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Ich klappte die Bücher zu und verließ das Zimmer. Die schmale Glasveranda mit dem Blick auf den Hof führte zum flachen Dach des Hauses. Ich ging hinauf. Von dort überblickte ich meine Welt, die dicke Festungsmauer der alten Stadt und die Ruinen des Palastes mit der arabischen Aufschrift am Eingang. Durch das Gewirr der Straßen schritten die Kamele mit so zarten Fesseln, daß man sie zu streicheln versucht war. Vor mir erhob sich der plumpe, runde Mädchenturm, um den Legenden und Fremdenführer kreisten. Weiter, hinter dem Turm, begann das Meer — das völlig geschichtslose, bleierne und unergründliche Kaspische Meer, und im Rücken war die Wüste — zackige Felsen, Sand und Dorn, ruhig, stumm, unüberwindlich, die schönste Landschaft der Welt.

Ich saß still auf dem Dach. Was ging es mich an, daß es andere Städte, andere Dächer und andere Landschaften gab. Ich liebte das flache Meer und die flache Wüste und dazwischen diese alte Stadt, das zerfallene Palais und die lärmende Menschheit, die in die Stadt kam, Öl suchte, reich wurde und davonzog, weil sie die Wüste nicht liebte.

Der Diener brachte Tee. Ich trank und dachte an die Maturaprüfung. Sie machte mir keine großen Sorgen. Sicherlich würde ich durchkommen. Würde ich aber sitzenbleiben, so wäre es auch kein Malheur. Die Bauern auf unsern Gütern würden dann sagen, daß ich mich im gelehrten Eifer vom Hause des Wissens nicht trennen wolle. Es war auch in der Tat schade, die Schule zu verlassen. Die graue Uniform mit silbernen Knöpfen, Achselstücken und Kokarde war schön. In Zivil würde ich mir verkommen erscheinen. Ich würde aber nicht lange Zivil tragen. Nur einen Sommer lang und dann — ja, dann ging es nach Moskau ins Lazarewsche Institut für orientalische Sprachen. Ich habe es selber so beschlossen, dort werde ich vor den Russen einen schönen Vorsprung haben. Was sie mühselig erlernen müssen, kann ich von klein auf. Außerdem gibt es keine schönere Uniform als die des Lazarewschen Instituts: roter Rock, goldener Kragen, ein schmaler, vergoldeter Degen und Glacehandschuhe auch an den Wochentagen. Uniform muß ein Mensch tragen, sonst achten einen die Russen nicht, und wenn mich die Russen nicht achten, nimmt mich Nino nicht zum Mann. Ich muß aber Nino heiraten, obwohl sie Christin ist. Georgische Frauen sind die schönsten auf Erden. Und wenn sie nicht will? Nun — dann hole ich mir ein paar wackere Männer, werfe Nino über den Sattel, und rasch hinaus über die persische Grenze nach Teheran. Dann wird sie schon wollen, was bliebe ihr sonst übrig?

Das Leben war schön und einfach, vom Dache unseres Hauses in Baku gesehen.

Kerim, der Diener, berührte meine Schulter.

»Es ist Zeit«, sagte er.

Ich erhob mich. Es war wirklich Zeit. Am Horizont, hinter der Insel Nargin, zeigte sich ein Dampfer. Wenn man bedrucktem Papier, vom christlichen Telegraphenbeamten ins Haus zugestellt, glauben kann, befand sich auf diesem Schiff mein Onkel mit drei Frauen und zwei Eunuchen. Ich sollte ihn abholen. Ich lief die Treppe hinab. Der Wagen fuhr vor. Rasch ging es zum lärmenden Hafen hinunter.

