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»Wieder ist Krieg im Lande«, schloß mein Vater, »doch du, Ali Khan Schirwanschir, sitzt auf dem Teppich der Feigheit, versteckst dich hinter dem milden Gesetz des Zaren. Was nützen Worte, wenn die Geschichte unserer Familie nicht in dein Blut eingegangen ist. Nicht auf toten, vergilbten, verstaubten Blättern eines Buches, nein, in deinen Adern, in deinem Herzen müßtest du die Heldentaten deiner Ahnen lesen.«

Mein Vater schwieg betrübt. Er verachtete mich, denn er verstand mich nicht. War sein Sohn feige? Es war Krieg im Lande, und sein Sohn stürzte sich nicht in den Kampf, lechzte nicht nach dem Blut der Feinde, wollte nicht die Tränen in ihren Augen sehen. Nein, dieser Sohn war entartet!

Ich saß auf dem Teppich, an weiche Kissen gelehnt, und sagte scherzhaft:

»Du hast mir die Erfüllung dreier Wünsche geschenkt. Der eine war ein Sommer in Karabagh. Jetzt kommt der zweite: Ich ziehe das Schwert, wann ich will. Ich glaube, es wird nie zu spät sein. Der Friede ist vorbei — für lange Zeit. Unser Land wird mein Schwert noch brauchen.«

»Gut«, sagte der Vater.

Danach schwieg er, sprach nicht mehr vom Krieg, sondern blickte mich nur von der Seite und forschend an. Vielleicht war der Sohn doch nicht entartet.

Ich sprach mit dem Mullah von der Moschee Taza-Pir.

Der Mullah verstand mich sofort. Er kam ins Haus, in wallenden Gewändern, den Geruch von Ambra verbreitend. Er schloß sich mit dem Vater ein. Er sagte ihm, daß nach dem Wortlaute des Korans dieser Krieg für einen Muslim keine Pflicht sei. Er belegte seine Worte mit vielen Sprüchen des Propheten. Seitdem hatte ich in meinem Hause Ruhe.

Aber nur im Hause. Die Kriegslust hatte unsere Jugend ergriffen, und nicht jeder war besonnen genug, sich zurückzuhalten. Manchmal besuchte ich meine Freunde. Dann passierte ich das Tor Zizianaschwilis, bog nach rechts in die Aschumgasse ein, durchquerte die Straße der Heiligen Olga und schlenderte gemütlich dem Hause des alten Seinal Aga zu.

Iljas Beg saß am Tisch, über militärische Abhandlungen gebeugt. Neben ihm, mit gerunzelter Stirn und erschrockenem Gesicht, kauerte Mehmed Haidar, der Dümmste aus der ganzen Schule. Der Krieg hatte ihn aufgerüttelt. Er hatte fluchtartig das Haus des Wissens verlassen und hegte, gleich Iljas Beg, nur noch einen Wunsch: die goldenen Achselstücke des Offiziers auf seinen Schultern zu spüren. Beide bereiteten sich zur Offiziersprüfung vor. Wenn ich ins Zimmer trat, hörte ich gewöhnlich das verzweifelte Gemurmel Mehmed Haidars.

»Die Aufgabe der Armee und Flotte ist die Verteidigung des Zaren und des Vaterlandes gegen den äußeren und inneren Feind.«

Ich nahm dem Armen sein Buch aus der Hand und prüfte ihn.

»Wer, teurer Mehmed Haidar, ist der äußere Feind?«

Er runzelte die Stirn, dachte krampfhaft nach und platzte heraus:

»Die Deutschen und die Österreicher.«

»Weit gefehlt, mein Lieber«, frohlockte ich und las triumphierend:

»Äußerer Feind ist jede militärische Formation, die in kriegerischer Absicht unsere Grenzen zu überschreiten droht.«

Dann wandte ich mich Iljas Beg zu:

»Was versteht man unter einem Schuß?«

Iljas Beg antwortete wie ein Automat:

»Unter einem Schuß versteht man das Herausschleudern der Kugel aus der Mündung des Laufs mit Hilfe der Pulvergase.«

Dieses Frage- und Antwortspiel dauerte eine gute Weile. Wir staunten sehr, wie schwer es war, einen Feind nach allen Regeln der Wissenschaft umzubringen, und wie dilettantisch diese Kunst bis jetzt bei uns im Lande geübt wurde. Dann schwärmten die beiden — Mehmed Haidar und Iljas Beg — von den Freuden des künftigen Feldzuges. Fremde Frauen, die man auf den Trümmern eroberter Städte aufgelesen hat, ohne sie zu verstümmeln, spielten dabei die maßgebende Rolle. Nach einer Stunde hemmungsloser Träumerei stellten sie fest, daß jeder Soldat seinen Marschallstab in dem Tornister trage, und blickten mich herablassend an.

