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Eine Woche darauf befand sich Kid zwischen den unregelmäßigen Gebirgsketten südlich des Indianerflusses. Auf der Wasserscheide des Klondike ließ er den Schlitten zurück und belud die Wolfshunde mit dem Proviant. Jedes der sechs großen Tiere trug fünfzig Pfund, und er selbst hatte ein ähnliches Bündel auf dem Rücken. Dann nahm er seinen Weg durch den weichen Schnee, den er mit seinen Schneeschuhen festtrat, und in einer langen Reihe folgten ihm die Hunde mit ihren schweren Lasten.

Er liebte dieses einsame Leben, liebte den kalten arktischen Winter, die schweigsame Wildnis, die unendlichen Schneefelder, die keines Menschen Fuß je betreten hatte. Um ihn erhoben sich die eisbekleideten Bergesgipfel, die keine Namen trugen und auf keiner Karte verzeichnet waren. Nirgends sah er den Lagerrauch eines Jägers in der stillen Luft der Täler in den klaren Himmel steigen. Nur er allein bewegte sich durch die unendliche Stille, die über der weiten, sonst von keinem Menschenfuß betretenen Einöde brütete. Aber diese Einsamkeit bedrückte ihn nicht. Er liebte alles hier. Liebte die Arbeit des Tages, das Kläffen der Wolfshunde, das Lagern im langen Zwielicht, die zitternden Sterne am Himmel und die flammende Pracht des Nordlichts.

Besonders liebte er sein Lager, wenn der Tag zu Ende ging. Es bot ihm dann ein Bild, das er sich stets zu malen sehnte und von dem er wußte, daß er es nie in seinem Leben vergessen würde: die festgetretene Stelle im Schnee, wo das Feuer brannte, sein Schlafplatz, der aus einigen über frisch abgeschlagene Fichtenzweige ausgebreiteten Hasenfellen bestand, der von einer Persenning gebildete Windschutz, die in der Weise ausgespannt war, daß sie die Hitze des Feuers auffing und zurückwarf, die von Ruß geschwärzte Kaffeekanne und der an einer langen Stange befestigte Kochtopf, die Mokassins, die auf kleinen Stöcken aufgehängt wurden, um am Feuer zu trocknen, die Schneeschuhe, die aufrecht in den Schnee gesteckt waren. Und um das Feuer herum lagen die Wolfshunde, die sich so nahe wie möglich an die Wärme drängten, sehnsüchtig und eifrig, die zottigen Pelze vom Reif bedeckt, die buschigen Ruten um die Füße gelegt, um sie gegen die Kälte zu schützen. Und rings um das Ganze, nur um ein kleines Stück vom Lichtschein zurückgedrängt, die Mauer der Dunkelheit, die ihn umgab.

In solchen Augenblicken erschienen ihm San Franzisko, die Woge und O'Hara unendlich fern, in eine unbeschreiblich ferne Vergangenheit gebannt — nur Schatten von Träumen, die nie Wirklichkeit wurden. Es wurde ihm schwer zu glauben, daß er je ein anderes Leben als dieses wilde, freie geführt hatte, und noch schwerer fiel es ihm, sich mit der Tatsache auszusöhnen, daß er einst seine Zeit und Kraft in dem Bohèmeleben einer großen Stadt verschwendet hatte. Jetzt, da er allein war und niemanden hatte, mit dem er sprechen konnte, dachte er über vieles nach, dachte tief und einfach. Er erschrak bei dem Gedanken an die Kräftevergeudung, die seine Jahre in der Stadt gekennzeichnet hatte, die billige Oberflächlichkeit aller philosophischen Schulen und Bücher, die zynische Gescheitheit der Ateliers und Redaktionen, die Heuchelei der Kaufleute in den Klubs. Sie alle wußten nicht, was Nahrung, Schlaf und Gesundheit in Wirklichkeit bedeuteten. Sie hatten keine Ahnung, was Hunger war, kannten nicht den gesunden Schmerz körperlicher Müdigkeit, nicht das Rauschen des starken, wilden Blutes, das wie Wein den Körper durchglüht, wenn die schwere Arbeit des Tages vollbracht ist.

