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«Sie werden uns auffressen, wenn wir es nicht tun. Sie sehen hungrig genug aus. Hallo, alter Freund. Was ist mit dir los? Schau den Hund nicht so an! Den kriegst du doch nicht in deinen Kochtopf, verstehst du?«

Die ersten waren schon angelangt und scharten sich jetzt um die beiden, während sie klagten und wimmerten, aber in einer Sprache, die weder Kid noch Kurz verstand.

Kid fand diesen Auftritt ebenso lächerlich wie schreckenerregend.

Es war kein Zweifel, daß sie Hunger litten. Ihre Gesichter mit den eingefallenen Wangen und der Haut, die sich straff über die Knochen spannte, schienen Totenköpfen anzugehören. Immer mehr kamen heran und umdrängten Kid und Kurz, bis sie von der wahnsinnigen Schar völlig umzingelt waren.

«Geht weg da — weg, zum Teufel!«schrie Kurz jetzt wieder auf englisch, nachdem er vergebliche Versuche mit seinen indianischen Brocken gemacht hatte.

Männer, Frauen und Kinder wankten und taumelten auf ihren zitternden Beinen, und sie wurden immer aufdringlicher. Ihre Augen füllten sich mit Tränen der Schwäche und brannten von dem Feuer der Gier. Stöhnend wankte eine Frau an Kurz vorbei und fiel mit ausgebreiteten Armen über den Schlitten. Ein alter Mann folgte ihrem Beispiel und begann mit zitternden Händen, stöhnend und ächzend die Riemen zu lösen, um an die Proviantsäcke heranzukommen. Ein junger Mann, mit einem gezückten Messer in der Hand, versuchte sich heranzudrängen, wurde aber von Kid zurückgeworfen. Jetzt aber drang die ganze Bande auf sie ein, und der Kampf begann.

Anfangs stießen, schoben und schleuderten Kid und Kurz die Angreifer nur zurück. Dann aber waren sie genötigt, Peitschenstiele und die bloßen Fäuste gegen die ausgehungerte Schar zu gebrauchen. Und den Hintergrund dazu bildete der Kreis wimmernder und jammernder Frauen und Kinder. Hier und da gelang es den Angreifern, die Gepäckriemen zu durchschneiden. Männer krochen auf dem Bauch heran, ohne sich um den Regen von Schlägen und Hieben zu kümmern, die auf ihre Rücken herniederprasselten, verblendet von der Hoffnung, die Lebensmittel zu erreichen. Kid und Kurz mußten sie buchstäblich am Kragen packen und gewaltsam zurückschleudern. Und so groß war die Schwäche dieser Armen, daß sie beim leichtesten Stoß umfielen. Sie machten auch keinen Versuch, den beiden Männern, die ihre Schlitten verteidigten, etwas Böses anzutun.

Ausschließlich die Schwäche der Indianer war schuld daran, daß Kurz und Kid nicht überrannt wurden. Im Laufe von fünf Minuten war die Mauer aufrecht stehender, kämpfender Indianer in einen Haufen Gefallener verwandelt, die wimmernd und ächzend im Schnee lagen, während sie schrien und greinten und mit tränenden Augen den Proviant anstarrten, der für sie das Leben bedeutete und den sie so leidenschaftlich begehrten, daß der Geifer vor ihrem Munde stand. Und hinter diesem Haufen erhob sich das klagende Geschrei der Frauen und Kinder.

«Haltet doch den Mund! Hört doch auf!«brüllte Kurz, der sich vergebens die Finger in die Ohren steckte, während er vor Anstrengung laut stöhnte.»Ah, das wolltest du… so, das wolltest du…!«rief er, sprang vorwärts und schlug einem Mann, der auf dem Bauch durch den Schnee gekrochen war und den Versuch machte, dem Leithund die Kehle durchzuschneiden, mit einem Fußtritt das Messer aus der Hand.

«Furchtbar«, murmelte Kid.

«Mir ist auch ganz heiß geworden«, antwortete Kurz, als er zurückkam, nachdem er Bright das Leben gerettet hatte.»Was wollen wir nun mit diesem ganzen Lazarett hier anstellen?«

Kid schüttelte den Kopf, aber im selben Augenblick wurde das Problem gelöst. Ein Indianer kam herangekrochen. Sein eines Auge war auf Kid und nicht auf den Schlitten gerichtet, und Kid konnte in ihm lesen, wie der gesunde Verstand um die Herrschaft kämpfte. Kurz erinnerte sich, daß er dem Mann einen Faustschlag auf das andere Auge gegeben hatte, das auch schon geschwollen und vorläufig geschlossen war. Der Indianer erhob sich auf den Ellbogen und sprach.

