«Wir kommen schon ohne sie durch«, sagte Kid zu Kurz.»Du setzt dich vorn mit einem Riemen hin, und ich nehme das Ruder. Alles, was du tun kannst, ist, das Boot geradeaus zu halten. Wenn wir erst losgehen, wirst du nicht mehr hören können, was ich dir sage. Aber du sollst immer nur das Boot gerade voraus halten.«
Sie machten das Boot flott und arbeiteten sich in die Mitte des reißenden Stromes hinaus. Aus dem Cañon ertönte ein Brüllen, das immer stärker wurde. Der Fluß war so glatt wie geschmolzenes Glas, bevor er in die Mündung des Cañons hineingezogen wurde, und Kurz benutzte die Gelegenheit, um einen Priem zu nehmen. Dann steckte er seinen Riemen ins Wasser. Das Boot sprang sofort in die gekräuselten Wellen auf dem Kamm. Der Lärm, der donnernd von den engen hohen Felswänden widerhallte, war so stark, daß sie nichts anderes mehr hören konnten. Sie erstickten fast, so heftig schlugen die fliegenden Schaumspritzer ihnen ins Gesicht. Es gab Augenblicke, da Kid seinen Kameraden vorn im Bug kaum sehen konnte. Die ganze Geschichte dauerte zwar nur zwei Minuten, aber in dieser kurzen Zeit durchsausten sie auf dem Rücken des Wellenkammes eine Strecke von dreiviertel Meilen. Als sie heil hindurchgeschlüpft waren, legten sie das Boot im stillen Wasser hinter dem Cañon bei.
Kurz, der während der Fahrt vergessen hatte zu spucken, entleerte jetzt seinen Mund vom Priemsaft und spie kräftig aus.
«Das nenne ich Bärenfleisch!«rief er begeistert.»Richtiges Bärenfleisch! Weißt du, da fehlte aber nicht viel, nicht wahr, Kid? Im Vertrauen kann ich dir ja ganz ruhig erzählen, daß ich, ehe wir losfuhren, die allerjämmerlichste, lausigste Memme diesseits der Rocky-Mountains war. Aber jetzt hab' ich Bärenfleisch gegessen. Und jetzt los, jetzt wollen wir das andere Boot durchbringen.«
Auf dem Rückwege zu Fuß trafen sie ihre beiden Unternehmer, die ihre wilde Fahrt von oben beobachtet hatten.
«Da kommen die Fischfresser«, sagte Kurz.»Wollen wir uns nicht lieber in Lee halten?«
Als sie das Boot des Fremden, der Breck hieß, durch den Cañon gelotst hatten, lernten sie auch seine Frau kennen. Es war eine schlanke, mädchenhafte Frau, deren blaue Augen mit Tränen der Dankbarkeit gefüllt waren. Breck selbst versuchte, Kid fünfzig Dollar in die Hand zu stecken, und als es mißlang, wiederholte er den Versuch bei Kurz.
«Fremder«, sagte der, als er das Geld ablehnte,»ich kam hierher, um Gold aus dem Boden zu kratzen, nicht um es meinen Kollegen aus der Tasche zu ziehen.«
Breck suchte in seinem Boot und holte eine Flasche mit Whisky hervor. Kurz streckte schon die Hand aus, um sie zu nehmen, zog sie aber plötzlich wieder zurück. Dabei schüttelte er den Kopf und sagte:»Wir haben noch dieses verdammte "Weiße Roß" vor uns, und man sagt, daß es noch schlimmer ist als die "Büchse". Ich glaube, es ist besser, wenn ich mir jetzt keinen Affen anschaffe.«
Einige Meilen weiter abwärts liefen sie wieder an den Strand und legten bei. Dann gingen sie alle vier weiter, um sich das gefährliche Gewässer anzusehen. Der Fluß, der hier lauter Stromschnellen bildete, wurde durch ein Felsriff nach rechts gezwungen. Die ganze Wassermasse wurde in einem scharfen Bogen in den engen Durchgang gedrückt, so daß die Strömung furchtbar gesteigert und der Fluß zu mächtigen Wogen gepeitscht wurde, die grimmig ihre weißen Schaumspritzer gegen den Himmel schleuderten. Das war die gefürchtete "Mähne" des "Weißen Rosses", und hier gab es noch eine reichere Todesernte. Auf der einen Seite der "Mähne" war der Strom fast wie ein Korkenzieher, der teils emporschleuderte, teils hinabzog, auf der andern Seite der "Mähne" befand sich ein großer Wirbel. Um durchzukommen, mußte man folglich auf der "Mähne" selbst bleiben.
«Gegen dieses Aas ist der "Büchsen-Cañon" ja die reine Sonntagsschule«, sagte Kurz schließlich.
