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Dadiani sah mich nachdenklich an.

»Sie haben die Seele eines Wüstenmenschen«, sagte er, »vielleicht gibt es nur eine richtige Einteilung der Menschen: in Waldmenschen und Wüstenmenschen. Die trockene Trunkenheit des Orients kommt von der Wüste, wo heißer Wind und heißer Sand den Menschen berauschen, wo die Welt einfach und problemlos ist. Der Wald ist voller Fragen. Nur die Wüste fragt nichts, gibt nichts und verspricht nichts. Aber das Feuer der Seele kommt vom Wald. Der Wüstenmensch — ich sehe ihn — er hat nur ein Gefühl und kennt nur eine Wahrheit, die ihn ausfüllt. Der Waldmensch hat viele Gesichter. Der Fanatiker kommt von der Wüste, der Schöpferische vom Walde her. Das ist wohl der Hauptunterschied zwischen Ost und West.«

»Deshalb lieben wir Armenier und Georgier den Wald«, mischte sich Melik Nachararjan ein, ein dicker Mann von edelstem armenischem Geblüt. Er hatte hervorstehende Augen, üppige Augenbrauen und eine Neigung zum Philosophieren und Saufen. Wir vertrugen uns gut. Er trank mir zu und rief:

»Ali Khan! Adler kommen aus den Bergen, Tiger aus den Dschungeln. Was kommt aus der Wüste?«

»Löwen und Krieger«, antwortete ich, und Nino klatschte vergnügt in die Hände.

Hammelbraten auf Spießen wurden gereicht. Wieder und wieder füllten sich die Becher. Die georgische Lebensfreude ergoß sich über den Wald. Dadiani diskutierte mit Nachararjan, und Nino blickte mich listig und fragend an.

Ich nickte. Es war bereits dunkel geworden. Im Feuerschein glichen die Menschen Gespenstern oder Räubern. Niemand beachtete uns. Ich erhob mich und ging langsam zur Quelle. Ich beugte mich über das Wasser und trank aus der Handfläche. Es tat gut. Lange starrte ich in die Sterne, die sich in der dunklen Wasserfläche spiegelten. Hinter mir ertönten Schritte. Ein trockener Baumzweig knisterte unter einem kleinen Fuß… ich streckte die Hand aus, und Nino ergriff sie. Wir gingen tiefer in den Wald hinein. Die Bäume blickten uns drohend und mißbilligend an. Es war nicht ganz recht, daß wir vom Feuer weggingen und daß Nino sich am Rande der kleinen Wiese setzte und mich zu sich herabzog. Im lebensfrohen Karabagh herrschten strenge Sitten. Der alte Mustafa erzählte mir mit Grauen, daß sich vor achtzehn Jahren ein Ehebruch im Lande ereignet hatte. Seitdem sei die Fruchternte ärmer geworden.

Wir sahen einander an, und Ninos Gesicht, vom Mond beschienen, war blaß und rätselhaft.

»Prinzessin«, sagte ich, und Nino sah mich von der Seite an. Seit vierundzwanzig Stunden war sie Prinzessin, und vierundzwanzig Jahre hatte es gedauert, bis ihr Vater in Petersburg seinen Anspruch auf den Titel durchsetzen konnte. Heute früh war ein Telegramm aus Petersburg gekommen. Der Alte hatte sich gefreut wie ein Kind, das die verlorene Mutter wiedergefunden hat, und uns alle zu dem Nachtfest geladen.

»Prinzessin«, wiederholte ich und nahm ihr Gesicht in meine Hände. Sie wehrte sich nicht. Vielleicht hatte sie zu viel kachetischen Wein getrunken. Vielleicht waren es der Wald und der Mond, die sie trunken machten. Ich küßte sie. Ihre Handflächen waren weich und warm. Ihr Körper gab nach. Die trockenen Baumäste knisterten. Wir lagen auf dem weichen Moos, und Nino blickte in mein Gesicht. Ich berührte die kleinen Rundungen ihres festen Busens und sog den Duft und den leisen salzigen Geschmack ihrer Haut. Etwas Seltsames ging in Nino vor, und dieses Seltsame übertrug sich auf mich. Ihr Wesen war ein einziger Sinn, und dieser Sinn war wie die geballte Kraft der Erde und des Erdatems. Die Seligkeit des leiblichen Lebens erfaßte sie. Ihre Augen waren verschleiert. Ihr Gesicht wurde schmal und sehr ernst. Ich öffnete ihr Kleid. Ihre Haut schimmerte im Mond gelblich wie Opal. Ich hörte das Klopfen ihres Herzens, und sie sprach Worte voll sinnloser Zärtlichkeit und Sehnsucht. Mein Gesicht vergrub sich zwischen ihre kleinen Brüste. Ihre Knie zitterten. Tränen liefen über ihr Gesicht, und ich küßte sie fort und trocknete die feuchten Wangen. Sie erhob sich und schwieg, von eigenen Rätseln und Gefühlen bewegt. Sie war erst siebzehn Jahre alt, meine Nino, und besuchte das Lyzeum der heiligen Königin Tamar. Dann sagte sie:

»Ich glaube, daß ich dich liebe, Ali Khan, wenn ich auch Prinzessin geworden bin.«

»Vielleicht wirst du es nicht lange bleiben«, sagte ich, und Nino machte ein verständnisloses Gesicht.

