Die ganze Bevölkerung von Klondike City, die sich auf dem Eise versammelt hatte, brach in begeisterte Hochrufe aus. Hier fließt der Klondike in den Yukon, und eine halbe Meile weiter, am Nordufer, lag Dawson. Die Menge brach in einen wahnsinnigen Sturm von Hochrufen aus, und Kid sah einen Schlitten, der zu ihm heransauste.
Er erkannte sofort die prachtvollen Tiere, die den Schlitten zogen. Es war Joy Gastells Gespann, und sie führte es selbst.
Sie hatte die Kapuze ihrer Parka aus Eichhörnchenpelz zurückgeschlagen, so daß man das kameenhafte Oval ihres Gesichtes sehen konnte, das sich von dem Hintergrund des schweren dunklen Haares abhob. Die Handschuhe hatte sie ausgezogen und klammerte sich mit den bloßen Händen an Peitsche und Schlitten.
«Spring!«rief sie, als ihr Leithund Kids Gespann anknurrte.
Kid sprang auf den Schlitten hinter sie. Der schwankte gewaltig unter dem Gewicht seines Körpers, aber Joy hielt sich auf den Knien und schwang die Peitsche.
«Hü… hü… vorwärts! Hü…!«schrie sie, und die Hunde heulten und bellten vor Eifer und Anstrengung, den Schlitten des Großen Olaf einzuholen.
Und als dann der Leithund wirklich den Schlitten Olafs erreichte und sich Fuß um Fuß vorwärts arbeitete, bis die Gespanne Seite an Seite liefen, wurde die Bevölkerung von Dawson wahnsinnig vor Begeisterung.
Es war wirklich eine ungeheure Menge von Zuschauern, denn die Männer von allen Bächen und allen Minen hatten ihr Gerät liegenlassen, um hierherzukommen und selbst den Ausgang des Rennens zu sehen. Und ein totes Rennen über eine Strecke von hundertundzehn Meilen war Grund genug, um vor Begeisterung verrückt zu werden.
«Sobald wir die Führung haben, springe ich ab«, schrie Joy Kid über die Schulter zu.
Kid versuchte zu protestieren.
«Und achten Sie gut auf die scharfe Kurve halbwegs auf dem Hange«, warnte sie ihn.
In einem Abstand von sechs Fuß liefen die beiden Schlitten jetzt nebeneinander her, aber nur eine knappe Minute hielt der Große Olaf durch Peitsche und Stimme die Stellung, dann begannen ihn die Hunde Joys Zoll um Zoll zu überholen.
«Halten Sie sich bereit!«rief Joy Kid zu.»In einer Minute springe ich ab! Nehmen Sie die Peitsche!«
Als er die Hand frei machte, um die Peitsche zu ergreifen, hörten sie einen warnenden Ruf vom Großen Olaf, aber es war schon zu spät. Der Leithund Olafs hatte sich empört, weil er überholt wurde, und war zum Angriff übergegangen. Seine Fänge bohrten sich Joys Leithund in die Seite. Die beiden rivalisierenden Gespanne stürzten aufeinander. Die Schlitten liefen in den Knäuel der kämpfenden Tiere hinein und überschlugen sich. Kid kämpfte sich auf die Beine und versuchte Joy beim Aufstehen zu helfen. Aber sie schob ihn fort und rief ihm zu:»Gehen Sie doch!«
Der Große Olaf, der noch immer entschlossen war, das Rennen zu gewinnen, hatte schon zu Fuß einen Vorsprung von fünfzehn Meter gewonnen. Kid gehorchte Joy, und als die beiden Männer den Fuß des Hanges bei Dawson erreichten, war er dem anderen schon auf den Fersen.
Aber auf dem Wege den Hang hinauf raffte Olaf sich mächtig zusammen, schob seinen riesigen Körper vorwärts und gewann einen neuen Vorsprung von fast vier Meter.
