Vielleicht war es etwas leichter als das erste. Die Instrumente zeigten Stärke Vier an, aber nur knapp. Vielleicht war auch nur unsere allernächste Umgebung davon betroffen. Gebäude schwanken und vergrößern somit die Vibrationen eines Bebens. In Station K waren wir tief unten im Muttergestein. Das mahlende, röhrende Schütteln machten mich nur für einen Moment benommen, und niemand von uns verlor seinen festen Stand.
»So, das ist die Bestätigung!« brüllte Lieutenant Tsuya, als er wieder zu Atem gekommen war. »Diese Irren bringen noch die ganze Kuppel auf uns herunter. Vater Tide, ich gehe jetzt zum Stadtrat und fordere die sofortige Evakuierung. Wollen Sie mitkommen?«
»Natürlich«, entgegnete Vater Tide.
Wieder einmal verließen wir unsere Station. McKerrow, übermüdet wie er war, blieb allein zurück. Lieutenant Tsuya, Vater Tide, Harley Danthorpe und ich eilten zur Ratshalle. Jetzt herrschte große Angst in den Straßen von Krakatau Dome. Die Schäden waren noch erstaunlich gering, doch die öffentliche Moral hatte sehr gelitten, öfter als einmal mußten wir umkehren und uns einen anderen Weg suchen, da der kürzeste von verängstigten Menschen versperrt wurde.
Endlich hatten wir die Stadthalle erreicht. Von den Ratsherren war nicht einmal die Hälfte anwesend. Vielleicht hatten die anderen ihre persönliche Evakuierung vorgezogen, als Vorsichtsmaßnahme sozusagen, und möglicherweise waren das vorher die ärgsten Schreier gegen eine allgemeine Evakuierung gewesen. Der Rest benahm sich auch nicht mehr wie ein nüchternes Parlament; jeder Ratsherr versuchte die Kollegen zu überschreien, jeder warf allen übrigen Anschuldigungen an den Kopf, und nicht einer kam ungeschoren davon.
Auch Barnacle Ben Danthorpe war da. »Bill, du bist der Bürgermeister!« schrie er schrill. »Bring mal diese elenden Landratten zum Schweigen, damit wir hören, was die Jungs von der Flotte zu sagen haben!«
Der Bürgermeister stand rosig und schwitzend unter den heiteren, schönen Wandgemälden und murmelte: »Gentlemen, Gentlemen! Das ist eine Krise! Wir müssen Ruhe bewahren!« Aber niemand hörte ihn, weil er ja nur murmelte, während die anderen schrien und kreischten.
Der Gezeitenvater schaute sich einmal gründlich um und schritt dann, mutig wie Daniel in der Löwengrube, zum Rednerpult des Ratssaals. Er hob die Stimmgabel des Bürgermeisters vom Boden auf, verbeugte sich vor dem rosigen Stadtvater, schlug einmal an das Podium, um den Stimmgabelton zum Schwingen zu bringen und rief »Ruhe!« Es war wie ein Zauber: der Lärm legte sich, alle Gesichter wandten sich ihm zu.
Höflich verbeugte sich Vater Tide. »Lieutenant Tsuya hat Ihnen etwas zu sagen«, verkündete er mit seiner ruhigen, klaren Stimme. »Bitte, verhalten Sie sich ruhig, solange er spricht.«
Man brauchte den Lieutenant nicht zu drängen. Mit ein paar Sprüngen stand er auf dem Podium und erklärte dem Rat mit wenigen Worten ganz genau die Lage. »Wir wissen nicht, wieviele künstliche Beben noch kommen werden«, sagte er schließlich. »Wir haben Grund zur Annahme, es könnte noch ein halbes Dutzend werden. Eines wissen wir aber: das große Beben steht noch bevor.
Und wenn es kommt, wird es das Ende von Krakatau Dome sein.«
»Danke.« Vater Tide nickte dem Lieutenant höflich zu. »Und jetzt, Gentlemen, ist, so scheint mir, nur noch eines zu tun. Mit Euer Ehren Erlaubnis ...« - damit verbeugte er sich leicht vor dem Bürgermeister - »schlage ich eine Abstimmung vor. Es geht darum, ob sofort mit der Evakuierung aller Menschen aus Krakatau Dome begonnen werden soll. Wer für die Abstimmung ist, hebt bitte die Hand.«
Wie unter Hypnose hoben sich sofort fast sämtliche Hände, sogar die des Bürgermeisters; auch die von Harley Danthorpe und die meine, obwohl wir keine Stimme im Rat hatten.
