«Warten Sie nur, bis Sie zum Chilcoot kommen«, erzählten einige, die neben ihm saßen und sich mit ihm unterhielten,»dort werden Sie auf allen vieren kriechen müssen.«
«Es wird überhaupt keinen Chilcoot geben«, lautete seine Antwort.»Jedenfalls nicht für mich. Ehe wir soweit sind, werde ich längst in aller Ruhe in meinem kleinen Bett unter dem Rasen liegen.«
Ein Straucheln — und die ungeheure Anstrengung, die er machen mußte, um wieder auf die Beine zu kommen, erfüllten ihn mit Angst. Er hatte die Empfindung, als ob sein ganzes Innere in Fetzen zerrissen war.
«Wenn ich mit diesem Bündel auf dem Buckel stürze, bin ich ein für allemal erledigt«, sagte er zu einem anderen, der auch ein Bündel schleppte.
«Das ist noch gar nichts«, lautete die Antwort.»Warte nur, bis du zum Cañon kommst. Da wirst du einen reißenden Strom auf einem sechzig Fuß langen Fichtenstamm überqueren müssen. Da gibt's kein Geländer, gar nichts, und in der Mitte, wo der Stamm sich biegt, reicht dir das Wasser bis zu den Knien. Wenn du mit deinem Bündel auf dem Buckel da 'runterfällst, kommst du nicht mehr aus den Traggurten heraus. Du bleibst drin und versäufst.«
«Schöne Aussichten«, erwiderte er. Und aus dem Abgrund einer völligen Erschöpfung heraus meinte er es beinahe buchstäblich.
«Da versaufen täglich drei oder vier Mann«, versicherte der andere.»Neulich war ich selbst mit dabei. Wir fischten einen Schweden heraus. Er hatte viertausend Dollar in schönen Scheinen bei sich.«
«Wirklich sehr ermutigend«, meinte Kid, während er sich mühsam aufraffte und weiterwankte.
Er und sein Bohnensack wurden allmählich zu einer wandernden Tragödie. Unwillkürlich erinnerte er sich des Märchens von dem alten Mann auf dem Rücken Sindbad des Seefahrers. - Das ist also so ein besonders männliches Ferienvergnügen, dachte er. Im Vergleich mit dieser Schufterei war selbst die Sklavenarbeit bei O'Hara süß und angenehm. Immer wieder wollte er der Versuchung nachgeben, den verfluchten Sack im Gebüsch liegenzulassen, in das Lager zu schlüpfen und in aller Stille mit einem Dampfer in zivilisiertere Gegenden zurückzukehren.
Aber er tat es nicht. Irgendwo in ihm erklang eine harte Saite, und ein Mal über das andere wiederholte er sich, daß, was andere Männer konnten, auch er können müßte. Der Transport gestaltete sich für ihn zu einem wahren Alpdruck, und er klagte jedem, der ihn unterwegs überholte, sein Leid. In anderen Augenblicken beobachtete er, wenn er sich ausruhte, die stumpfsinnigen Indianer, die unter ihren viel schwereren Lasten so leicht und sicher wie die Maultiere dahintrotteten, und er beneidete sie. Sie schienen nie zu ruhen, sondern gingen hin und zurück mit einer Ausdauer und einer Regelmäßigkeit, die ihn verblüfften.
Er saß da und fluchte — solange er schleppte, hatte er nicht Luft genug, um es zu können — , während er einen verzweifelten Kampf mit der Versuchung ausfocht, sich nach Franzisko zurückzuschleichen. Bevor er seine Meile mit dem Bündel gewandert war, hatte er indessen schon aufgehört zu fluchen und begann statt dessen zu heulen. Die Tränen, die ihm über die Wangen liefen, waren Tränen der Erschöpfung und der Selbstverachtung. Wenn je ein Mann ein Wrack war, so war er es. Als das Ziel des Transports in Sicht kam, nahm er sich mit der Kraft der Verzweiflung zusammen, erreichte den Lagerplatz und schlug, so lang er war, mit dem Bündel auf dem Rücken hin. Er starb nicht, aber er blieb immerhin eine Viertelstunde liegen, ehe er so viel Energie zusammengerafft hatte, daß er sich von den Traggurten befreien konnte. Dann wurde ihm tödlich übel, und in diesem Zustand fand ihn Robbie, dem es genauso ging wie ihm. Eigentlich war es Robbies jämmerlicher Zustand, der ihn bewog, sich zusammenzunehmen.
«Was andere Männer können, können wir auch«, sagte Kid zu ihm. In seinem Innersten wußte er freilich nicht recht, ob er dabei aufschnitt oder nicht.
