Als er seine erschöpften Hunde gegen die acht Malemutes auswechselte, brach der graue Morgen an. Sie waren leichter als die Hudson-Bay-Hunde und waren auch entsprechend schneller. Sie besaßen die geschmeidige Unermüdlichkeit echter Wölfe. Sitka Charley rief ihm die Reihenfolge nach, in der die Schlitten vor ihm fuhren. Der Große Olaf führte, Arizona-Bill war der zweite, Baron von Schroeder der dritte. Sie waren die drei besten Schlittenfahrer im Lande. Tatsächlich hatten die Leute schon, ehe Kid Dawson verließ, in derselben Reihenfolge auf die drei gesetzt. Während sie selbst ihr Rennen um eine Million machten, betrug der Einsatz, den andre auf sie setzten, schon fast ein halbe Million.
Kein einziger hatte auf Kid gesetzt, wurde er doch trotz seiner verschiedenen Fahrten, die ihm einen gewissen Ruf verschafft hatten, noch immer als ein Chechaquo betrachtet, der noch viel zu lernen hatte.
Als es heller wurde, sah Kid vor sich einen Schlitten, und nach einer halben Stunde war sein Führerhund schon unmittelbar dahinter. Erst als der Mann den Kopf wandte, um ihm einen Gruß zuzurufen, sah Kid, daß es Arizona-Bill war. Herr von Schroeder hatte ihn offenbar überholt. Der festgetretene Pfad durch den weichen Schnee war zu schmal, und eine zweite halbe Stunde war Kid deshalb genötigt, hinter ihm zu bleiben. Dann fuhren sie über Packeis und schwenkten auf eine glatte Ebene ein, wo mehrere Relaisstationen errichtet waren und man den Schnee überall in weitem Umkreis festgetreten hatte. Kid trieb seine Tiere an; er lag auf den Knien und knallte unter lauten Zurufen mit der Peitsche. Er bemerkte, daß der rechte Arm Arizona-Bills unbeweglich herabhing und daß er gezwungen war, die Peitsche mit der Linken zu schwingen. So unbequem es auch war, konnte er sich nicht am Schlitten festhalten und mußte deshalb hin und wieder die Peitsche hinlegen und sich mit der linken Hand festhalten, um nicht vom Schlitten zu fallen. Kid erinnerte sich des Kampfes beim Claim drei und verstand, was los war. Der Rat, den Kurz ihm gegeben hatte, war wirklich sehr klug gewesen.
«Was ist geschehen?«fragte er, als er den andern einholte.
«Weiß nicht!«antwortete Arizona-Bill.»Ich glaube, ich habe mir bei einer Keilerei die Schulter verrenkt.«
Nur mit großer Mühe gelang es Kid, ihn zu überholen, als aber die letzte Relaisstation in Sicht kam, war Arizona-Bill immerhin um eine halbe Meile hinter ihm. Vor sich konnte Kid den Großen Olaf und Herrn von Schroeder nebeneinander sehen. Wieder hob Kid sich auf die Knie und hetzte seine erschöpften Hunde zu einer letzten verzweifelten Anstrengung, wie es nur einem Manne möglich ist, der mit dem sicheren Instinkt, des Hundefahrers geboren ist. Er kam unmittelbar an den Schlitten von Schroeder heran, und in dieser Reihenfolge sausten die drei Schlitten über die glatte Fläche unterhalb einer Ansammlung von Packeis, wo viele Männer mit wartenden Gespannen standen. Die Entfernung bis Dawson betrug jetzt nur noch fünfzehn Meilen.
Herr von Schroeder, der jede zehnte Meile das Gespann wechselte, hatte das auch fünf Meilen vorher getan und sollte erst nach weiteren fünf Meilen ein neues Gespann übernehmen. Er fuhr also mit voller Geschwindigkeit weiter. Der Große Olaf und Kid wechselten im Fahren die Schlitten, und ihre frischen Gespanne holten gleich wieder den Vorsprung, den der Baron inzwischen erobert hatte, auf.
Es gelang dem Großen Olaf, vorbeizukommen, und Kid folgte ihm auf der engen Bahn.
Gut, aber nicht gut genug, zitierte Kid in Gedanken Herbert Spencer.
Herrn von Schroeder, der jetzt hinter ihm war, brauchte er nicht mehr zu fürchten, aber vor sich hatte er den besten Hundefahrer des ganzen Landes. Ihn zu überholen schien fast unmöglich. Immer und immer wieder, ein Mal über das andere, brachte Kid seinen Leithund direkt an den Schlitten des anderen heran, aber jedesmal machte auch der Große Olaf eine letzte Kraftanstrengung, und es gelang ihm immer wieder, den Abstand zu vergrößern. Kid mußte sich darauf beschränken, sich dicht hinter ihm zu halten, und er tat es mit grimmiger Energie.
