Und selbst als er erschöpft im Schnee lag, ein Auge geschwollen und von gewaltigen Faustschlägen geschlossen, die Knöchel blutig und zerschlagen, einen Arm von den Fängen der kampfwilden Hunde zerrissen, so daß ein Strom von Blut sich über ihn ergoß — selbst da noch spornte er seinen Freund durch Zurufe an.
«Wie viele sind noch vor mir?«fragte Kid, als er auf der ersten Station die ermüdeten Hudson-Bay-Hunde sich hinlegen ließ und auf den wartenden Schlitten sprang.
«Ich habe elf gezählt!«rief der Mann ihm nach, denn Kid war mit seinen eilenden Hunden schon weit weg. Sie sollten ihn fünfzig Meilen weit über die nächste Wegstrecke bringen, bis er die Mündung des Weißen Flusses erreichte. Es waren nicht weniger als neun Hunde, aber es war trotzdem sein schlechtestes Gespann. Die fünfundzwanzig Meilen vom Weißen Fluß bis zu den "Sechzig Meilen" hatte er in zwei Strecken eingeteilt, weil dort viel Packeis lag. Für diese Strecken hatte er seine beiden kräftigsten Gespanne bereitgestellt.
Er lag ausgestreckt, das Gesicht nach unten, auf dem Schlitten und hielt sich mit beiden Händen fest. Sobald die Hunde in der höchsten Schnelligkeit nachließen, erhob er sich auf die Knie, wobei er sich vorsichtig mit der einen Hand festhielt, und trieb sie mit Worten und Peitschenschlägen an. Obgleich es ein minderwertiges Gespann war, hatte er doch, bevor er den Weißen Fluß erreichte, zwei Schlitten überholt.
Hier hatte bei dem Zufrieren des Flusses das Packeis eine Schranke gebildet, so daß das Wasser auf einer Strecke von mehr als einer halben Meile unterhalb der Barriere zu einer ganz glatten Fläche hatte gefrieren können. Das ermöglichte den Wettfahrern, die Schlitten im Fahren zu wechseln, und auf dem Wege unterhalb des Packeises stand deshalb ein Ersatzschlitten neben dem andern.
Als Kid über das Packeis auf die glatte Eisebene hinausfuhr, rief er immer wieder laut:»Billy! Billy!«
Billy hörte seinen Ruf und gab Antwort. Im Schein der vielen Feuer, die auf dem Eise brannten, sah Kid einen Schlitten von der Seite her gerade auf sich zukommen. Die Hunde waren ausgeruht und überholten ihn. Als die beiden Schlitten nebeneinander liefen, sprang er auf den neuen hinüber, während Billy sich sofort fallen ließ.
«Wo ist der Große Olaf?«rief Kid.
«An der Spitze«, gab Billys Stimme zur Antwort. Und schon lagen die vielen Feuer hinter ihm, und Kid sauste weiter durch die schwere Dunkelheit.
Im Packeis dieser Strecke, als der Weg ihn durch ein Chaos von hochkant stehenden Eisschollen führte, ließ sich Kid vom Schlitten gleiten, spannte sich selbst vor und lief neben den Hunden her. Dennoch überholte er drei Schlitten. Sie hatten Unfälle gehabt. Er hörte die Männer laut fluchen, während sie die Hunde aus dem Geschirr schnitten, um es reparieren zu können.
Als er über das Packeis der nächsten Strecke zu den "Sechzig Meilen" fuhr, überholte er wieder zwei Schlitten. Aber es sollte ihm selber auch nicht besser ergehen, denn einer seiner Hunde verrenkte sich die Schulter, so daß Kid nicht weiterfahren konnte und das Gespann anhielt. Die andern Hunde waren erbost und griffen ihren Genossen mit den Fängen an, so daß Kid genötigt war, sie mit dem dicken Ende seiner Peitsche zurückzutreiben.
Als er das verletzte Tier vom Strang schnitt, hörte er das Heulen andrer Hunde hinter sich und die Stimme eines Mannes, die ihm bekannt vorkam. Es war Herr von Schroeder. Kid stieß einen warnenden Ruf aus, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Der Baron rief seinen Hunden etwas zu, legte die Steuerstange um, und es gelang ihm, in einem Abstand von wenigen Fuß vorbeizuschlüpfen. Aber so undurchdringlich war die Dunkelheit, daß Kid ihn wohl vorbeifahren hörte, aber nicht sah.