Und als er noch in der Stadt lebte, lag dieses schöne weiße Land des herben Nordens immer schon da, ohne daß er etwas davon ahnte. Was ihm aber am rätselhaftesten erschien, war doch, daß er, der in so ungewöhnlichem Maße für dieses Leben befähigt war, damals nicht den leisesten Ruf gehört hatte, nicht von selbst fortgezogen war, um dieses Land aufzusuchen. Doch auch dieses Rätsel sollte er lösen, wenn die Zeit kam.

«Schau her, Gelbgesicht, jetzt hab' ich es!«

Der Hund, den er angerufen hatte, hob zuerst die eine, dann die andere Vorderpfote mit einer raschen und doch beherrschten Bewegung, rollte dann wieder seine buschige Rute über die Beine zusammen und grinste ihn über das Feuer an.

«Herbert Spencer war fast vierzig Jahre alt, bevor er erkannte, was seine größte Fähigkeit und seine tiefste Sehnsucht war. Ich bin nicht so langsam gewesen. Ich brauchte nicht zu warten, bis ich dreißig wurde, um soweit zu kommen. Denn hier liegt das Gebiet, wo ich mein Höchstes leisten kann und wo meine tiefste Sehnsucht gestillt wird. Und fast wünsche ich, liebes Gelbgesicht, daß ich als ein Wolfsjunges geboren und all meine Tage ein Bruder von dir und den Deinen gewesen wäre.«

Tag für Tag wanderte er durch ein Chaos von Cañons und Wasserscheiden, die kein klares topographisches Bild boten. Es sah aus, als hätte ein weltenschaffender Spaßmacher sie hier in übermütiger Laune hingeschleudert. Vergebens suchte er einen Bach oder Nebenfluß, der südwärts nach dem MacQuestion oder dem Stewart führte. Dann kam ein Gebirgssturm, der den Schnee durch diese wirre Anhäufung von hohen und niedrigen Wasserscheiden stieben ließ. Oberhalb der Baumgrenze kämpfte er zwei Tage, ohne Feuer und ohne sehen zu können, in vergeblichem Suchen nach tieferen Regionen. Am zweiten Tage gelangte er an den Rand eines mächtigen schroffen Abhangs.

Das Schneegestöber war indessen so dicht, daß er nicht sehen konnte, wie tief der Hang abfiel, und deshalb wagte er nicht hinabzuklettern. Er wickelte sich in seine Pelzdecke und sammelte die Hunde mitten in einer großen Schneewehe dicht um sich, gönnte sich aber keinen Schlaf.

Gegen Morgen flaute der Sturm ab, und er kroch aus den Decken, um sich zu orientieren. Eine Viertelmeile weiter abwärts lag unzweifelhaft ein eis- und schneebedeckter See, der von zackigen Bergen umgeben war. Ohne es zu wissen, hatte er den Überraschungssee gefunden.

«Der Name ist wirklich sehr zutreffend«, sagte er, als er eine Stunde später am Rande des Sees stand. Eine Gruppe alter Fichten bildete den einzigen Pflanzenwuchs. Auf dem Wege dorthin stolperte er über drei Gräber. Sie waren vom Schnee bedeckt, aber durch Pfähle kenntlich, die jemand mit der Hand zugehauen und mit unleserlichen Inschriften versehen hatte. Am Rande des kleinen Haines lag eine winzige verfallene Hütte. Er öffnete die Tür und trat ein. In einer Ecke lag etwas, das einst eine Schlafstelle aus Fichtenzweigen gewesen, ein Skelett… es war noch in Pelzwerk eingehüllt, von dem nur halbvermoderte Reste übrig waren. - Das ist offenbar der letzte Besucher des Überraschungssees gewesen, dachte Kid, als er einen Goldklumpen vom Boden aufhob, der doppelt so groß wie seine geballte Faust war. Neben dem Goldklumpen stand eine Blechbüchse, die mit rohen Goldklumpen von Walnußgröße gefüllt war — es war leicht zu sehen, daß sie noch nicht ausgewaschen waren.