»Wie meinst du das? Nimmt uns der Zar den Titel wieder weg?«

»Du wirst ihn verlieren, wenn du heiratest. Der Titel Khan ist aber auch ein sehr schöner Titel.«

Nino kreuzte die Hände über ihrem Nacken, legte den Kopf zurück und lachte.

»Khan vielleicht, aber Khanin? Das gibt es ja gar nicht. Und überhaupt, du hast eine etwas seltsame Art, Heiratsanträge zu machen. Sofern es einer sein soll.«

»Es soll einer sein.«

Ninos Finger glitten über mein Gesicht und verloren sich in meinen Haaren.

»Und wenn ich ›ja‹ sage, dann wirst du wohl den Wald bei Schuscha in guter Erinnerung behalten und mit den Bäumen Frieden schließen. Nicht wahr?«

»Ich glaube schon.«

»Aber die Hochzeitsreise machst du zum Onkel nach Teheran, und ich darf auf besondere Protektion den kaiserlichen Harem besuchen und mit vielen dicken Frauen Tee trinken und Konversation machen.«

»Na und?«

»Und dann darf ich mir die Wüste anschauen, weil es dort niemanden gibt, der mich anschauen könnte.«

»Nein, Nino, die Wüste brauchst du dir nicht anzuschauen. Sie wird dir nicht gefallen.«

Nino schlang ihre Hände um meinen Hals und preßte ihre Nase an meine Stirn.

»Vielleicht heirate ich dich wirklich, Ali Khan. Aber hast du dir schon überlegt, was alles vorher zu überwinden ist, außer Wald und Wüste?«

»Was denn?«

»Zuerst werden mein Vater und meine Mutter aus Kummer sterben, weil ich einen Mohammedaner heirate. Dann wird dein Vater dich verfluchen und verlangen, daß ich zum Islam übertrete. Und wenn ich es tue, wird das Väterchen Zar mich wegen Abfalls vom Christentum nach Sibirien verbannen. Und dich wegen Verleitung dazu gleich mit.«

»Und dann sitzen wir mitten im Polarmeer auf einer Eisscholle, und die großen weißen Bären fressen uns auf«, lachte ich, »nein, Nino, so schlimm wird es nicht werden. Du brauchst nicht zum Islam überzutreten, deine Eltern werden nicht vor Kummer sterben, und die Hochzeitsreise machen wir nach Paris und nach Berlin, damit du dir die Bäume im Bois de Boulogne und im Tiergarten anschauen kannst. Was sagst du nun?«

»Du bist gut zu mir«, sagte sie verwundert, »und ich sage nicht ›nein‹, aber das ›Ja‹ hat noch etwas Zeit. Ich laufe dir doch nicht davon. Wenn ich mit der Schule fertig bin, sprechen wir mit unsern Eltern. Nur entführen darfst du mich nicht. Nur das nicht. Ich weiß, wie ihr es macht: über den Sattel, in die Berge und dann eine möglichst ausgiebige Blutfehde mit dem Hause Kipiani.«

Sie war plötzlich von einer ausgelassenen Fröhlichkeit erfüllt. Alles in ihr schien zu lachen, und dazu das Gesicht, die Hände, die Füße, die ganze Haut. Sie lehnte sich an einen Baumstamm, hielt den Kopf gesenkt und blickte von unten zu mir empor. Ich stand vor ihr. Im Schatten der Baumrinde glich sie einem exotischen Tier, das sich im Walde verbirgt und sich vor dem Jäger fürchtet.

»Gehen wir«, sagte Nino, und wir gingen durch den Wald zum großen Feuer. Unterwegs fiel ihr etwas ein. Sie blieb stehen und zwinkerte zum Mond hinauf.

»Aber unsere Kinder, welchen Glauben werden denn die haben?« fragte sie besorgt.

»Ganz bestimmt einen sehr guten und sympathischen Glauben«, sagte ich ausweichend.

Sie blickte mich mißtrauisch an und schwieg eine Weile. Dann meinte sie betrübt:

»Bin ich nicht überhaupt zu alt für dich. Ich werde bald siebzehn. Deine künftige Frau müßte jetzt zwölf sein.«