Auf der ebenen Eisfläche bei der Handelsstation von "Sechzig Meilen" überholte Kid noch zwei Schlitten. Alle drei hatten hier die Gespanne gewechselt, und fünf Minuten lang fuhren sie Seite an Seite, die Männer auf den Knien liegend, während sie die Hunde durch Rufe und Peitschenhiebe antrieben. Kid hatte sich diese Strecke besonders genau eingeprägt und bemerkte jetzt den hohen Fichtenbaum, der in dem schwachen Schein der vielen Feuer nur undeutlich zu erkennen war.
Hinter dem Baum, wo es wieder ganz dunkel wurde, hörte die glatte Fläche plötzlich auf. Kid wußte auch, daß der Weg sich dort verengte, so daß nur für einen Schlitten Platz war. Er beugte sich vor, ergriff den Strang und zog den Schlitten an den letzten Hund heran.
Er ergriff das Tier an dem einen Hinterbein und warf es um.
Unter wütendem Bellen versuchte es ihn zu beißen, aber die andern Hunde zogen es weiter. Es hatte doch mit Erfolg als Bremse gewirkt, und die beiden andern Schlitten, die noch immer nebeneinander liefen, sausten vor ihm in die schmale Passage hinein. Kid hörte das Krachen und das Getümmel, als sie zusammenstießen. Schnell gab er den Deichselhund wieder frei, sprang an die Steuerstange und ließ das Gespann rechts in den weichen Schnee einschwenken, wo die Hunde bis an den Hals versanken. Es war eine anstrengende Arbeit, aber er kam an den festgefahrenen Schlitten vorbei und erreichte weiter vorne wieder den festgetretenen Weg.
Von den "Sechzig Meilen" ab hatte Kid sein zweitschlechtestes Gespann. Obgleich es sonst an sich eine gute Strecke war, hatte er sich doch entschlossen, es nur fünfzehn Meilen weit zu benutzen. Zwei weitere Gespanne sollten ihn dann nach Dawson und dem Büro des Goldkommissars bringen, und für diese Strecke hatte Kid die beiden besten Gespanne bestimmt. Sitka Charley selbst wartete auf ihn mit seinen acht Malemutes, die Kid die nächsten zwanzig Meilen fahren sollten. Das Schlußrennen wollte er dann mit seinen eigenen Hunden machen, die ihn fünfzehn Meilen fahren mußten. Es war dasselbe Gespann, das er den ganzen Winter gebraucht hatte und das mit ihm auf der Suche nach dem Überraschungssee gewesen war. Die beiden Männer, die er bei den "Sechzig Meilen" nach dem Zusammenstoß hinter sich ließ, überholten ihn nicht wieder, anderseits aber gelang es auch seinem Gespann nicht, einen der drei Schlitten einzuholen, die noch immer an der Spitze waren. Wenn es seinen Tieren auch an Kraft und Schnelligkeit fehlte, so waren sie doch willig, und er brauchte sie nicht anzutreiben, damit sie ihr Bestes hergaben. Kid hatte nichts zu tun, als ruhig, das Gesicht nach unten, auf dem Schlitten zu liegen und sich mit beiden Händen anzuklammern. Ein Mal über das andere tauchte er aus der Dunkelheit im Lichtkreis eines flackernden Feuers auf, sah im Vorbeifahren pelzgekleidete Männer, die bei wartenden Hundegespannen standen, und tauchte dann wieder in der Finsternis unter. Meile auf Meile sauste er dahin, ohne etwas anderes zu hören als das Knirschen und Kreischen der Kufen über dem Schnee. Fast automatisch hielt er sich fest, während der Schlitten vorwärts sauste, in die Luft geschleudert wurde oder bei den Wegbiegungen halb umkippte. Immer wieder tauchten unterwegs drei Gesichter in seinem Bewußtsein auf: das Joy Gastells, lachend und kühn, das seines Freundes Kurz, zerschlagen und blutig nach der Schlacht am Monobach, und das John Bellews, gefurcht und abgehärtet, wie in Eisen gegossen, unerbittlich in seiner Strenge. Und hin und wieder fühlte Kid das Bedürfnis, in laute Rufe auszubrechen, eine wilde Jubelhymne anzustimmen, wenn er sich der Redaktion der Woge erinnerte oder an die lange Erzählung aus San Franzisko, die er nie zu Ende gebracht hatte, oder wenn er an all die andern Nichtigkeiten jener tatenlosen Tage dachte.