Jetzt erschien ihm alles wahr, was er gehört hatte, und er hegte keinen Zweifel, daß das Gold aus der Tiefe des Sees stammte. Da die Eisdecke so dick war, daß das Wasser nicht ohne besondere Vorkehrungen zu erreichen war, konnte er nichts weiter tun. Gegen Mittag warf er deshalb vom Rande des Abhangs einen letzten Blick auf den geheimnisvollen See, den er gefunden hatte.

«Alles sehr schön, mein lieber See«, sagte er.»Du hast ganz recht, wenn du dich hier verbirgst. Aber ich werde wiederkommen und dich trockenlegen — wenn die Gespenster mich nicht erwischen! Ich weiß freilich nicht, wie ich mich hierhergefunden habe, aber meine Fährte wird mir schon zeigen, wie ich dich wiederfinden soll.«

Als er vier Tage später ein kleines Tal erreicht hatte, machte er neben dem eisbedeckten Fluß und im Schutz einiger wohlmeinender Fichten Feuer. Irgendwo in der weißen Einöde, die er hinter sich gelassen, lag also der Überraschungssee — irgendwo, aber wo, das wußte er nicht mehr. Mehr als hundert Stunden hatte er sich herumgetrieben und sich durch dichtes Schneegestöber hindurchgekämpft, und nun konnte er seine Fährte nicht wiederfinden. Er hatte deshalb keine Ahnung, in welcher Richtung der See hinter ihm lag. Er konnte auch nicht mit Sicherheit sagen, ob Tage oder Wochen vergangen waren. Er hatte mit den Hunden zusammen geschlafen, sich über eine schon vergessene Zahl von kleineren Wasserscheiden gekämpft, war durch unheimliche, gewundene Cañons gezogen, die blind endeten, und hatte zweimal vergebens versucht, ein Feuer zu machen und gefrorenes Elchfleisch aufzutauen. Und jetzt war er also hier, hatte gut gegessen und sich ein angenehmes Lager bereitet. Der Sturm war vorbei. Es war klar und kalt geworden. Die Landschaft hatte wieder ihr normales Gepräge angenommen. Der Bach, an dem er lagerte, sah natürlich aus und lief auch, wie er sollte, nach Süden. Der Überraschungssee war ihm aber ebenso verlorengegangen wie allen andern, die er in vergangenen Tagen gesucht hatte. Als er den Bach einen halben Tag weiter hinabgezogen war, gelangte er in das Tal eines größeren Flusses, der seiner Ansicht nach der MacQuestion sein mußte. Hier erlegte er einen Elch, und jetzt mußten die Wolfshunde wieder Packen mit Lebensmitteln im Gewicht von je fünfzig Pfund tragen. Als er den MacQuestion hinabzog, fand er eine Schlittenfährte. Das letzte Schneegestöber hatte sie verdeckt, aber darunter war sie von denen, die hier gegangen waren, festgetreten. Er zog daraus den Schluß, daß zwei Lager hier am Fluß zu finden sein mußten und daß diese Schlittenspur den Verbindungsweg zwischen ihnen darstellte. Es war klar, daß jemand die "Zwei Hütten" gefunden hatte, und zwar waren es Leute vom unteren Lager. Er ging deshalb weiter in der Richtung des Flusses. Als er in dieser Nacht lagerte, waren es vierzig Grad Fahrenheit unter Null. Bevor er einschlief, überlegte er sich, was es wohl für Männer sein könnten, die die "Zwei Hütten" wiederentdeckt hatten, und ob er sie am nächsten Tage ausfindig machen würde. Beim ersten Tagesgrauen war er deshalb wieder auf den Beinen, und ohne Schwierigkeit folgte er der halb verwischten Fährte. Mit den großen Schneeschuhen trat er den losen Schnee fest, so daß die Hunde nicht nötig hatten, hindurchzuwaten.