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Ich beruhigte sie. Nein, sie war bestimmt nicht zu alt. Höchstens zu klug; denn niemand weiß, ob Klugheit immer ein Vorteil ist. Vielleicht werden wir alle im Orient zu früh reif, alt und klug. Vielleicht sind wir aber allesamt dumm und einfach. Ich wußte es nicht. Die Bäume verwirrten mich, Nino verwirrte mich, der ferne Schein des Lagerfeuers verwirrte mich, und am meisten verwirrte ich mich selber, denn vielleicht hatte auch ich zu viel am kachetischen Wein genippt und wie ein Wüstenräuber im stillen Garten der Liebe gehaust.

Nino allerdings sah nicht aus wie das Opfer eines Wüstenräubers. Sie blickte ruhig, sicher und offen vor sich hin. Alle Spuren der Tränen, des Lachens und der zärtlichen Sehnsucht waren von ihr geschwunden, als wir wieder an die Quelle von Pechachpur gelangten. Niemand beargwöhnte unser Verschwinden. Ich setzte mich zum Feuer und fühlte plötzlich, wie meine Lippen brannten. Ich füllte mein Glas mit dem Wasser von Pechachpur und trank hastig. Als ich das Glas absetzte, traf ich die Blicke von Melik Nachararjan, der mich freundlich, aufmerksam und ein wenig gönnerhaft anstarrte.

7. Kapitel

Ich lag auf dem Diwan auf der Terrasse des kleinen Hauses und träumte von der Liebe. Sie war ganz anders, als sie sein sollte. Von Anfang an ganz anders. Ich begegnete Nino nicht am Brunnen, beim Wasserschöpfen, sondern in der Nikolaistraße, auf dem Wege zur Schule. Deshalb wurde es auch eine ganz andere Liebe als die Liebe meines Vaters, Großvaters oder Onkels. Am Brunnen beginnt die Liebe des Orientalen, am kleinen, geruhsam murmelnden Dorfbrunnen, oder an der großen singenden Fontäne der wasserreicheren Stadt. Jeden Abend gehen die Mädchen, hohe Tonkrüge auf den Schultern tragend, zum Brunnen, unweit dessen die jungen Männer im Kreise sitzen und gar nicht auf die vorbeigehenden Mädchen achten. Sie schwatzen von Krieg und Raub. Langsam füllen die Mädchen die Krüge, langsam gehen sie zurück. Ein Krug ist schwer. Er ist bis an den Rand mit Wasser gefüllt. Um nicht zu stolpern, schlagen die Mädchen ihre Schleier zurück und senken artig die Augen.

Jeden Abend gehen die Mädchen zum Brunnen. Jeden Abend sitzen am Ende des Platzes die jungen Männer, und so beginnt die Liebe im Orient.

Zufällig, ganz zufällig hebt ein Mädchen die Augen und wirft den Männern einen Blick zu. Die Männer bemerken es nicht. Nur wenn das Mädchen zurückkehrt, wendet sich einer von ihnen um und blickt zum Himmel empor. Manchmal kreuzen sich dabei seine Blicke mit den Blicken des Mädchens. Manchmal aber auch nicht; dann sitzt morgen ein anderer an seinem Platz. Wenn sich die Blicke zweier Menschen am Brunnen mehrmals gekreuzt haben, wissen alle, daß die Liebe begonnen hat.

Alles Weitere kommt von selbst. Der Verliebte wandert in der Umgebung der Stadt und singt Balladen, seine Angehörigen verhandeln wegen des Brautpreises, und weise Männer rechnen aus, wieviel neue Krieger das junge Paar in die Welt setzen wird. Alles ist einfach, jede Erfüllung vorher bestimmt und geregelt.

Und wie ist das bei mir? Wo bleibt mein Brunnen? Wo bleibt der Schleier um Ninos Gesicht? Es ist seltsam. Die Frau hinter dem Schleier ist nicht zu sehen. Aber man kennt sie doch: ihre Gewohnheiten, ihre Gedanken, ihre Wünsche. Der Schleier verbirgt die Augen, die Nase, den Mund. Aber nicht die Seele. Die Seele der Orientalin birgt keine Rätsel. Ganz anders bei den Frauen ohne Schleier. Man sieht die Augen, die Nase, den Mund, manchmal sogar viel mehr als das. Was sich aber hinter diesen Augen verbirgt, weiß man nie, auch wenn man glaubt, es genau zu wissen.