«Und ich bin erst siebenundzwanzig Jahre alt und ein Mann«, wiederholte er sich immer und immer wieder in den folgenden Tagen. Er hatte es aber auch wirklich nötig. Denn am Ende der Woche war es ihm zwar gelungen, seine achthundert Pfund täglich um eine Meile weiterzuschleppen, aber dabei hatte er von seinem eigenen Gewicht fünfzehn Pfund verloren. Sein Gesicht war mager und ausgemergelt geworden. Alle Spannkraft war aus seinem Körper und seiner Seele verschwunden. Er spazierte nicht länger, er schleppte sich mühevoll dahin. Und wenn er ohne Last zum Lager zurückging, zog er die Füße schlurfend nach, ganz, als wenn er seine Last trüge.
Er war ein richtiges Arbeitstier geworden. Beim Essen nickte er ein, und sein Schlaf war tief und tierisch mit Ausnahme der Augenblicke, da Krämpfe in den Beinen ihn wach hielten und er vor Schmerz laut aufschrie. Sein ganzer Körper war wund und schmerzte. Er hatte Blasen, die nicht verschwinden wollten, und doch war selbst das noch leichter zu ertragen als die furchtbaren Quetschungen, die er sich an den Füßen holte, als er über die vom Wasser scharfgeschliffenen Klippen der Dyea-Watten wandern mußte, durch die der Weg zwei Meilen weit führte. Diese beiden Meilen entsprachen in Wirklichkeit achtunddreißig Meilen gewöhnlichen Wanderns auf glattem Wege. Er wusch sich jetzt nur einmal täglich das Gesicht. Seine Nägel waren zerrissen, abgebrochen und voller Niednägel, und er reinigte sie überhaupt nicht mehr. Seine Schultern und seine Brust, deren Haut von den Traggurten abgescheuert wurde, ließen ihn zum erstenmal in seinem Leben mit Ehrfurcht und Verständnis an die Pferde denken, die er so oft gleichgültig in den Straßen der Städte gesehen hatte.
Eine Prüfung, die ihn zuerst fast ganz vernichtet hätte, bedeutete das Essen. Die ungewohnte Schufterei, die ihm hier auferlegt wurde, erforderte natürlich auch eine außergewöhnliche Heizung unter dem Kessel, aber sein Magen war nicht an die großen Mengen von Speck und die groben, sehr schwer verdaulichen braunen Bohnen gewöhnt. Die Folge war, daß er sich dagegen auflehnte und daß Kid vor Schmerzen und Ärger und auch vor Hunger nahe daran war zusammenzubrechen. Bis endlich der glückliche Tag kam, an dem er wie ein ausgehungertes Tier aß und sogar mit gierigen Wolfsaugen immer mehr verlangte.
Als sie die Ausrüstung über die schmale Brücke am Eingang des Cañons geschafft hatten, änderten sie ihre Pläne. Von jenseits des Passes kam das Gerücht, daß man die letzten Bäume am Linderman-See fällte, um Boote daraus zu verfertigen. Die beiden Vettern gingen mit Werkzeug, Bandsägen, Decken und Lebensmitteln auf dem Buckel los und überließen es Kid und seinem Onkel, sich mit dem gesamten Gepäck abzuquälen. John Bellew teilte sich jetzt mit Kid in das Kochen, so daß sie beide Schulter an Schulter schleppen konnten. Die Zeit verging schnell, und in den Bergen begann schon der erste Schnee zu fallen. Der Ältere nahm hundert Pfund auf seinen eisernen Rücken. Kid bekam einen Schrecken, aber er biß die Zähne zusammen und legte seine Traggurte ebenfalls um ein zentnerschweres Bündel. Angenehm war es nicht, aber er hatte den Dreh schon heraus, und außerdem war sein Körper jetzt von aller Weichlichkeit und vom überflüssigen Fett befreit und abgehärtet, und die Muskeln wurden eckig und hart. Er verstand auch zu beobachten und nachzudenken. Er hatte die Kopfriemen der Indianer gesehen und verfertigte sich jetzt selbst einen, den er in Verbindung mit den gewöhnlichen Schultergurten gebrauchen wollte. Das erleichterte die Arbeit wesentlich, so daß er allmählich begann, einige nicht zu schwere, sonst lästige Gegenstände oben auf das Bündel zu legen. Dadurch wurde es ihm bald möglich, nicht nur die hundert Pfund in den Traggurten zu schleppen, sondern noch weitere fünfzehn oder zwanzig Pfund, die er dicht am Halse lose auf das Bündel legte. Und zu alledem trug er noch eine Axt oder ein paar Riemen in der einen und einige ineinandergestülpte Kochtöpfe in der andern Hand.