«Und es war doch ein Mann auf der andern Seite«, behauptete Kid unerschütterlich.
«An dem Strohhalm kannst du nicht lange hängenbleiben, junger Freund. Wir sind nicht so viele hier am MacQuestion, und wir wissen Bescheid, wo jeder von uns sich aufhält.«
«Wer war denn der Mann, den ihr vor zwei Wochen aus dem Lager gejagt habt?«fragte Kid.
«Alonzo Miramar. Ein Mexikaner. Aber was hat der verfluchte Dieb damit zu tun?«
«Nichts, außer daß Sie ihn nicht in Betracht gezogen haben, Herr Richter.«
«Er ging den Fluß hinab, nicht hinauf…«
«Wie könnt ihr wissen, wo er hinging?«
«Ich sah ihn verschwinden.«
«Und das ist alles, was ihr von ihm wißt?«
«Nein, das ist es nicht, junger Mann. Ich weiß, wir alle wissen, daß er nur für vier Tage Nahrungsmittel und kein Gewehr hatte, um sich Fleisch zu verschaffen. Wenn er nicht die Kolonie am Yukon erreicht hat, muß er längst vorher verreckt sein.«
«Ich vermute, daß Sie alle Gewehre, die es in dieser Gegend gibt, kennen«, erklärte Kid mit Nachdruck.
Jetzt wurde Shunk Wilson ärgerlich.
«Nach deinen Fragen zu urteilen, scheinst du dir einzubilden, daß ich der Gefangene bin und nicht du. Laßt jetzt den nächsten Zeugen hervortreten. Wo ist Franzosen-Louis?«
Während Franzosen-Louis nach vorne ging, öffnete Luzy die Tür.
«Wohin gehst du?«rief Shunk Wilson ihr zu.
«Ich brauche hier wohl nicht sitzen zu bleiben«, antwortete sie höhnisch.»Am allerwenigsten, wenn ich doch kein Stimmrecht habe.«
Einige Minuten später ging ihr Mann ihr nach. Der Richter bemerkte es erst, als er die Tür hinter sich zuwarf.»Wer war denn das?«unterbrach er Pierre, der mitten in seiner Aussage war.
«Bill Peabody«, antwortete einer.»Er sagte, er wollte seine Frau was fragen und dann gleich wiederkommen.«
Aber statt Bills kam Luzy wieder herein. Sie zog ihren Pelz aus und setzte sich wieder wie vorher an den Ofen.
«Ich glaube nicht, daß wir noch nötig haben, die übrigen Zeugen zu vernehmen«, sagte Shunk Wilson, als Pierre seine Aussage beendet hatte.»Wir wissen ja, daß sie nur die Tatsachen bestätigen können, die wir bereits gehört haben. Du, Sörensen, geh mal und hol den Peabody wieder herein! Wir werden jetzt abstimmen, ob der Kerl schuldig ist oder nicht. Und dann kannst du, Fremder, ja inzwischen aufstehen und erzählen, wie es deiner Meinung nach zugegangen ist. Um keine Zeit zu verlieren, werden wir dann die beiden Gewehre, die Munition und die zwei Kugeln, mit denen geschossen wurde, herumgehen lassen.«
Mitten in seiner Darstellung, wie er nach diesem Teile des Landes gekommen sei, und als er eben beschreiben wollte, wie er plötzlich angeschossen wurde und den Hang hinauffloh, wurde Kid von dem entrüsteten Shunk Wilson unterbrochen.
«Junger Mann, was, zum Teufel, erzählst du uns da für Räubergeschichten? Wir verschwenden damit ja bloß die kostbare Zeit. Natürlich hast du das Recht, uns etwas vorzuschwindeln, um deinen Hals zu retten, aber wir haben keine Lust, uns solchen Quatsch vorbeten zu lassen. Das Gewehr, die Munition und die Kugeln, die Joe Kinade getötet haben — alles spricht gegen dich. Na, was ist denn nu wieder los? Mach mal einer die Tür auf!«
Die eisige Luft wehte herein und verdichtete sich in dem heißen Raum. Und durch die offene Tür hörte man gleichzeitig das Heulen von Hundegespannen, das immer schwächer wurde, je weiter sie sich entfernten.