«Mich Carluk! Mich gut Siwash. Mich kennen weißen Mann serr gutt. Mich serr hungrig. Alle Leute hier serr hungrig. Aber Leute nich kennen weißen Mann. Mich kennen. Mich essen Proviant. Alle Leute essen Proviant. Wir kaufen Proviant. Wir villes Gold. Sommer kein Lachs Milchfluß. Winter kein Elch kommen. Kein Proviant. Mich sprechen alle Leute. Mich sagen ville weiße Leute aus Yukon kommen. Weißen Mann villen Proviant. Weißen Mann lieben Gold. Lieben serr. Wir bringen ihm Gold, gehen Yukon, weißen Mann geben Proviant. Serr villes Gold. Mich wissen, weißen Mann lieben Gold.«

Mit seinen abgezehrten Fingern tastete er an einer Tasche, die er am Gürtel trug, herum.

«Ihr machen zuviel Lärm«, unterbrach Kurz ihn ärgerlich.»Du sagen Squaws, sie sagen Papusse, sie halten jetzt Mund.«

Carluk drehte sich um und sprach auf die klagenden Weiber ein. Andere Männer, die auf seine Worte gelauscht hatten, erhoben ihre Stimmen gebieterisch, und allmählich verstummten die Frauen und brachten auch die Kinder zum Schweigen. Carluk löste die Schnur seines Tabaksbeutels und hielt die Finger mehrmals in die Höhe.

«So ville sein Volk tot«, sagte er.

Und Kid, der nachgezählt hatte, stellte fest, daß fünfundsiebzig Mitglieder des Stammes verhungert waren.

«Mich kaufen Proviant«, sagte Carluk, als er endlich den Beutel geöffnet hatte, und zog einen großen Klumpen schweren Metalls hervor. Andere folgten seinem Beispiel, und auf allen Seiten tauchten ähnliche Klumpen auf. Kurz starrte sie an.

«Herrgott!«rief er.»Kupfer! Rohes rotes Kupfer! Und sie glauben, es sei Gold.«

«Ihn Gold sein«, versicherte Carluk vertrauensvoll. Mit seiner schnellen Auffassungsgabe hatte er sofort den Sinn des Ausrufes verstanden.

«Und die armen Teufel haben ihr ganzes Vertrauen darauf gesetzt«, murmelte Kid.»Schau es dir an. Der Klumpen da wiegt mindestens vierzig Pfund. Sie haben viele hundert Pfund davon, und sie haben es hierher geschleppt, obgleich sie kaum Kraft genug hatten, sich selbst zu schleppen. Sieh mal, Kurz, wir müssen ihnen etwas zu essen geben.«

«So so, das klingt ja verflucht einfach! Aber wie steht es mit deinen geliebten Zahlen? Wir haben zusammen Proviant für einen Monat, also dreißig mal sechs Mahlzeiten, im ganzen hundertachtzig Mahlzeiten. Hier sind zweihundert Indianer, die alle einen erstklassigen ausgewachsenen Appetit haben. Wir können ihnen also nicht einmal eine einzige Mahlzeit geben.«

«Dann haben wir das Hundefutter!«antwortete Kid.»Einige hundert Pfund getrockneter Lachs werden schon ein bißchen helfen. Wir müssen es jedenfalls tun. Sie haben ihre ganze Hoffnung auf den weißen Mann gesetzt, weißt du.«

«Selbstverständlich können wir sie nicht im Stich lassen«, stimmte Kurz ihm bei,»und daher haben wir jetzt zwei verdammt eklige Dinge zu tun, eines genauso eklig wie das andere. Einer von uns muß ein Wettrennen nach Mucluc machen und dort versuchen, eine Hilfsexpedition auf die Beine zu bringen. Der andere muß hierbleiben, das Lazarett in Betrieb bringen und sich höchstwahrscheinlich auch noch fressen lassen. Aber vergiß allergütigst nicht, daß wir sechs Tage gebraucht haben, um hierherzugelangen, und wenn man auch ohne großes Gepäck reist und dazu noch besonderes Glück hat, so kann man doch den Rückweg bestenfalls in drei Tagen machen.«

Einen Augenblick ließ Kid sich die vielen Meilen, die sie zurückgelegt hatten, durch den Kopf gehen, indem er sie an seinen Kräften maß, um auszurechnen, wie lange er wohl dazu brauchen würde. Dann sagte er:»Ich kann morgen abend dort sein.«