Das Rennen war nicht verloren, solange keiner gewonnen hatte, und auf einer Strecke von fünfzehn Meilen konnte noch allerlei geschehen.
Drei Meilen vor Dawson geschah auch wirklich etwas Unerwartetes. Zu Kids größter Überraschung hob der Große Olaf sich auf die Knie und begann mit Flüchen und Peitschenhieben die letzte Unze Kraft aus seinen Hunden herauszupressen. Es war eine Anspannung, die eigentlich den letzten hundert Metern und nicht dem Beginn des Drei-Meilen-Schlußrennens hätte vorbehalten bleiben müssen. Obgleich es der reine Hundemord war, mußte Kid doch seinem Beispiel folgen. Sein eigenes Gespann war prachtvoll. Keine Hunde am Yukon hatten je schwerere Arbeit geleistet, aber keine waren auch besser in Form. Außerdem hatte Kid viel mit ihnen zusammen erlebt, hatte mit ihnen gegessen und geschlafen und kannte jeden einzelnen durch und durch, kannte ihre Eigenarten und wußte, wie man die Intelligenz der Tiere aufpeitschen und den äußersten Grad von Willigkeit aus ihnen herausholen konnte.
Wieder krochen sie über Packeis, und wieder kamen sie auf die glatte Ebene. Der Große Olaf war nur um fünfzig Fuß voraus.
Da schoß ein Schlitten heran und sauste ihnen entgegen, und mit einem Schlage verstand Kid die furchtbare Anspannung des Großen Olaf. Er hatte nur versucht, einen Vorsprung zu gewinnen, um das Gespann wechseln zu können.
Dieses frische Gespann, das hier wartete, um ihn die letzte Strecke des Heimweges zu fahren, war eine besondere Überraschung, die er sich vorbehalten hatte. Selbst die Männer, die ihr Geld auf ihn gesetzt, hatten nichts davon gewußt.
Kid kämpfte wie ein Verzweifelter, um vorbeizukommen, ehe der andere den Schlitten gewechselt hatte. Er hetzte seine Hunde vorwärts, bis er die fünfzig Meter, die zwischen den beiden lagen, überwunden hatte. Durch Zurufe und Peitschenhiebe gelang es ihm, den andern einzuholen, so daß sein Leithund Seite an Seite mit dem letzten Hund des Großen Olaf lief. Auf der anderen Seite lief der Relaisschlitten. So schnell fuhren sie alle drei, daß der Große Olaf den Sprung auf den Relaisschlitten nicht wagen durfte. Wenn er zu kurz sprang und stürzte, übernahm Kid die Führung, und das Rennen war verloren.
Der Große Olaf versuchte, einen Vorsprung zu erreichen, er trieb die Hunde prachtvoll an, aber Kids Leithund hielt sich noch immer neben dem Deichselhund des anderen. Eine halbe Meile liefen die drei Schlitten Seite an Seite. Sie näherten sich dem Ende der glatten und dem Anfang einer ganz schmalen Strecke, als der Große Olaf es wagte. Während die Schlitten noch nebeneinander herrasten, sprang er, und im selben Augenblick hatte er sich schon auf die Knie geworfen und trieb das frische Gespann mit Peitsche und Stimme an.
Der glatte Weg verengte sich und wurde zu einem schmalen Pfad, aber er hetzte die Hunde vorwärts und erreichte den Pfad mit einem Vorsprung von einem knappen Meter.
Aber ein Mann ist erst besiegt, wenn er ganz vernichtet ist, sagte sich Kid und trieb seine Tiere an, sosehr ihn auch der andere — wenn auch vergeblich — abzuhängen versuchte. Keins von den andern Gespannen, die Kid heute gefahren, hätte eine so tödliche Hetze ertragen, kein anderes sich mit frischen Hunden auf der Höhe halten können, kein einziges außer diesem! Aber das Rennen galt jetzt Tod und Leben, und als sie um den Hügel bei Klondike City schwenkten, spürte Kid, daß seine Tiere nachzulassen begannen. Es war freilich fast unmerkbar, daß sie zurückblieben, und nur Fuß um Fuß gelang es dem Großen Olaf, die Führung zu erlangen, bis er sich schließlich einen Vorsprung von einigen Metern erobert hatte.