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Er setzte sich und drehte eine Wählscheibe an seinem Tisch. An der Wand hinter ihm erschien eine merkwürdige Karte, wie ich sie noch niemals gesehen hatte. Sie schien den Seeboden zu zeigen, doch darüber lagen Linien und farblich abgesetzte Zonen, auf die ich mir keinen Reim machen konnte.

»Man hat Sie zu den schwierigsten Studien abgestellt«, sagte Lieutenant Tsuya. »Es gibt kaum schwierigere in Ihrer ganzen Tiefsee-Laufbahn. Ein kleiner Teil Ihrer Arbeit besteht darin, daß Sie den Fels um uns herum untersuchen, also fünf Meilen unter der See-Oberfläche, zwei Meilen tief im soliden Gestein.

Gentlemen, die Wichtigkeit Ihrer künftigen Aufgabe läßt sich kaum übertreiben.

Und Sie sind nur aus einem einzigen Grund hier. Sie werden sich mit der Wissenschaft der Vorhersage von Tiefsee-Beben befassen.«

Das waren zwei Wochen!

Unsere ersten Tage an der Akademie waren auch sehr rauh gewesen, doch das hier war kein Vergleich dazu. Ohne Pause, praktisch ohne daß uns einmal Zeit zum Atemholen blieb, schufteten wir in diesem elenden Verlies unter dem Meeresboden. Wir studierten, übten und studierten, und der rundgesich-tige, lächelnde Tsuya peitschte uns mit seiner nadelspitzen, höhnischen Zunge an. Lieutenant Tsuya war ein guter Mann, jawohl, aber er hatte den Befehl, in zwei kurzen Wochen die ganze Tiefsee-Seismologie in uns hineinzustopfen.

Dazu war er auch entschlossen, selbst um den Preis, daß er uns damit umbrachte. Sehr nahe daran war er ja auch.

Zuerst kam die Theorie: Vorlesungen, Studium, Prüfungen. Was ist die Erdkruste? Fels. Solider Fels? Nein, nicht unter Druck. Denn unter hohem Druck fließt sogar solider Fels. Fließt er gleichmäßig? Nein, er hängt einmal, dann fließt er, und schließlich baut sich Druck auf.

»Beben passieren«, dozierte der Lieutenant, »weil der Fels nicht völlig plastisch ist. Es baut sich Streß auf, der sich ansammelt. Der immer mehr zunimmt. Und dann macht es päng! Die Spannungen lösen sich.

Beben sind einfach die Vibrationen, welche die Energie dieses plötzlich abgebauten Stresses verteilen.«

Wir mußten eine Unmenge neuer Worte lernen, die Sprache der Seebeben. Ich erinnere mich gut daran, wie Bob murmelte: »Epizenter, Epizenter ... wenn sie das Zentrum des Bebens meinen, warum sagen sie das nicht auch?«

Und Harley Danthorpe: »Landratten! Das Epizenter ist der Punkt der Erdoberfläche genau über dem Zenter! Und das Zenter kann zwanzig Meilen tiefer liegen.«

Und wir mußten uns auch mit den drei Haupttypen seismischer Wellen vertraut machen:

Die schiebende, hämmernde Grundwelle, die »P«-Welle, die am schnellsten ist und daher auch die Instrumente zuerst erreicht. Sie rast mit einer Geschwindigkeit von fünf Meilen in der Sekunde durch die Substrata der Erde.

Die zweite Welle, die »S«-Welle, pflanzt sich mit drei Sekundenmeilen fort und vibriert rechtwinkelig zur Stoßrichtung, etwa so, als schüttle man eine Wäscheleine oder knalle mit einer Peitsche.

Dann kommt die riesige, mächtige und langsame »L«-Welle, die für die Zerstörungen verantwortlich ist. Wir lernten, wie man die Intervalle zwischen P und S mißt und daraus errechnet, wann die zerstörerische L-Welle ankommt.

Darüber hinaus lernten wir noch eine Menge anderer Dinge. Vor allem erfuhr ich einiges über unseren Lehrer Lieutenant Tsuya.

Wir zeichneten unsere ersten Karten, die jener ähnelten, die Lieutenant Tsuya für uns an die Wand projizierte; diese Karten zeigten die Fehler und Spannungen in der Erdkruste im Umkreis von vielen hundert Meilen. Die verschiedenen Farben und Schattierungen bezeichneten die Thermalenergien und die Konvektionsflüsse - denn, und das durften wir niemals vergessen, so weit unten fließt auch der solide Fels! Wir zeichneten die Linien des Mikroseismus ein, die Auslösekräfte, alles was zum »fließenden« Fels gehörte.

Lieutenant Tsuya kritisierte sie, und dann lockerte sich seine Art ein wenig.

