»Es war am Freitag früh. Meine Mutter und mein Vater sprachen darüber, als ich von der Schule nach Hause kam. Sie waren recht beruhigt. Aber es war zufällig so, daß sie beschlossen hatten, mich auf dem Festland zur Schule zu schicken. Meine Mutter dachte, die Zeit sei genauso gut wie jede andere. Oh, Angst hatten sie nicht. Aber meine Mutter wollte kein Risiko eingehen.
Am Abend brachten sie mich auf ein Schiff nach Yokohama. Am nächsten Nachmittag schlug das Beben zu. Es zerstörte Nansei Shoto Dome. Nicht einer überlebte.«
Einen Augenblick lang stand Lieutenant Tsuya schweigend da, und seine dunklen Augen folgten dem kleinen Rinnsal schwarzen Wassers, das in den schmalen Gully unter der Betonwand floß.
Danthorpe musterte ihn scharf aus zusammengekniffenen Augen, als halte er wieder nach dem heißen Draht nach innen Ausschau. Bob besah sich den Beton mit ausdrucksloser Miene.
»Deshalb ist unsere Arbeit so streng geheim«, sagte der Lieutenant unvermittelt in die Stille hinein.
»Die Bebenvorhersage hatte einen schlechten Namen. Sie verhinderte die Evakuierung von Nansei Shoto Dome und hatte viele Todesfälle zur Folge. Meine Eltern waren unter den Toten.
Die Tiefsee-Flotte ist autorisiert, diese Station zu führen, doch an die Öffentlichkeit werden keine Vorhersagen geliefert. Ich hoffe, daß wir damit viel mehr Menschenleben erhalten können als durch Koyetsus Irrtum vernichtet wurden. Aber erst müssen wir die absolute Genauigkeit unserer Vorhersagemethoden sichern.
Im Moment dürfen Sie also mit keinem Menschen über unsere Arbeit hier sprechen. Das ist ein Befehl.«
6. Der Erdbohrer
Die Zeit verging, und wir lernten.
Eines Tages kam Lieutenant Tsuya zu uns, als wir an unseren Konvektionsdiagrammen arbeiteten.
»Sie lernen allmählich, zu verstehen«, stellte er fest. Er lächelte, sah unsere Karten Linie für Linie durch und nickte. »Sehr schön. Nun habe ich etwas Neues für Sie.«
Er nahm eine versiegelte Röhre aus gelbem Plastik aus seiner Aktentasche. »Beobachtungen sind der Schlüssel für Vorhersagen«, begann er. »Und Sie haben gesehen, es sind die Tiefenfokus-Beben Hunderte von Meilen unter der Oberfläche, die bestimmen, was mit unseren Kuppelstädten geschieht. Und dort sind Beobachtungen sehr schwierig. Aber jetzt .«
Er öffnete die Röhre. Innen war eine kleine Maschine, keinen halben Meter lang und nicht einmal fünf Zentimeter im Durchmesser. Das Maschinchen sah dem Modell-MOLE sehr ähnlich, das wir im Akademiemuseum gesehen hatten, nur war dies hier noch dünner und kleiner.
»Das ist die Geosonde«, erklärte er stolz. »Ein Telemeter, dazu bestimmt, in die Tiefen der Erde hinabzutauchen, etwa so, wie eine Radiosonde in die Atmosphäre und darüber hinaus reicht.
In der Nase ist ein atomisch-ortholytischer Bohrer. Der Körper ist ein Rohr, das mit Hochspannungs-Edenit ausgekleidet ist. Und innen sind dann die Sensoren und ein sonischer Transmitter.
Der Edenit-Film stellte uns vor ein schwieriges Problem. Sie wissen ja, daß unsere Instrumente nicht durch Edenit lesen können. Aber wir haben das Problem gelöst, denn einmal in der Minute schalten wir den Film für einen Sekundenbruchteil aus. Nicht sehr lange, aber jedenfalls lange genug für die Sensoren, daß sie registrieren können, ohne daß das Gerät durch den Druck vernichtet wird.
Mit dieser Geosonde können wir nun endlich die tiefsten Bebenzentren erreichen. Wir können damit, wie wir inständig hoffen, sicherstellen, daß sich keine solche Katastrophe mehr wie im Nansei Shoto Dome ereignet.
