Kurz sah seinen Kameraden vielsagend an.
«Mehr als anderthalb Tonnen, und die rühren keine Hand dabei.«
«Vermutlich werden wir bezahlt, um die Arbeit zu tun«, antwortete Kid gut gelaunt.»Und wir können ebensogut gleich damit anfangen.«
Es ist durchaus kein Spaß, dreitausend Pfund hundert Schritt weit auf den Schultern schleppen zu müssen. Da es außerdem stürmte und die beiden in schweren Gummistiefeln durch den Schnee waten mußten, wurden sie ganz erschöpft. Dann mußten sie auch noch das Zelt abbrechen und das Lagergerät verpacken. Hierauf blieb noch das Verstauen der ganzen Ausrüstung im Boot übrig. Und da es dabei immer tiefer sackte, mußten sie es immer weiter in das Wasser hinausschieben und auch eine immer weitere Strecke waten. Gegen zwei Uhr war die Arbeit vollbracht, und Kid war völlig zermürbt vom Hunger, obgleich er zweimal gefrühstückt hatte. Die Knie zitterten ihm. Kurz, der sich in einem ähnlichen Zustand befand, wühlte in den Töpfen und Pfannen, bis er eine große Büchse fand, in der kalte gekochte Bohnen mit großen Happen Räucherspeck aufbewahrt waren. Sie hatten nur einen einzigen Löffel mit einem langen Stiel, und den tauchten sie jetzt abwechselnd in die Büchse.
Kid war vollkommen überzeugt, noch nie in seinem Leben etwas gegessen zu haben, das ihm so herrlich geschmeckt hatte.
«Großer Gott«, murmelte er zwischen zwei Bissen,»ich habe noch nie so einen Appetit gehabt wie auf dieser Reise.«
Während sie sich noch dieser angenehmen Tätigkeit hingaben, erschienen Sprague und Stine.
«Worauf warten wir denn?«murrte Sprague.»Sollen wir denn nie von hier fort?«
Kurz war gerade an der Reihe; er tauchte den Löffel in die Büchse und gab ihn dann Kid zurück. Und keiner von ihnen sagte ein Wort, ehe sie die Büchse ausgekratzt hatten.
«Natürlich haben wir gar nichts getan«, sagte Kurz, während er seinen Mund mit dem Handrücken abwischte.»Wir haben nicht das geringste getan. Und Sie haben natürlich auch nichts zu essen gekriegt. Es war wirklich sehr nachlässig von mir.«
«Ja doch«, sagte Stine schnell.»Wir aßen in einem andern Zelt — bei einigen Freunden.«
«Hab' ich mir gedacht«, grunzte Kurz.
«Aber jetzt sind Sie ja fertig, da können wir vielleicht abfahren«, schlug Sprague vor.
«Da ist das Boot«, sagte Kurz.»Beladen ist es schon. Aber wie haben Sie sich eigentlich gedacht, daß wir damit wegkommen sollen?«
«Wir klettern hinein und stoßen ab. Kommen Sie. «Sie wateten alle ins Wasser, und die Chefs kletterten an Bord, während Kid und Kurz das Boot vom Ufer abschoben. Als die Wellen den oberen Rand ihrer hohen Stiefel erreichten, kletterten auch sie ins Boot. Aber die beiden andern hatten natürlich ihre Riemen nicht bereit, und deshalb wurde das Boot zurückgetrieben und saß gleich wieder fest. Mit einer ungeheuren Kraftverschwendung wiederholten sie das Manöver ein dutzendmal.
Kurz setzte sich verzweifelt auf den Dollbord, nahm einen soliden Priem und rief das Weltall zum Zeugen ihres Elends an, während Kid das Wasser aus dem Boot schöpfte und die beiden Chefs unfreundliche Bemerkungen untereinander austauschten.
«Wenn ihr meinen Befehlen gehorchen wollt, werde ich das Boot schon klarmachen«, sagte Sprague schließlich.
Der Versuch war gut gemeint, ehe es ihm aber gelang, ins Boot zu klettern, war er bis zum Gürtel durchnäßt.
«Wir werden ins Lager zurückkehren und Feuer machen«, sagte er, als das Boot wieder festsaß.»Mich friert.«
«Sei doch nicht wasserscheu«, schalt Stine.»Andere Leute sind heute auch schon abgefahren und waren nasser als du. Jetzt will ich es euch zeigen.«
Diesmal war er es, der naß wurde und mit klappernden Zähnen erklärte, daß er ein Feuer nötig hätte.
«Ein paar Spritzer wie da haben nichts zu sagen«, rief Sprague höhnisch. Auch ihm klapperten freilich die Zähne im Munde.»Wir wollen weiter.«
«Kurz, sehen Sie nach, wo mein Kleidersack steckt, und machen Sie dann ein Feuer«, befahl der andere.