»Wenn ich Offizier bin« — sagte Mehmed Haidar — »mußt du auf der Straße mir den Vortritt geben und mich ehren. Denn dann verteidige ich mit meinem tapferen Blute dein faules Fleisch.«

»Bis du Offizier bist, ist der Krieg schon längst verloren und die Deutschen haben Moskau erobert.«

Die beiden künftigen Helden waren über diese Prophezeiung keineswegs empört. Es war ihnen gleich, wer den Krieg gewinnen würde, ebenso gleich wie mir. Zwischen uns und der Front lag ein Sechstel der Welt. So viel konnten die Deutschen gar nicht erobern. Statt eines christlichen Monarchen würde ein anderer christlicher Monarch über uns herrschen. Das war alles. Nein, für Iljas Beg war der Krieg ein Abenteuer, für Mehmed Haidar der willkommene Anlaß, sein Schulstudium auf würdige Art zu beenden und sich einem natürlichen männlichen Berufe zu widmen. Sicherlich würden beide gute Frontoffiziere abgeben. An Mut fehlte es unserem Volke nicht. Aber wozu? Das fragte sich weder Iljas Beg noch Mehmed Haidar, und all meine Mahnungen wären sinnlos gewesen, denn der Blutdurst des Orients war in den beiden wach geworden.

Nachdem man mich ausgiebig verachtet hatte, verließ ich das Haus Seinal Agas. Durch das Gewirr des armenischen Stadtviertels gelangte ich zur Meerespromenade. Die Kaspische See, salzig und bleiern, leckte die Granitmole. Ein Kanonenboot lag im Hafen. Ich nahm auf einer Bank Platz und blickte auf die kleinen einheimischen Segelboote, die tapfer mit den Wellen kämpften. In diesem Boot könnte ich leicht und bequem nach Persien zum Hafen Astara fahren, einem verfallenen, friedlichen Nest, der Pforte zum großen, grünen Lande des Schahs. Dort gab es wehmütige Liebesseufzer der klassischen Dichter, die Erinnerungen an die Heldentaten des Recken Rustern und an die duftenden Rosengärten in den Palästen bei Teheran. Ein schönes, verträumtes Land.

Ich ging mehrmals die Promenade auf und ab. Es war mir immer noch ungewohnt, Nino in ihrem Hause zu besuchen. Es widersprach allen Begriffen der guten Sitte. Im Hinblick auf den Krieg glaubte aber der alte Kipiani ein Auge zudrücken zu können. Endlich holte ich Atem und lief die Treppe des vierstöckigen Hauses hinauf. Im zweiten Stock hing ein Messingschild mit der kurzen Aufschrift: »Fürst Kipiani«.

Ein Dienstmädchen mit weißer Schürze öffnete die Tür und machte einen Knicks. Ich gab ihr meine Mütze, obwohl die gute orientalische Sitte es verlangt, daß der Gast die Mütze aufbehält. Ich wußte, was sich in Europa gehört. Die fürstliche Familie saß im Salon beim Tee.

Es war ein großer Raum, die Möbel darin mit roter Seide bezogen. In den Ecken standen Palmen und Blumentöpfe, die Wände waren weder gestrichen noch mit Teppichen bedeckt, sondern tapeziert. Die fürstliche Familie trank englischen Tee aus großen Tassen mit schönen Verzierungen. Es gab Zwieback und Biskuit, und ich küßte der Fürstin die Hand, die nach Zwieback, Biskuit und Lavendelwasser roch. Der Fürst drückte mir die Hand, und Nino reichte mir drei Finger, verstohlen in die Teetasse blickend.