Als sie noch dastanden und das Gewässer betrachteten, fuhr ein Boot in die erste Stromschnelle hinein. Es war ein großes Boot, gut dreißig Faden lang, mit mehreren Tonnen Ausrüstung und sechs Mann an Bord. Bevor es die "Mähne" erreichte, tauchte es in die Wellen hinab und wurde dann wieder in die Luft geschleudert. Hin und wieder hüllten Schaum und Spritzer es vollständig ein, so daß es gar nicht mehr zu sehen war.
Kurz warf Kid einen langen Seitenblick zu und sagte:»Es saust tüchtig und hat dabei noch nicht mal die schlimmste Stelle erreicht. Jetzt holen sie die Riemen ein. Und jetzt sind sie mittendrin… Gott im Himmel… das Boot ist ja ganz weg! Nein, da ist es wieder…«
Trotz seiner Größe verschwand das Boot doch zuweilen ganz hinter dem Schaumwirbel der Wellenköpfe. Im nächsten Augenblick war es aber auf der "Mähne", wurde von einem Wellenkamm hochgeschleudert und dadurch wieder sichtbar.
Zu seiner größten Verwunderung sah Kid den ganzen langen Boden des Bootes mit dem Kiel sich deutlich vom Hintergrund abzeichnen.
Einen Augenblick — den Bruchteil einer Sekunde nur — schwebte das Boot in der Luft, die Männer saßen untätig auf ihren Plätzen, nur der Mann achtern hielt die Ruderpinne umklammert. Dann stürzte es ins Wellental hinab und entschwand für eine Sekunde den Blicken der Zuschauer. Dreimal sprang das Boot in die Höhe, und dreimal vergrub es sich wieder in den Wogen, dann sah man am Ufer, wie es aus der "Mähne" hinausglitt und der Bug in die Wirbel hineingezogen wurde. Der Mann am Steuer versuchte vergebens, es zu verhindern; er warf sein ganzes Gewicht gegen die Ruderpinne, überließ sich dann aber völlig dem Stromwirbel und suchte nur das Boot im Kreis zu halten.
Dreimal lief es im Wirbel herum, jedesmal so nahe an den Felsen, wo Kid und Kurz standen, daß sie ohne Mühe hätten an Bord springen können. Der Rudergast, ein Mann mit einem roten Bart, den er offenbar erst seit kurzem stehen ließ, winkte ihnen mit der Hand zu. Das Boot konnte nur aus dem Wirbel herauskommen, wenn es wieder in die "Mähne" hineingeriet. Bei der letzten Runde geriet es auch wirklich in die "Mähne" hinein, unglücklicherweise aber quer zum oberen Ende. Offenbar aus Angst vor dem furchtbaren Sog des Stromwirbels versäumte es der Steuermann, das Boot wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, und als er es endlich versuchte, war es zu spät. Bald oben in der Luft, bald tief in den Wellen begraben, durchquerte das große Boot die "Mähne", um in den Schlund des Korkenziehers auf der anderen Seite des Kammes eingesogen zu werden. Einige hundert Fuß weiter abwärts begannen Kisten, Schachteln und Warenballen an die Oberfläche zu kommen. Dann tauchten der Kiel des Bootes und die Köpfe der Männer auf. Zweien von ihnen gelang es, im stillen Wasser unten das Ufer zu erreichen. Die anderen wurden hinabgezogen, das ganze Wrackgut wurde von der starken Strömung fortgetragen und entschwand bald den Blicken.
Eine lange Minute schwiegen sie alle. Dann ergriff Kurz als erster das Wort:»Los«, sagte er.»Wir können ebensogut gleich losgehen. Wenn ich noch länger hier stehenbleibe, kriege ich bloß kalte Füße.«
«Das wird eine stürmische Fahrt werden«, grinste Kid.
«Es ist ja nicht deine erste«, lautete die Antwort. Hierauf wandte sich Kurz an die Chefs.»Kommen Sie mit?«fragte er.
Vielleicht war das dumpfe Brüllen des Flusses schuld daran, daß die Einladung überhört wurde.
Kurz und Kid wanderten jetzt durch den fußhohen Schnee zu ihrem Boote zurück, das dort lag, wo die Stromschnellen begannen. Dann stießen sie ab. Zwei Erwägungen schossen Kid dabei durch den Kopf, erstens, daß sein Kamerad ein prachtvoller Kerl war — und natürlich wirkte dieser Umstand auch anspornend auf ihn — , zweitens — und das wirkte ebenfalls als Anreiz — , daß der alte Isaac Bellew und alle andern Bellews ähnliches vollbracht hatten, als sie nach dem Westen wanderten. - Was sie getan haben, kann ich auch tun! Es war das Bärenfleisch, das starke Bärenfleisch, das sie kräftig und hart gemacht hatte, aber er wußte auch — und besser als je — , daß nur Männer, die schon stark waren, Fleisch dieser Art essen konnten.