Der Tanz in dem anliegenden Raum schloß mit einem wilden Finale, das jedoch die drei Säufer, die unter dem Klavier lagen und schnarchten, nicht störte.
«Alle an die Bar!«rief der Vortänzer, als die Musik eine Pause machte. Und dann marschierten sämtliche Paare durch die Türöffnung in den Schankraum — die Männer in Mokassins und Pelzen, die Damen in weichen, zarten Kleidern, in seidenen Strümpfen und Tanzschuhen. Eben in diesem Augenblick wurde die doppelte Haustür aufgerissen, und Alaska-Kid wankte erschöpft herein.
«Was ist denn los, Kid?«fragte Matson, der Inhaber der "Annie Mine".
Nur mit Mühe gelang es Kid, seinen Mund von den Eisklumpen zu befreien, die in seinem Barte hingen.»Ich habe meine Hunde draußen… sie sind zum Sterben erschöpft«, sagte er heiser.»Einer von euch muß hinausgehen und sich ihrer annehmen… dann erzähle ich euch, was los ist.«
In abgebrochenen Sätzen berichtete er, was geschehen war.
Selbst der Würfelspieler hatte sein Geld auf dem Tisch liegengelassen und war — obgleich er noch immer nicht seinen großen Treffer gemacht hatte — zu Kid getreten.
Er war der erste, der jetzt sprach:»Da müssen wir was tun! Das ist klar… aber was? Du hast Zeit gehabt, dir die Sache zu überlegen. Was meinst du?«
«Ja«, sagte Kid.»Jetzt sollt ihr hören, was ich mir ausgedacht habe. Wir müssen so bald wie möglich einige leichte Schlitten abgehen lassen, sagen wir hundert Pfund Proviant auf jedem. Die Ausrüstung des Führers und das Hundefutter erhöhen das Gewicht um weitere fünfzig Pfund. Aber sie werden eine gehörige Schnelligkeit erzielen können. Sagen wir, daß wir fünf solcher Schlitten abschicken, aber sofort, die schnellsten Gespanne, die besten Hundefahrer und Fährtensucher. Auf der weichen Bahn können die Schlitten spielend vorwärts kommen. Sie müssen aber gleich abfahren. Bestenfalls vergehen doch drei Tage, bis die Schlitten hingelangen, und so lange haben die Indianer nichts zu essen. Und sobald die leichteren Schlitten abgeschickt sind, werden wir mit schwerbeladenen nachkommen. Ihr könnt es ja selbst ausrechnen. Zwei Pfund für den Tag ist das allerwenigste, womit wir die Indianer halbwegs anständig auf den Beinen halten können. Das macht vierhundert Pfund täglich, und da sie Kinder und alte Leute mitführen, brauchen wir mindestens fünf Tage, um sie nach Mucluc zu bringen. Was wollt ihr also machen?«
«Eine Sammlung veranstalten, um den Proviant zu kaufen«, sagte der Würfelspieler.
«Den Proviant nehme ich auf mich«, sagte Kid ungeduldig.
«Gibt's hier nicht!«unterbrach ihn der andere.»Du hast hier nichts auszugeben. Wir machen alle mit. Einer von uns holt eine Waschschüssel. Die ganze Geschichte wird nur ein paar Minuten dauern. Und hier ist der Anfang.«
Er zog einen schweren Goldbeutel aus der Tasche, öffnete ihn und ließ einen Strom von grobem Goldstaub und Klumpen in die Waschschüssel rinnen, die inzwischen herbeigeschafft worden war. Ein Mann neben ihm riß seine Hand mit einem kräftigen Ruck beiseite und fluchte mächtig, während er die Öffnung des Sackes nach oben drehte, um den Goldstrom zurückzuhalten. Sechs oder sieben Unzen waren jedoch loser Schätzung nach in die Schüssel gefallein.
«Sei nicht solch ein Protz!«schrie der zweite.»Du bist nicht der einzige, der hier Gold hat. Ich bin auch noch da.«
«Nanu«, knurrte der Würfelspieler.»Du glaubst wohl, daß es ein Wettrennen ist, so verdammt eifrig bist du.«
Die Männer drängten und stießen sich, um ihren Anteil geben zu können, und als sie alle ihr Vergnügen gehabt hatten, hob Kid die gefüllte Schüssel hoch und lachte zufrieden.
«Das genügt, um den ganzen Stamm für den ganzen Winter durchzufüttern«, sagte er.»Und wie steht es jetzt mit den Hunden? Zunächst fünf leichte Gespanne, die den Teufel im Leibe haben.«
Ein ganzes Dutzend Gespanne wurde zur Verfügung gestellt, und das gesamte Lager, das sich zu einem Komitee aufgeworfen hatte, debattierte und diskutierte, nahm an und verwarf.
Sobald ein Gespann gewählt war, eilte der Besitzer, von fünf bis sechs Gehilfen begleitet, hinaus, um sofort anzuschirren und sich bereit zu machen.
Ein Gespann wurde zurückgewiesen, weil es erst am selben Nachmittag müde heimgekommen war. Ein Hundebesitzer stellte sein Gespann zur Verfügung, zeigte aber einen verbundenen Fuß, der es ihm unmöglich machte, es selbst zu lenken. Dieses Gespann übernahm Kid, ohne sich um die Einwände der andern zu kümmern, die behaupteten, daß er zu erschöpft sei.
Der lange Bill Haskell erklärte, daß der Dicke Olsen nicht in Frage käme, obgleich sein Gespann glänzend wäre, denn er hätte das Gewicht eines ausgewachsenen Elefanten. Der Dicke Olsen empfand seine zweihundertvierzig Pfund als eine tiefe Beleidigung. Tränen des Zorns füllten seine Augen, und seinen unendlichen Wortschwall konnte man erst beschwichtigen, als man versprach, ihm einen Platz in der schweren Division zu geben. Der Würfelspieler ergriff eifrig die Gelegenheit, um das Gespann des Dicken Olsen zu übernehmen.
Endlich waren fünf Gespanne gewählt und wurden angeschirrt, während man die Schlitten belud. Das Komitee hatte indessen nur vier Hundefahrer als tüchtig genug für die fliegende Division angesehen.
«Da haben wir ja Cultus George«, rief einer.»Er ist der richtige Meilenfresser, außerdem ganz ausgeruht und glänzend in Form.«
Aller Augen richteten sich auf den Indianer, dessen Gesicht aber unbeweglich blieb. Er sprach auch kein Wort.
«Willst du ein Gespann übernehmen?«fragte Kid.
Der große Indianer gab noch immer keine Antwort. Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr alle das Gefühl, daß jetzt irgend etwas Unerwartetes geschehen würde. Alle verließen schnell ihre Plätze und bildeten einen Kreis um Kid und Cultus George, die Angesicht zu Angesicht dastanden. Kid fühlte, daß er einstimmig zum Vertreter seiner Kameraden gewählt worden und ihrer Zustimmung sicher war, was jetzt auch geschehen würde. Er war zudem tief empört. Er begriff überhaupt nicht, daß ein anständiger Mensch, der noch dazu den Eifer der Freiwilligen gesehen hatte, sich in einem solchen Falle zurückhalten konnte. Im übrigen hatte Kid auch, während sich das Folgende abspielte, gar keine Ahnung von dem tatsächlichen Standpunkt Cultus Georges. Es fiel ihm nicht ein, daß der Indianer andere Gründe als rein geschäftliche und selbstische für seine Zurückhaltung haben könnte.