Wir saßen da, machten ausnahmsweise eine kurze Pause, und an den Wänden aus Druckbeton hingen Perlen aus Salzwasser.

»Lieutenant«, sagte da Bob Eskow, »der Yeoman sagte uns, hier unten könne man kein Edenit verwenden, weil die Geosonde nicht durchkäme. Ist das richtig?«

Lieutenant Tsuyas Kürbisgesicht lächelte. »Nein, das ist eine Sache der Vorhersage.«

Er stand auf und berührte unsere Karten. »All diese Informationen erhalten wir von Instrumenten«, erklärte er. »Deshalb wurde auch die Station so weit unterhalb der Stadt angelegt. Jede Vibration, ob vom Verkehr oder von den Pumpen, würde sie stören. Sie müssen lernen, hier sehr vorsichtig zu gehen. Und Sie müssen vermeiden, schwere Gegenstände fallen zu lassen.«

»Ja, Sir«, antwortete Harley Danthorpe sofort und nickte aufmerksam. Dazu kniff er die Augen zusammen, als suche er nach dem heißen Draht, der nach innen führt. »Ich verstehe, Sir.«

»Wirklich?« Der Lieutenant musterte ihn nachdenklich. »Nun ja, gut. Deshalb müssen wir hier in der Station auf den Schutz des Edenits verzichten. Seismische Vibrationen erreichen uns durch den Fels. Sie würden durch die Eden-Anomalie aufgefangen werden, verstehen Sie? Wären unsere Instrumente hier mit einem Schutzschild versehen, könnten sie ja die leisesten Schwingungen nicht registrieren.«

»Ja, Sir.« Das war wieder Harley Danthorpe, doch seine Stimme klang jetzt nicht mehr ganz so forsch. Ich bemerkte, wie er die glitzernden Tropfen anblinzelte, die aus dem Fels sickerten.

»Unsere Arbeit ist hoch klassifiziert, also wird außerhalb dieser Station nicht darüber gesprochen«, sagte der Lieutenant fast barsch.

»Weshalb, Sir?« fragte ich.

Sein rundes Gesicht wirkte plötzlich müde. »Weil es eine böse Geschichte gibt, die mit der Seebeben-Vorher sage zusammenhängt.

Einige der ersten waren bei ihren Vorhersagen zu selbstsicher. Sie machten Fehler. Natürlich hatten sie noch nicht die Instrumente, die uns heute zur Verfügung stehen, und sie wußten sehr viele Dinge noch nicht, die wir heute wissen. Aber sie machten auch Fehler und gaben daher fehlerhafte Vorhersagen ab.

Am schlimmsten war die für Nansei Shoto Dome.«

Der Lieutenant wischte sich nervös mit der Hand über die Stirn, als wolle er eine störende Erinnerung wegwischen.

»Ich weiß einiges von dem, was in Nansei Shoto Dome passierte«, sagte er, »denn ich war einer der Überlebenden. Die Kuppel wurde völlig vernichtet.«

Er setzte sich wieder, schaute uns aber nicht an. »Ich war damals noch ein Junge. Meine Leute waren von Yokohama dorthin gezogen, als die Kuppel noch ganz neu war. Wir kamen im Frühling des Jahres an, und im Sommer gab es eine ganze Anzahl Beben. Natürlich bekamen die Menschen allmählich Angst.

Aber nicht alle hatten panische Angst. Unglücklicherweise.

Zu denen gehörte mein Vater. Ich erinnere mich gut, wie sehr meine Mutter ihn doch bettelte, dort wegzugehen, doch er wollte nicht. Das war zum Teil eine Geldsache, denn mein Vater hatte den letzten Yen ausgegeben, um dorthin zu kommen, zum Teil war es auch Mut. Mein Vater hatte keine Angst.

Es gab dort einen Wissenschaftler, Dr. John Koyetsu. Er war Seismologe, der Chef der experimentellen Vorhersagestation der Stadt. Er sprach im Fernsehen der Stadt. Er sagte, nein, ihr braucht keine Angst zu haben, es gibt keinen Grund dazu. Seid ruhig, das sind nur unbedeutende Beben, die euch erschrecken. Ihr braucht nicht zu fliehen. Hier besteht keine Gefahr für ein wirklich ernstes Beben. Seht, ich zeige euch meine Karten, und ihr könnt darauf sehen, daß im Nansei Shoto Graben mindestens seit einem Jahr kein ernstliches Beben war!

Seine Karten waren sehr überzeugend. Doch er hatte nicht recht.«

Der Lieutenant schüttelte seinen dunklen Kopf, und sein rundes Gesicht sah plötzlich mager und eingefallen aus.