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Wir steigen vom Pferd. Aus der Satteltasche holt mein Vater ein flaches Brot und Schafkäse. Er reicht mir die Hälfte, aber ich habe keinen Hunger. Wir liegen im Sand, er ißt und blickt in die Ferne. Dann wird sein Gesicht ernst, er erhebt sich und sitzt kerzengerade mit gekreuzten Beinen. Er sagt:

»Es ist sehr gut, daß du heiratest. Ich war dreimal verheiratet. Aber die Frauen starben mir weg wie Fliegen im Herbst. Jetzt bin ich, wie du weißt, überhaupt nicht verheiratet. Aber wenn du heiratest, heirate ich vielleicht auch. Deine Nino ist eine Christin. Laß sie den fremden Glauben nicht ins Haus tragen. Sonntags schicke sie zur Kirche. Aber das Haus darf kein Pope betreten. Eine Frau ist ein gebrechliches Gefäß. Es ist wichtig, das zu wissen. Schlage sie nicht, wenn sie schwanger ist. Aber vergiß nie: du bist der Herr, und sie lebt in deinem Schatten. Du weißt: jeder Mohammedaner darf vier Frauen zugleich haben. Es ist aber besser, du begnügst dich mit einer. Es sei denn, Nino bekommt keine Kinder. Betrüge deine Frau nicht. Sie hat Anspruch auf jeden Tropfen deines Samens. Ewiges Verderben dem Ehebrecher. Sei geduldig mit ihr. Frauen sind wie Kinder, nur um vieles listiger und bösartiger; es ist wichtig, auch das zu wissen. Überhäufe sie, wenn du willst, mit Geschenken, gib ihr Seide und Edelsteine. Brauchst du aber einmal einen Rat, und sie gibt dir ihn, so handle genau entgegengesetzt. Das ist wohl das allerwichtigste.«

»Vater, aber ich liebe sie doch.«

Er schüttelte den Kopf.

»Man soll im allgemeinen eine Frau nicht lieben. Man liebt die Heimat, den Krieg. Manche Leute lieben schöne Teppiche oder seltene Waffen. Immerhin — es kommt vor, daß der Mann auch eine Frau liebt. Du kennst die vielbesungene Liebe von Leila und Madjnun oder die Liebesghaselen des Hafis. Sein ganzes Leben lang sang Hafis von Liebe. Aber manche Weise sagen: nie hat er mit einer Frau geschlafen. Madjnun aber war einfach ein Irrer. Glaub mir: der Mann muß die Frau behüten, lieben muß sie ihn. So hat es Gott gewollt.«

Ich schwieg. Auch mein Vater verstummte. Vielleicht hatte er recht. Liebe ist nicht das wichtigste im Leben des Mannes. Nur hatte ich den hohen Grad seiner Weisheit noch nicht erreicht. Plötzlich lachte mein Vater und rief heiter:

»Also gut, morgen gehe ich zum Fürsten Kipiani und bespreche die Sache. Oder pflegen die jungen Leute von heute, ihre Heiratsanträge selbst zu machen?«

»Ich werde selbst mit den Kipianis sprechen«, sagte ich rasch.

Wir bestiegen die Pferde und ritten nach Bailow. Bald zeigten sich die Öltürme von Bibi-Eibat. Die schwarzen Gerüste glichen einem bösen, dunklen Wald. Es roch nach Petroleum. Arbeiter mit öltriefenden Händen standen an den Bohrlöchern. Das Erdöl ergoß sich im breiten Strom über die fette Erde. Wir ritten am Gefängnis von Bailow vorbei und hörten plötzlich Schüsse.

»Wird jemand erschossen?« fragte ich.

Nein. Diesmal fand keine Hinrichtung statt. Die Schüsse kamen aus der Kaserne der Bakuer Garnison. Dort wurde fleißig die Kunst des Krieges geübt.

»Willst du deine Freunde besuchen?« fragte mein Vater. Ich nickte. Wir ritten in den breiten Exerzierhof der Kaserne ein. Iljas Beg und Mehmed Haidar übten mit ihren Abteilungen. Schweiß rann von ihren Stirnen.

»Rechts — links! Rechts — links!«

Das Gesicht Mehmed Haidars war tiefernst. Iljas Beg glich einer zarten Marionette, die von einem andern Willen gelenkt wird. Die beiden kamen auf uns zu und grüßten.

»Wie gefällt euch der Dienst?« fragte ich.

Iljas Beg schwieg. Mehmed Haidar blickte finster vor sich hin.

»Immer noch besser als die Schule«, brummte er.

»Wir bekommen einen neuen Regimentskommandeur. Einen Fürsten Melikow aus Schuscha«, sagte Iljas Beg.

»Melikow? Ich kenne ihn. Ist es der mit dem rotgoldenen Pferd?«

»Ja, der ist es. Die ganze Garnison erzählt sich bereits Legenden von dem Pferd.«

Wir schwiegen. Dicker Staub lag über dem Kasernenhof. Iljas Beg blickte traumverloren zum Portal. In seinen Augen waren Neid und Sehnsucht. Mein Vater schlug ihm mit der Hand auf die Schulter.