«Es sind Sörensen und Peabody«, rief einer.»Sie hauen mit den Peitschen auf die Hunde los und fahren den Fluß hinab.«
«Da soll doch der leibhaftige Satan…«Shunk Wilson schwieg mit offenem Munde und starrte Luzy an.
«Vielleicht können Sie uns eine Erklärung geben, Frau Peabody?«
Sie schüttelte den Kopf und preßte die Lippen zusammen. Shunks zorniger und mißtrauischer Blick schweifte weiter und blieb auf Breck haften.
«Und ich denke mir, daß der Fremde da, mit dem Sie so lange geflüstert haben, die Sache erklären könnte, wenn er Lust hätte.«
Breck merkte mit Unbehagen, daß alle Blicke sich auf ihn richteten.
«Sam hat auch lange mit ihm gequatscht, ehe er vorhin abhaute«, sagte einer.
«Sehen Sie mal, Herr Breck«, fuhr Shunk Wilson fort.»Sie haben die Verhandlung hier unterbrochen, und Sie müssen uns erklären, warum Sie das getan haben. Was haben Sie da vorhin geflüstert?«
Breck räusperte sich ängstlich und antwortete:»Ich wollte etwas Proviant von ihm kaufen.«
«Und womit wollten Sie bezahlen?«
«Mit Goldstaub natürlich.«
«Wo haben Sie den denn her?«
Breck antwortete nicht.
«Er ist immer um den Stewart herumgeschlichen und hat geschnüffelt«, gab einer ungefragt zum besten.»Ich stieß vor einer Woche, als ich auf der Jagd war, auf sein Lager. Und ich kann euch sagen, daß er verdammt geheimnisvoll tat.«
«Der Staub stammt ja gar nicht dorther«, sagte Breck.»Ich habe es mit einer einfachen Hydraulik geschafft.«
«Bringen Sie mal Ihren Beutel und lassen Sie sehen, wie er aussieht, Ihr Goldstaub«, befahl Wilson.
«Ich sage Ihnen ja, daß er gar nicht von dort ist…«
«Wir wollen ihn trotzdem sehen, verstehen Sie?«
Breck tat, als hätte er sich am liebsten geweigert, aber er sah überall nur drohende Gesichter.
Widerstrebend begann er in seiner Tasche zu suchen. Als er eine Büchse herausholen wollte, stieß sie gegen etwas in der Tasche, das ein harter Gegenstand zu sein schien.
«Nehmen Sie alles heraus«, donnerte Wilson.
Und da kam der große Goldklumpen zum Vorschein, ein erstklassiges Ding, gelb wie kein anderes Gold, das die Zuschauer je gesehen hatten. Wilson schnappte nach Luft.
Ein halbes Dutzend, das einen schnellen Blick darauf geworfen hatte, stürzte zur Tür. Sie erreichten sie gleichzeitig, und fluchend und keifend schoben und stießen sie einander durch. Der Richter entleerte den Inhalt der Büchse auf den Tisch, aber bei dem Anblick des ungewaschenen Goldklumpens stürzte wieder ein halbes Dutzend zur Tür.
«Wo wollt ihr hin?«fragte Harding, als selbst der Richter Shunk Wilson sich anschickte, den andern zu folgen.
«Mir meine Hunde holen natürlich.«
«Wollt ihr ihn denn nicht aufhängen?«
«Das würde jetzt zuviel Zeit nehmen. Er bleibt ja, bis wir wiederkommen. Ich gehe davon aus, daß die Verhandlung für heute geschlossen ist. Jetzt haben wir keine Zeit, hier sitzen zu bleiben.«
Harding zögerte noch einen Augenblick. Er warf Kid einen grimmigen Blick zu, sah, wie Pierre Louis von der Tür aus Zeichen machte. Dann warf er noch einen letzten Blick auf den Goldklumpen und faßte einen raschen Entschluß.
«Versuch nicht wegzulaufen!«rief er Kid über die Schulter zu.»Außerdem werde ich mir gestatten, mir deine Hunde zu leihen.«
«Was ist denn los? Wieder so ein verdammter Wettlauf nach dem Golde?«fragte der blinde Trapper in einem komisch keifenden Falsett, als das Gebrüll der Männer und das Geheule der Hunde vor den Schlitten durch die Stille des Raumes hallten.