Eine laute, barsche Stimme rief dazwischen. »Wartet!« schrie Barnacle Ben Danthorpe und lief zum Podium. »Vater Tide, das ist gegen jede Vorschrift! Sie haben hier keine Stimme und keinen Platz!«
»Verzeihung«, murmelte Vater Tide höflich und noch immer ruhig. »Mir schien, eine Abstimmung sei sehr zweckmäßig.«
»Abstimmung?« schniefte Danthorpe. »Ah, natürlich. Warum nicht? Dann stimmen Sie doch ab! Beschließen Sie, Krakatau Dome zu evakuieren! Und dann ist für die nächsten fünfzig Jahre in der ganzen Kuppel nichts mehr einen lausigen Penny wert, weil jeder Investor abgeschreckt wird. Wir sind dann nur noch die Kuppel, die evakuiert wurde. Jeder kauft sich anderswo ein.
Nein, Vater Tide. Mir ist von ganzem Herzen schnuppe, wer Sie sind! Auch von Ihnen lasse ich mir meine Investitionen in Krakatau Dome nicht ruinieren!
Und ihr elenden Landratten - macht schon weiter und stimmt ab! Aber vergeßt nicht, jeder, der jetzt für die Evakuierung stimmt, wird sich danach vor mir zu verantworten haben!«
Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Und dann sagte Vater Tide mit seiner ruhigen, klaren Stimme: »Jeder, der für die Evakuierung ist, möge die Hand heben!«
Langsam hoben sich zwei Hände, eine dritte; dann fiel eine zurück, die zweite, dann auch die dritte. Nicht ein einziger Mann stimmte für die Evakuierung.
Vater Tide seufzte. Er legte ruhig die Stimmgabel weg und verbeugte sich vor dem Bürgermeister. »Möge Gott euch gnädig sein«, sagte er.
Das dritte Beben traf uns auf dem Rückweg zur Flottenbasis. »Stärke Vier«, flüsterte Vater Tide, klammerte sich mit der einen Hand an ein Geländer und hielt mit der anderen Lieutenant Tsuya fest.
Der Lieutenant richtete sich hoch auf. Sein Gesicht wirkte gehetzt. »Ja, Stärke Vier«, bestätigte er. »Immer Stärke Vier. Können sie nicht einmal ordentlich zuschlagen und dann Ruhe geben?« Seine Stimme klang dünn und angestrengt. Er war wohl am Ende seiner Nervenkraft.
»Junge, bleiben Sie ruhig«, riet ihm Vater Tide. Versuchsweise ließ er das Geländer los. »Das Schlimmste ist jetzt vorbei. Und ich muß gehen ... Ich fürchte, mehr als wir hier getan haben, können wir nicht tun, Lieutenant. Höchste Zeit, daß ich in meinen Seewagen steige und hinausfahre in die Tiefen. Wissen Sie, das hier ist nicht das Epizenter der Beben. Sie haben ja Ihre eigenen Karten gesehen. Ich möchte so nahe wie möglich an das Epizenter herangehen und Messungen vornehmen ... Und Maßnahmen treffen ... Ich wollte nur, ich könnte das wirklich tun, statt nur Messungen vorzunehmen .«
Dann strich er sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich will so viele Flüchtlinge mitnehmen, wie mein Wagen fassen kann. Ich fürchte, es wird eine lange Reise zu einem sicheren Hafen werden, wenn die Kuppel einstürzt .«
Lieutenant Tsuya richtete sich straff auf und salutierte. »Kadett Danthorpe, Sie werden Vater Tide zu seinem Seewagen begleiten. Leben Sie wohl, Sir.«
»Leben Sie wohl«, sagte auch der Jesuit und schüttelte erst dem Lieutenant, dann mir die Hand. Zu mir sagte er noch etwas, das ich im Moment gar nicht voll begriff, doch ich wußte, für Vater Tide war es bedeutsam. Es war eine Generalanweisung für alle Fälle. Er sagte: »Haben Sie Vertrauen.«
Später war dieses Wort für mich sehr viel wert. Ich hätte das Vertrauen gar nicht verlieren dürfen ...
Als wir uns dem Bereich der Flottenbasis näherten, rief Lieutenant Tsuya: »Schauen Sie!«
Wir waren an den Landungsbecken der Flotte angelangt. In der Kuppel befanden sich in kurzen Abständen Sichtluken. Durch sie war zu sehen, daß die Flotte hereinkam.
Dutzende von Tiefsee-Schiffen der Flotte kamen herein, um in Krakatau Dome anzulegen. Was immer auch der Stadtrat und der Bürgermeister beschließen mochten, die Flotte hatte ihre eigenen Befehle und würde sie auch ausführen. Ganze Geschwader, über Radio und Mikrosonar aus ihren Standorten und Übungsgebieten herangeholt, standen bereit. Aber sie reichten nicht annähernd, denn ich erinnerte mich der Ziffern: mehr als eine halbe Million Bürger wäre trotzdem noch in der Falle der Kuppel, wenn das große Beben zuschlug, egal wie nachdrücklich man auch die Evakuierung betreiben würde. Aber diese langen, schlanken Schiffe in ihrer schimmernden Edenit-Panzerung waren ein erhebender Anblick.