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»Und dann, mein Lieber?« Nachararjan schien aufs höchste interessiert.

»Und dann? Hören Sie nur zu.«

Ich kopierte die Haltung des Fürsten und sprach wie er, mit leichtem, georgischem Akzent:

»Mein lieber Sohn, mein verehrter Khan. Glauben Sie mir, ich könnte mir keinen besseren Mann für mein Kind wünschen. Welch Glück für eine Frau, von einem Mann mit Ihrem Charakter heimgeführt zu werden. Aber bedenken Sie — Ninos Alter. Was weiß das Kind von Liebe? Sie geht ja noch zur Schule. Wir werden doch nicht das indische Beispiel der Kinderehe nachahmen. Und dann: der Unterschied in Religion, Erziehung, Herkunft. Ich sage es auch zu Ihrem Wohl. Ihr Vater wird derselben Meinung sein. Und diese Zeiten, dieser schreckliche Krieg, wer weiß, was aus uns allen wird? Auch mir liegt Ninos Glück am Herzen. Ich weiß, sie glaubt, Sie zu lieben. Ich will ihrem Glück nicht im Wege stehen. Aber eins sage ich: warten wir das Ende des Krieges ab. Ihr werdet beide älter sein. Wenn Ihr Gefühl dann noch so stark ist, können wir weitersprechen.«

»Und was gedenken Sie nun zu tun, Khan?« fragte Nachararjan.

»Ich werde Nino entführen und nach Persien bringen. Ich kann die Schmach nicht auf mir sitzen lassen. Einem Schirwanschir nein sagen! Was denkt er sich? Ich fühle mich entehrt, Nachararjan. Die Schirwanschirs sind älter als die Kipianis. Unter Aga Mohammed Schah haben wir ganz Georgien verwüstet. Jeder Kipiani wäre damals froh gewesen, seine Tochter einem Schirwanschir geben zu dürfen. Was meint er denn mit dem Unterschied in der Religion? Steht der Islam niedriger als das Christentum? Und meine Ehre? Mein eigener Vater wird mich auslachen. Ein Christ verweigert mir seine Tochter. Wir Mohammedaner sind Wölfe mit ausgefallenen Zähnen. Vor hundert Jahren…«

Ich stockte vor Wut und schwieg. Eigentlich hatte ich viel zuviel gesagt. Nachararjan selbst war ein Christ. Er hatte allen Grund, beleidigt zu sein. Er war es nicht.

»Ich verstehe Ihren Zorn. Aber er hat doch nicht nein gesagt. Bis zum Kriegsende warten, ist natürlich lächerlich. Er kann sich einfach nicht vorstellen, daß seine Tochter erwachsen ist. Ich sage nichts gegen das Entführen. Es ist ein altes, bewährtes Mittel. Ganz unserer Tradition entsprechend. Aber doch nur als letzter Ausweg. Man müßte dem Fürsten die kulturelle und politische Bedeutung dieser Ehe klarmachen, dann wird er schon nachgeben.«

»Wer soll es tun?«

Da schlug sich Nachararjan mit der breiten Handfläche an die Brust und rief:

»Ich will es tun, ich! Verlassen Sie sich auf mich, Khan.«

Ich sah ihn erstaunt an. Was wollte dieser Armenier? Zum zweitenmal griff er in mein Leben ein. Vielleicht suchte er Anschluß an die Mohammedaner angesichts des Vormarsches der Türken. Oder er wollte im Ernst einen Bund der Kaukasusvölker gründen. Mir war es gleich. Offensichtlich war er ein Verbündeter. Ich reichte ihm die hand.

Er hielt sie fest.

»Ich werde Sie auf dem laufenden halten. Tun Sie selbst nichts. Und keine Entführung. Nur wenn nichts anderes übrigbleibt.«

Ich stand auf. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß ich mich auf diesen dicken Mann verlassen könne. Ich umarmte ihn und verließ das Lokal. Ich war kaum auf der Straße, als mich jemand einholte. Ich wandte mich um. Es war Suleiman Aga, ein alter Freund meines Vaters. Er hatte vorhin im Kaffeehaus gesessen. Er legte mir schwer die Hand auf die Schulter und sagte:

»Pfui, ein Schirwanschir umarmt einen Armenier.«

Ich zuckte zusammen. Doch schon verschwand er im nächtlichen Nebel.

Ich ging weiter. Wie gut, dachte ich, daß ich meinem Vater verschwiegen habe, weshalb ich heute zu den Kipianis gehe. Ich sage einfach, ich habe noch nicht mit ihnen gesprochen.

