ich verkaufte also einiges auf dem Markt. Ist Ihre Frage beantwortet?«
Jetzt war der Lieutenant aber zornig. »Noch nicht alle!« schnappte er. »Und ich warne Sie! Ich lasse Ihnen keine Ruhe, bis alle beantwortet sind. Was ist in diesem Safe?«
»Lieutenant Tsuya«, erwiderte mein Onkel scharf, »so weit gehen Ihre Rechte nicht! Ich bin Bürger Marinias. Mein Visum gewährt mir den Schutz der Stadtregierung hier. Wenn Sie in diesen Safe schauen wollen, brauchen Sie einen Durchsuchungsbefehl.«
»Dafür habe ich keine Zeit.«
»Dann öffne ich ihn auch nicht.«
»Ich denke schon, daß Sie das tun werden, Mr. Eden. Aus mehreren Gründen. Erstens, dieses letzte Seebeben wurde am vorletzten Abend von Kadett Eskow vorhergesagt.
Zweitens, Eskow und Ihr ... Helfer hier wurden beobachtet, als sie sich zu einem ortholytischen Exkavator in einem Drainagebecken unter Krakatau Dome begaben.
Drittens, Eskow und Mr. Park wurden gesehen, wie sie ein MOLE mit Zündern für thermonukleare Bomben beluden.
Viertens, der Mann, der Eskow und Park folgte und das MOLE entdeckte und dessen Aussage Sie wohl kaum anzweifeln wollen, ist Ihr eigener Neffe, Kadett Eden.«
Mein Onkel war im Stuhl zusammengesunken und zuckte nun zurück, als sei ein Punkt nach dem anderen ein körperlicher Schlag. Sein Gesicht wurde rot vor Zorn, aber als der Lieutenant meinen Namen nannte, ließ er die Fäuste auf seine Knie fallen.
»Das reicht jetzt, Lieutenant. Sie haben gewonnen. Ich werde den Safe öffnen.« Er stand auf, hielt sich aber an der Stuhllehne fest, als fühle er sich nicht recht sicher auf den Beinen.
Dann kniete er nieder, so daß er die Kombination vor den Augen hatte. Dann klickten die Riegel. Mein Onkel stand mühsam auf und öffnete die Tür.
Ich folgte dem Lieutenant, um hineinzuschauen. Was ich sah, war ein Schlag für mich. Es war schon schlimm genug gewesen, daß Bob Eskow und Gideon Park in der Sache mit den künstlichen Beben und den Nuklearzündern steckte, aber nun dies noch ...
Der Safe war »gefüttert« mit einem dicken stumpfgrauen Bleibelag. Und dicke Bleiziegel bildeten innen noch eine zweite Tür.
Aber diese Bleiziegel reichten nicht bis ganz zum oberen Türrand. Licht fiel darüber hinein und spiegelte sich auf schweren goldenen Kugelflächen, und um jede Kugel lag ein breiter Streifen aus Edenstahl.
»Das sind ja verbotene Atomzünder!« rief der Lieutenant triumphierend. Wütend wirbelte er zu meinem Onkel herum. »Erklären Sie mir das, Mister!«
15. Stewart Edens Verbrechen
Lieutenant Tsuya schlug die Safetür zu und trat vorsichtig zurück, denn er hatte großen Respekt vor dem atomaren Tod, den der Tresor enthielt. Dann schaute er meinen Onkel an. Seine Miene war eine merkwürdige Mischung von Gefühlen: Sorge, Schock, Trauer - und Triumph.
»Na, schön, Eden. Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Ich ...« Schwerfällig stapfte mein Onkel vom Safe zum Feldbett und ließ sich darauf nieder. Er schüttelte den Kopf, als wolle er seine Gedanken klären. Dann lehnte er sich matt an die grüne Wand zurück.
»Das sind thermonukleare Geräte!« rief Tsuya. »Sie gehören nicht in die Hände von Zivilisten, Eden! Sie wissen das sehr genau. Sie müssen der Flotte gestohlen worden sein. Aber selbst die Regierung von Krakatau hat sich verpflichtet, die internationalen Gesetze zu achten, die der Flotte die exklusiven Rechte über die Herstellung und Verwendung nuklearer Geräte einräumen. Das ist Konterbande! Und Sie können nicht leugnen, daß diese Dinge in Ihrem Besitz gefunden wurden!«
Mein Onkel blinzelte ihn an. »Ich leugne es ja gar nicht«, flüsterte er so, daß ich es kaum hören konnte.
»Und Sie haben diese Dinge vermutlich zur Erzeugung von Seebeben benützt!« rief der Lieutenant und deutete auf meinen Onkel. »Leugnen Sie das?«
Angestrengt schüttelte mein Onkel den Kopf.
Der Lieutenant war bestürzt. Er schaute mich an, dann wieder meinen Onkel. Er hatte wohl mit mehr Schwierigkeiten gerechnet. »Und Sie geben das alles zu?« fragte er ungläubig. »Sie geben zu, ein so schweres Verbrechen begangen zu haben, daß es keinen Namen dafür gibt? Tod und Vernichtung hervorgerufen zu haben, als Sie Seebeben auslösten?«
»Tod?« flüsterte mein Onkel. »Aber es hat doch gar keine Todes ...« Er sprach den Satz nicht fertig, sondern holte tief Atem. Er wurde sehr blaß, dann sank er auf das Feldbett, und sein Kopf hing schlaff über den Rand. Er atmete schwer.
»Onkel Stewart!« schrie ich und rannte zu ihm. Auch Gideon eilte an seine Seite.
»Stopp!« röhrte Lieutenant Tsuya. »Zurück! Nicht berühren! Der Mann ist ein Verbrecher!«
»Aber er ist doch krank«, wandte Gideon sanft ein. »Er braucht seine Medizin. Sie bringen ihn um, wenn ich ihm nicht helfen darf.«
»Das ist meine Verantwortung«, herrschte ihn der Lieutenant an. »Er ist mein Gefangener.« Er drehte sich zu meinem Onkel um, der nun bewußtlos war. »Stewart Eden«, dröhnte er, »als autorisierter Offizier der Tiefsee-Flotte und in Ausübung meiner Pflicht stelle ich Sie hiermit unter Arrest!«
Wenn mein Onkel diese Rede gehört hatte, so ließ er es nicht erkennen. Er lag keuchend da. Ich stand schweigend dabei, aber Gideon kümmerte sich um meinen Onkel. Geschickt schob er ihm ein Kissen unter den Kopf, hob ihm die Füße auf das Feldbett und breitete Decken über ihn. »Stewart, gleich bist du wieder in Ordnung«, redete er ihm zu. »Ich mach dir schon deine Injektion zurecht.«
»Sie tun nichts dergleichen!« schnappte der Lieutenant. »Er ist mein Gefangener!«
Gideon stand auf und wandte sich zum Lieutenant um. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals zornig gesehen zu haben. Aber nun war ich froh, daß es der Lieutenant mit ihm zu tun hatte, nicht ich.
Wie ein riesiger Krieger aus dem alten Afrika stand er da, und seine Augen waren so schwarz wie der tiefste Grund der Tiefen. Er sagte mit seiner tiefen, leisen Stimme so drohend, wie ich es noch nie gehört hatte: »Stewart Eden hat ein schwaches Herz, Lieutenant. Ich werde ihm jetzt eine Injektion machen. Wenn Sie mich daran hindern wollen, müssen Sie mich schon erschlagen.«