»Du beneidest Ali Khan um seine Freiheit. Sei nicht neidisch. Er ist gerade im Begriffe, sie zu verschenken.«

Iljas Beg lachte verlegen.

»Ja, aber an Nino.«

Mehmed Haidar hob neugierig den Kopf.

»Huhu«, sagte er, »endlich, höchste Zeit.«

Er war ein alter Ehemann, seine Frau trug den Schleier. Weder ich noch Iljas kannten auch nur ihren Namen. Jetzt sah er mich sehr überlegen an, runzelte seine niedrige Stirn und sagte:

»Nun wirst du erfahren, wie das Leben in Wirklichkeit ist.« Im Munde Mehmed Haidars klang das sehr einfältig. Ich drückte den beiden die Hand und verließ die Kaserne. Was konnten Mehmed Haidar und seine verschleierte Frau vom Leben wissen?

Ich kam nach Hause und legte mich auf den Diwan. Das asiatische Zimmer ist immer kühl. Es füllt sich nachts mit Kälte wie eine Quelle mit Wasser. Am Tage taucht man in das Zimmer wie in ein kühles Bad.

Plötzlich läutete das Telephon. Ninos Stimme klagte:

»Ali Khan, ich vergehe von Sonnenglut und Mathematik. Komm und hilf.«

Zehn Minuten später streckt mir Nino ihre schmalen Arme entgegen. Ihre zarten Finger sind mit Tinte bekleckst. Ich küsse die Tintenflecke.

»Nino, ich hab mit meinem Vater gesprochen. Er ist einverstanden.«

Nino zittert und lacht zugleich. Scheu blickt sie sich im Zimmer um. Ihr Gesicht wird rot. Sie kommt ganz nah zu mir heran, und ich sehe ihre geweiteten Pupillen. Sie flüstert:

»Ali Khan, ich fürchte mich, ich fürchte mich so.«

»Vor der Prüfung, Nino?«

»Nein«, sie wendet sich ab. Ihre Augen blicken zum Meer. Sie fährt mit der Hand durch ihre Haare und sagt: »Ali Khan, ein Zug fährt von der Stadt X zur Stadt Y mit der Geschwindigkeit von fünfzig Kilometern die Stunde…«

Gerührt beuge ich mich über ihr Schulheft.

13. Kapitel

Der Abend war wie in mattes Glas gehüllt. Dichter Nebel drang vom Meer herein. Finster qualmten die Laternen an den Straßenecken. Ich lief die Strandpromenade entlang. Gesichter tauchten im Nebel auf und verschwanden, gleichgültig oder erschrocken. Ich stolperte über ein breit hingeworfenes Brett und stürzte gegen die kauernde Gestalt eines Ambals, eines Lastträgers aus dem Hafen. Der dicke Mund des Ambals bewegte sich kauend und sinnlos. Seine Augen blickten wie verschleiert in die Ferne. Er kaute Haschisch und war in wilde Visionen versunken. Ich ballte die Fäuste, schlug auf seinen Rücken und rannte weiter. Glasscheiben der Hafenstadt blinzelten mich an. Ich trat mit dem Fuß gegen irgendein Glas, hörte das Klirren und sah ein in Schrecken verzerrtes persisches Gesicht.

Ein Bauch tauchte vor mir im Nebel auf. Der Anblick der menschlichen Fülle versetzte mich in Raserei; ich stieß mit dem Kopf gegen den Bauch. Er war weich und fett. Eine Stimme sagte gutmütig:

»Guten Abend, Ali Khan.«

Ich hob das Gesicht und sah Nachararjan, der lächelnd auf mich herabblickte.

»Zum Teufel«, rief ich und wollte weiterlaufen. Er hielt mich fest.

»Sie sind nicht ganz in Ordnung, mein Freund. Bleiben Sie lieber bei mir.«

Seine Stimme klang teilnahmsvoll. Ich wurde plötzlich sehr müde. Schlapp und schweißtriefend stand ich da.

»Gehen wir zu Filliposjanz«, sagte er. Ich nickte. Es war ganz gleich, was nun geschah. Er führte mich an der Hand die Barjatinskystraße entlang, zu dem großen Kaffeehaus.

Als wir uns in den tiefen Sesseln niederließen, sagte er mitfühlend:

»Amok, kaukasischer Amok. Wahrscheinlich die Folge dieser Schwüle. Oder haben Sie besondere Gründe, Khan, so zu rasen?«

Das Lokal hatte weichgepolsterte Möbel und Tapeten aus rotem Stoff. Ich schlürfte den heißen Tee und berichtete: — wie ich mich heute telephonisch bei den alten Kipianis angemeldet hatte, wie sich Nino ängstlich und verstohlen aus dem Hause schlich. Wie ich der Fürstin die Hand küßte und dem Fürsten die Hand drückte. Wie ich das Alter und die Einkünfte meiner Familie schilderte und wie ich in einem Russisch, um das mich der Zar beneiden würde, um die Hand der Prinzessin Nino Kipiani bat.