Das Büro des Goldkommissars lag in der Hauptstraße fünf Häuserblocks weiter. Die Straße war so voll von Menschen wie bei einer Parade. Es fiel Kid diesmal nicht so leicht, seinen großen Gegner zu erreichen, und als es ihm endlich gelang, konnte er nicht an ihm vorbeikommen. Seite an Seite liefen sie durch die schmale Rinne zwischen den festen Mauern pelzgekleideter Männer, die "Hoch" schrien. Bald gewann der eine, bald der andere durch übermenschliche Anstrengung einen Vorsprung von vielleicht einem Zoll, aber nur, um ihn sofort wieder zu verlieren.
Hatte das Rennen die Hunde fast das Leben gekostet, so wurde es den beiden selbst nicht leichter. Aber sie liefen um den Preis einer Million und um großen Ruhm im ganzen Yukon-Land. Der einzige Eindruck von außen, dessen Kid sich von dieser letzten wahnsinnigen Strecke erinnerte, war das Erstaunen, daß es so viele Menschen in Klondike gab. Er hatte sie ja noch nie alle an einem Ort beisammen gesehen.
Er merkte, daß er gegen seinen Willen zurückblieb, und der Große Olaf kam tatsächlich fast um einen ganzen Schritt vor. Kid hatte das Gefühl, daß sein Herz bersten wollte, während er jede Empfindung in den Beinen verlor. Er wußte wohl, daß sie sich unter ihm bewegten, aber er ahnte nicht, wie er sie dazu brachte, sich zu bewegen, oder wie es ihm gelang, seinen Willen stärker auf sie wirken zu lassen, oder wie er sie zwang, ihn bis an die Seite des riesigen Nebenbuhlers zu bringen. Vor ihnen tauchte die offene Tür des Kommissariatsbüros auf.
Beide machten eine letzte vergebliche Anstrengung, aber keinem gelang es, sich von dem anderen zu lösen, und Seite an Seite erreichten sie die Tür, stießen mit großer Gewalt gegeneinander und fielen dann beide kopfüber in das Büro hinein.
Sie setzten sich beide auf, wo sie hingefallen waren, beide zu müde, um aufzustehen. Der Schweiß strömte dem Großen Olaf über das Gesicht, er atmete schwer, rang röchelnd nach Atem, griff in die Luft und versuchte zu sprechen. Dann streckte er in unverkennbarer Absicht die Hand aus, und Kid reichte ihm die seine. Sie schüttelten sie sich kräftig.
«Es war ein totes Rennen«, hörte Kid den Kommissar sagen, aber es war wie im Traum, und die Stimme erschien ihm unwirklich und aus weiter Ferne zu kommen.»Ich kann nur sagen, daß Sie beide gewonnen haben. Sie müssen das Claim miteinander teilen. Sie sind Kompagnons.«
Die beiden Männer hoben die Arme und ließen sie wieder sinken, um ihr Einverständnis kundzugeben. Der Große Olaf nickte nachdrücklich mit dem Kopf und gab allerlei seltsame Laute von sich, aber schließlich gelang es ihm, herauszustoßen, was er sagen wollte.
«Sie verfluchter Chechaquo«, sagte er, aber in seinem Tonfall lag Bewunderung.»Ich weiß nicht, wie Sie es geschafft haben, aber geschafft haben Sie's.«
Vor dem Büro lärmte und brüllte die dichtgedrängte Menge, und der Raum selbst war von begeisterten Männern überfüllt. Kid und Olaf versuchten aufzustehen und halfen einander, auf die Beine zu kommen. Kid merkte, daß seine Beine ganz kraftlos waren und daß er dastand und hin und her schwankte. Dann taumelte Olaf zu ihm hin und sagte:»Es tut mir leid, daß meine Hunde Ihre überfielen.«
«Es war nichts dabei zu machen«, gab Kid stöhnend zurück.»Ich hörte, wie Sie uns warnten…«
«Aber wissen Sie«, sagte Olaf mit leuchtenden Augen.»Das Mädel da — das war ein verdammt feines Mädel!«
«Ein ganz verdammt feines Mädel«, stimmte Kid ihm zu.
ENDE