Mein Onkel war ein vornehmer Mann. Schah Nassr ed-Din verlieh ihm in seiner Gnade den Titel Assad ed Dawleh — »Löwe des Kaiserreiches«. Anders durfte man ihn gar nicht nennen. Er hatte drei Frauen, viele Diener, ein Palais in Teheran und große Güter in Mazendaran. Einer seiner Frauen wegen kam er nach Baku. Es war die kleine Zeinab. Sie war erst achtzehn Jahre, und der Onkel liebte sie mehr als seine anderen Frauen. Sie war krank, sie bekam keine Kinder, und gerade von ihr wollte der Onkel Kinder haben. Zu diesem Zweck war sie bereits nach Hamadam gereist. Dort steht mitten in der Wüste, aus rötlichem Stein gehauen, mit rätselhaftem Blick die Statue eines Löwen. Alte Könige mit verwitterten Namen haben sie errichtet. Seit Jahrhunderten pilgern Frauen zu diesem Löwen, küssen sein gewaltiges Glied und versprechen sich davon Muttersegen und Kinderfreuden. Der armen Zeinab hatte der Löwe nicht geholfen. Ebensowenig wie die Amulette der Derwische aus Kerbela, die Zaubersprüche der Weisen aus Mesched und die geheimen Künste der alten, in Liebe erfahrenen Weiber von Teheran. Nun fuhr sie nach Baku, um durch die Geschicklichkeit der westlichen Ärzte das zu erreichen, was der einheimischen Weisheit versagt blieb. Armer Onkel! Die zwei andern Frauen, ungeliebt und alt, mußte er mitnehmen. So verlangte es die Sitte: »Du kannst eine, zwei, drei oder vier Frauen haben, wenn du sie gleich behandelst.« Gleich behandeln heißt aber, allen dasselbe bieten, zum Beispiel eine Reise nach Baku.

Von Rechts wegen ging mich aber das Ganze nichts an. Frauen gehören in den Anderun, ins Innere des Hauses. Ein wohlerzogener Mensch spricht nicht über sie, fragt nicht nach ihnen und läßt ihnen keine Grüße bestellen. Sie sind die Schatten ihrer Männer, auch wenn die Männer sich oft nur im Schatten dieser Frauen wohl fühlen. So ist es gut und weise. »Eine Frau hat nicht mehr Verstand als ein Hühnerei Haare«, lautet bei uns ein Sprichwort. Geschöpfe ohne Verstand müssen bewacht werden, sonst bringen sie Unheil, sich selber und andern. Ich glaube, es ist eine weise Regel.

Der kleine Dampfer näherte sich dem Pier. Matrosen mit haariger, breiter Brust legten die Falltreppe an. Passagiere strömten herunter: Russen, Armenier, Juden, in hastiger Eile, als ob es auf jede Minute ankäme, die sie früher an Land gingen. Mein Onkel zeigte sich nicht. »Die Geschwindigkeit ist des Teufels«, sagte er immer. Erst als alle Reisenden das Schiff verlassen hatten, erschien die stattliche Gestalt des »Löwen des Kaiserreichs«.

Er trug einen Gehrock mit seidenem Revers, eine kleine runde, schwarze Pelzmütze auf dem Kopf und Pantoffeln an den Füßen. Sein breiter Bart war mit Henna gefärbt, desgleichen seine Nägel, beides in Erinnerung an das Blut, das der Märtyrer Hussein vor tausend Jahren für den wahren Glauben vergossen. Er hatte müde, kleine Augen und langsame Bewegungen. Hinter ihm schritten, sichtbar erregt, drei Gestalten, vom Kopf bis zu den Fersen in dichte, schwarze Schleier gehüllt: die Frauen. Dann kamen die beiden Eunuchen, der eine mit dem gelehrten Gesicht einer ausgetrockneten Eidechse, der andere klein, aufgedunsen und stolz, die Hüter der Ehre seiner Exzellenz.

Langsam schritt der Onkel über die Falltreppe. Ich umarmte ihn und küßte ihn ehrfürchtig auf die linke Schulter, obwohl es auf der Straße gar nicht so unbedingt notwendig war. Seine Frauen würdigte ich keines Blickes. Wir bestiegen den Wagen. Frauen und Eunuchen folgten hinterher in geschlossenen Karossen. Es war ein so imposanter Anblick, daß ich dem Kutscher befahl, den Umweg über die Strandpromenade zu machen. Damit die Stadt meinen Onkel gebührend bewundern könne.

An der Strandpromenade stand Nino und blickte mich mit lachenden Augen an.

Der Onkel streichelte sich vornehm den Bart und fragte, was es Neues in der Stadt gebe.

»Nicht viel«, sagte ich, meiner Pflicht bewußt, mit Unwichtigem anzufangen, um dann zum Wichtigen überzugehen, »Dadasch Beg hat vorige Woche den Achund Sade erdolcht, weil Achund Sade in die Stadt zurückkam, obwohl er vor acht Jahren die Frau des Dadasch Beg entführt hat. Am selben Tage, an dem er ankam, hat Dadasch Beg ihn erdolcht. Jetzt sucht ihn die Polizei. Wird ihn aber nicht finden, obwohl jeder Mann weiß, daß Dadasch Beg im Dorfe Mardakjany sitzt. Kluge Leute sagen, Dadasch Beg habe recht gehandelt.«