«Sie wagen es nicht!«rief Sprague.
Kurz sah von einem zum andern und spuckte aus, rührte sich aber nicht.
«Er ist mein Angestellter, und ich denke, daß er meinen Befehlen gehorchen wird«, antwortete Stine.»Kurz, schaffen Sie meinen Sack an Land.«
Kurz gehorchte, während Sprague zitternd vor Kälte im Boot blieb. Da Kid keinen Befehl erhalten hatte, blieb er ruhig sitzen. Er war zufrieden, daß er sich einen Augenblick ausruhen konnte.
«Ein Boot, das auseinanderfällt, kann nicht schwimmen«, murmelte er vor sich hin.
«Was wollen Sie damit sagen?«schnauzte Sprague ihn an.
«Ich hielt Selbstgespräche, eine liebe alte Gewohnheit«, antwortete Kid.
Sein Unternehmer beehrte ihn mit einem barschen Blick und schmollte weiter. Nach einigen Minuten gab er jedoch nach.
«Suchen Sie meinen Sack heraus, Kid«, befahl er,»und helfen Sie beim Feuermachen. Wir fahren erst morgen früh ab.«
Am nächsten Tage stürmte es immer noch. Der Linderman-See war eigentlich nur eine enge, mit Wasser gefüllte Schlucht. Der Wind, der von den Bergen herab in diesen Trichter wehte, war sehr unregelmäßig. Bald kam er in heftigen und stürmischen Stößen, bald besänftigte er sich und wurde zu einer leichten Brise.
«Wenn Sie die Sache mir überlassen, glaube ich, daß ich es schaffe«, sagte Kid, als wieder alles zur Abfahrt bereit war.
«Was verstehen Sie denn davon?«kläffte Stine ihn an.
«Nichts verstehe ich«, antwortete Kid und setzte sich wieder.
Es war das erste Mal, daß er für Lohn arbeitete, aber er war schon auf dem besten Wege, die notwendige Unterordnung zu lernen. Gehorsam und liebenswürdig hatte er sich an den vergeblichen Versuchen, vom Ufer abzukommen, beteiligt.
«Wie würden Sie es denn machen?«fragte Sprague schließlich, halb seufzend, halb klagend.
«Ich würde mich ruhig hinsetzen und warten, bis der Sturm für eine Weile nachläßt, und dann aus allen Kräften losschieben.«
So einfach war seine Idee, aber er war doch der erste, der darauf kam. Und gleich das erste Mal, als sie seine Methode versuchten, hatten sie Erfolg. Dann hißten sie eine Decke als Segel und glitten auf den See hinaus. Stine und Sprague gerieten gleich in eine bessere Stimmung. Kurz war trotz seines Pessimismus sowieso immer gut aufgelegt, und Kid interessierte sich zu sehr für die ganze Sache, um schlechter Laune sein zu können. Sprague quälte sich eine Viertelstunde mit der Ruderpinne ab, dann sah er Kid ermunternd an, bis er ihn ablöste.
«Meine Arme sind wie zerbrochen, so schwer ist es«, murmelte Sprague, wie um sich zu entschuldigen.
«Sie haben wohl nie Bärenfleisch gegessen?«fragte Kid liebenswürdig.
«Was, zum Teufel, meinen Sie damit?«
«Gar nichts — ich fragte nur.«
Aber hinter dem Rücken der beiden Chefs erwischte Kid ein verständnisvolles Grinsen von Kurz, der den tieferen Sinn des Gleichnisses verstanden hatte.
Kid steuerte das Boot durch den ganzen Linderman-See und erwies sich dabei als so tüchtig, daß die beiden jungen Männer, die ebensoviel Geld wie Unlust zur Arbeit hatten, ihn einstimmig zum Steuermann ernannten. Kurz war nicht weniger zufrieden damit und überließ die Bootsarbeit gern dem andern, während er selbst freiwillig das Kochen übernahm. Zwischen dem Linderman- und dem Bennet-See kam eine Strecke, wo die Ausrüstung wieder getragen werden mußte. Nachdem sie den größten Teil gelöscht hatten, wurde das Boot den engen, aber reißenden Strom hinabgelotst, und bei dieser Gelegenheit erweiterte Kid sein Wissen von Wasser und Booten um ein Bedeutendes. Als sie aber die Ausrüstung tragen sollten, verschwanden Sprague und Stine spurlos, und die beiden Männer schufteten zwei Tage lang wie nie zuvor, um das ganze Gepäck zur neuen Ladestelle zu schaffen. Und dasselbe wiederholte sich ein Mal über das andere. Kid und Kurz arbeiteten bis zur völligen Erschöpfung, während ihre Herren und Meister sich regelmäßig drückten und auch noch Bedienung von ihnen verlangten.