Oh, und noch etwas«, fügte er lachend hinzu, »unsere ersten zwei Ausbildungswochen sind vorüber. Morgen können Sie alle einen Paß bekommen.«
Da wurde Harley Danthorpe wieder lebendig. »Großartig, Lieutenant!« rief er. »Darauf habe ich dringend gewartet. Mein Vater wird jetzt ...«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Lieutenant Tsuya trocken. »Von Ihrem Vater haben wir alle schon gehört. Ich bereite die Pässe für morgen 12 Uhr vor. Am Morgen möchte ich, daß jeder von euch noch eine Vorhersage fertigstellt, die sich auf die laufenden Ablesungen stützt, also eine echte Vorhersage. Ist dies geschehen, könnt ihr gehen.«
Wir kehrten zur Basis zurück, hoch über dem Tiefenobservatorium, und eilten zur Messehalle. Bob verschwand für einen Moment, und als er zu uns zurückkam, schien er etwas besorgt zu sein. Aber da dachte ich kaum darüber nach.
Harley Danthorpe prahlte die ganze Mahlzeit hindurch mit seinem Vater. Der Gedanke, in die ihm zustehende Umgebung zurückzukehren, als Kronprinz des Königreichs der See, über das sein Vater herrschte - so sah er es -, schien ihn zu erregen.
Bob war dagegen sehr schweigsam.
Nach dem Essen gingen Harley und ich zurück zu unseren Unterkünften, um ein paar Ablesungen für die Vorhersage morgen zu üben. Harley wollte seinen Vater anrufen. Bob sah ich eine ganze Weile nicht.
Dann bemerkte ich, daß das Mikroseismometer, das ich benützte, nicht ganz stimmte. Das sind Präzisionsinstrumente, und selbst wenn man daran für den Ernstfall übt, müssen sie in Ordnung sein.
Ich verließ also das Quartier - und fiel fast über Bob. Er sprach leise, aber ziemlich hitzig mit einem Mann, den ich noch nie vorher gesehen hatte, einem kleinen, runzeligen Mann mit gelblicher Haut, der ein Chinese oder Malaie sein konnte. Gekleidet war er wie ein ziviler Hausmeister.
Bob hatte die Hand ausgestreckt, als reiche er dem Mann etwas. Dann schaute er auf und sah mich.
Schlagartig veränderte er sich. »Du, was hast du mit meinem Buch gemacht?« rief er.
Der kleine Hausmeister warf mir einen Blick zu, dann wich er zurück. »Nein, Mister!« quiekte er. »Nicht Buch genommen, Mister.«
»Was ist denn los?« fragte ich.
»Der Kerl da hat meinen Koyetsu genommen! Frag mich nicht, warum, aber ich will ihn zurück!«
»Koyetsu?« Er meinte Koyetsus Buch über die Grundlagen der Seismologie, das war eines unserer Lehrbücher. »Aber Bob, hast du das nicht Harley geliehen? Ich glaube bestimmt, daß ich ihn damit gesehen habe.«
»Harley?« Bob zögerte. Dann brummte er: »Na, gut. Verschwinde!«
Der kleine Hausmeister hob die Hände über den Kopf, als habe er Angst, Bob werde ihn schlagen. Dann rannte er davon.
Ich kehrte in die Unterkunft zurück - und da lag es. Bobs Buch auf dem Regal über Harleys Lager, deutlich zu sehen.
Ich zeigte es ihm. »Oh ... Ja ... Ich erinnere mich jetzt.« Aber Bob schaute mich dabei nicht an.
»Ich werde jetzt eine kleine Pause einlegen«, sagte er, und seine Stimme klang noch immer unsicher. Ohne mich anzuschauen, warf er sich auf sein Bett. Ich fand das recht rätselhaft.
Unterwegs zum Ersatzteillager, wo es die Mikroseismometer gab, die ich brauchte, dachte ich darüber nach. Ich fand eines, und da fiel mir ein, daß ich auch die Geosonde nachprüfen sollte, da Lieutenant Tsuya uns aufgegeben hatte, ein schematisches Diagramm davon zu zeichnen. Damit hätte ich zwei Dinge auf einmal erledigt.
Die Geosonde war in einer feuchtigkeitsdichten Kiste gelagert. Ich fand sie und begann sie zu öffnen. Dann hatte ich keine Zeit mehr, über Bobs sonderbares Benehmen nachzudenken.
Ich hatte die Kiste offen. Sie war voll, aber was da drinnen war, sah mir absolut nicht nach Geosonde aus. Sie enthielt Bleigewichte eines Schwerkraft-Anzeige-Instruments mit dazwischengestopftem Papier, damit nichts klapperte.
Die Geosonde war verschwunden.
Lieutenant Tsuya ging an die Decke. »Scheußliche Sache, Eden«, wütete er, als ich am nächsten Morgen den Verlust des wertvollen Instrumentes berichtete. »Warum sind Sie nicht sofort zu mir gekommen?«
»Nun ja, Sir ...« Ich zögerte, denn ich hatte mir um Bob Eskow zu große Sorgen gemacht, doch den Grund wollte ich nicht nennen, weil ich Bobs merkwürdiges Verhalten nicht mit dem Lieutenant besprechen wollte.