Ich liebe Nino, und sie verwirrt mich doch. Sie freut sich, wenn andere Männer auf der Straße sich nach ihr umschauen. Eine gute Orientalin wäre darüber empört. Sie küßt mich. Ich darf ihre Brust anrühren und ihre Schenkel streicheln. Dabei sind wir noch gar nicht verlobt. Sie liest Bücher, in denen viel von Liebe steht, und hat dann verträumte und sehnsüchtige Augen. Wenn ich sie frage, wonach sie sich sehnt, schüttelte sie erstaunt ihren Kopf, denn offenbar weiß sie es selber nicht. Ich sehne mich nie nach etwas, außer nach ihr. Wenn Nino da ist, habe ich überhaupt keine andere Sehnsucht. Ich glaube, bei Nino kommt das davon, daß sie zu oft in Rußland war. Ihr Vater nahm sie immer mit nach Petersburg, und die russischen Frauen sind bekanntlich alle wahnsinnig. Sie haben allzu sehnsüchtige Augen, betrügen oft ihre Männer und haben dennoch selten mehr als zwei Kinder. So straft sie Gott! Aber ich liebe Nino dennoch. Ihre Augen, ihre Stimme, ihr Lachen, ihre Art zu sprechen und zu denken. Ich werde sie heiraten, und sie wird eine gute Frau werden wie alle Georgierinnen, auch wenn sie noch so fröhlich, ausgelassen oder verträumt sind. Inschallah.

Ich drehte mich auf die andere Seite. Das Nachdenken ermüdete mich. Es war viel angenehmer, die Augen zu schließen und von der Zukunft zu träumen, das heißt von Nino, denn die Zukunft, das wird unsere Ehe sein, die Zukunft beginnt mit dem Tag, an dem Nino meine Frau wird, mit unserm Hochzeitstag.

Es wird ein aufregender Tag sein. Ich werde Nino an diesem Tage nicht sehen dürfen. Nichts ist gefährlicher für die Hochzeitsnacht, als wenn sich das Brautpaar am Hochzeitstag in die Augen blickt. Meine Freunde, bewaffnet und zu Roß, werden Nino abholen. Sie wird tief verschleiert sein. Nur an diesem einen Tag wird sie das Gewand des Orients anlegen müssen. Der Mullah wird die Fragen stellen, und meine Freunde werden in den vier Ecken des Saales stehen und Beschwörungen gegen die Impotenz flüstern. So will es die Sitte, und jeder Mensch hat Feinde, die am Hochzeitstag den Dolch zur Hälfte aus der Scheide ziehen, das Gesicht gen Westen wenden und flüstern:

»Anisani, banisani, mamawerli, kaniani, er kann es nicht, er kann es nicht, er kann es nicht.«

Aber, gottlob, ich habe auch gute Freunde, und Iljas Beg kennt alle rettenden Beschwörungsformeln auswendig.

Sofort nach der Trauung werden wir uns trennen. Nino geht zu ihren Freundinnen und ich zu meinen Freunden. Beide feiern wir getrennt den Abschied von der Jugend.

Und dann? Ja, dann?

Für einen Augenblick öffne ich die Augen, sehe die Holzterrasse und die Bäume im Garten und schließe sie wieder, um besser zu schauen, was dann kommt. Der Hochzeitstag ist doch der wichtigste, ja überhaupt der einzig wichtige Tag im Leben und noch dazu ein sehr schwerer Tag.

Es ist schwer, in der Hochzeitsnacht ins Brautgemach zu gelangen. An jeder Tür des langen Ganges stehen vermummte Gestalten, die erst dann den Weg freigeben, wenn man ihnen eine Münze in die Hand gedrückt hat. Im Brautgemach werden wohlwollende Freunde einen Hahn, eine Katze oder sonst etwas Unerwartetes verbergen. Ich werde mich genau umschauen müssen. Denn manchmal kichert im Bett irgendein altes Weib, das gleichfalls Geld verlangt, bis es das Hochzeitslager freigibt…

Endlich bleibe ich allein. Die Tür öffnet sich, und Nino kommt. Jetzt beginnt der schwierigste Teil der Hochzeit. Nino lächelt und sieht mich erwartungsvoll an. Ihr Leib ist in ein Korsett aus Saffianleder gepreßt. Es wird von Schnüren zusammengehalten, die vorne ineinandergeknotet sind. Die Knoten sind von kompliziertester Art, und darin liegt ihre einzige Bedeutung. Ich muß sie selbst losbinden. Nino darf mir dabei nicht behilflich sein. Oder wird sie es doch tun? Denn die Knoten sind wirklich zu kompliziert, und sie einfach mit dem Messer durchzuschneiden, ist eine große Schande. Der Mann muß Selbstbeherrschung zeigen, denn am nächsten Morgen kommen die Freunde und wollen die gelösten Knoten sehen. Wehe dem Unglücklichen, der sie nicht vorweisen kann. Die ganze Stadt wird ihn verspotten.

In der Hochzeitsnacht gleicht das Haus einem Ameisenhaufen. Freunde, Verwandte der Freunde und Freunde der Verwandten der Freunde stehen in den Gängen, auf dem Dach und sogar auf der Straße herum. Sie warten und werden ungeduldig, wenn es zu lange dauert. Sie klopfen an der Tür, miauen und bellen, bis endlich der lang ersehnte Revolverschuß knallt. Sofort beginnen die Freunde begeistert in die Luft zu schießen, laufen hinaus und bilden eine Art Ehrenwache, die mich und Nino nicht aus dem Haus herauslassen wird, solange es ihr paßt.