Als ich zu Hause den Schlüssel ins Schlüsselloch steckte, schüttelte ich in Gedanken den Kopf: »Wie dumm ist dieser blinde Haß gegen die Armenier.«

Das Leben der nächsten Wochen kreiste um den schwarzen Kasten des Telephons. Das unförmliche Ding mit der großen Kurbel gewann plötzlich eine nie geahnte Bedeutung. Ich saß zu Hause und brummte Unverständliches, wenn mich mein Vater fragte, weshalb ich mit dem Heiratsantrag zögere. Hin und wieder schlug das schwarze Ungeheuer Lärm. Ich hob den Hörer ab, und Ninos Stimme erstattete Meldung vom Kriegsschauplatz:

»Bist du es, Ali? Hör zu: Nachararjan sitzt bei Mama und spricht mit ihr über die Gedichte ihres Großvaters, des Dichters Iliko Tschawtschawadse.«

Und etwas später:

»Ali, hörst du mich? Nachararjan sagt, daß Rustaveli und das Zeitalter Tamars von der persischen Kultur stark beeinflußt waren.«

Und dann:

»Ali Khan! Nachararjan trinkt Tee mit Papa. Er hat eben gesagt: ›Die Magie dieser Stadt liegt in der mystischen Verbundenheit ihrer Rassen und Völker.‹«

Eine halbe Stunde darauf:

»Er sondert Weisheit ab wie ein Krokodil die Tränen. Er sagt: ›Auf dem Amboß von Baku wird die Rasse des befriedeten Kaukasus geschmiedet.‹«

Ich lachte und legte den Hörer weg. So ging es Tag um Tag. Nachararjan aß und trank und saß bei den Kipianis. Er machte mit ihnen Ausflüge und erteilte Ratschläge teils mystischer, teils sachlicher Natur. Durch den Draht der Telephonleitung verfolgte ich staunend die Entwicklung der armenischen List.

»Nachararjan sagt, das erste Geld war der Mond. Goldmünzen und ihre Macht über die Menschen seien die Folgen des uralten Mondkultes der Kaukasier und Iraner. Ich kann mir den Blödsinn nicht mehr anhören, Ali Khan. Komm in den Garten.«

Ich ging in den Garten. Wir trafen uns an der alten Festungsmauer. Ninos schlanke Gestalt preßte sich an das verwitterte Gestein. Kurz und hastig berichtete sie, wie ihre Mutter sie beschwor, ihr junges Leben keinem wilden Mohammedaner anzuvertrauen. Wie ihr Vater sie halb scherzend warnte, daß ich sie bestimmt in den Harem stecken werde, und wie sie, die kleine Nino, lachend, aber gleichfalls warnend, den Eltern antwortete: »Paßt auf, er wird mich noch entführen. Was dann?«

Ich streichelte ihr Haar. Ich kannte meine Nino. Sie erreicht das, was sie will; auch wenn sie nicht genau weiß, was sie will.

»Der Krieg kann noch zehn Jahre dauern«, murrte sie, »es ist schrecklich, was die Eltern vorhaben.«

»Liebst du mich so, Nino?«

Ihre Lippen zuckten.

»Wir gehören zueinander. Die Eltern machen es mir schwer. Aber ich müßte so alt und verwittert sein wie diese Mauer, um nachzugeben. Übrigens — ich liebe dich wirklich. Nur wehe, wenn du mich entführst!«

Sie schwieg; denn man kann nicht küssen und sprechen zugleich. Verstohlen schlich sie dann heim, und das Spiel am Telephon begann von neuem.

»Ali Khan, Nachararjan sagt, sein Vetter habe ihm aus Tiflis geschrieben, daß der Statthalter für gemischte Ehen sei. Er nennt es die physische Durchdringung des Orients mit der Kultur des Westens. Kennst du dich da noch aus?«

Nein, ich kannte mich nicht mehr aus. Ich lungerte zu Hause herum und sagte nichts. Meine Kusine Aische, die mit Nino in derselben Klasse war, kam zu mir und berichtete, daß Nino in drei Tagen fünf »Ungenügend« bekommen habe. Die Verantwortung für die »Ungenügend« werde allgemein mir zugeschrieben. Ich solle mich mehr um Ninos Schulaufgaben kümmern als um ihre Zukunft. Ich schwieg beschämt und spielte mit der Kusine Nardy. Sie gewann und versprach, Nino in der Schule zu helfen. Wieder läutete das Telephon:

»Bist du es? Stundenlanges Gespräch über Politik und Wirtschaft. Nachararjan sagt, daß er die Mohammedaner beneide, die ihr Geld in persische Ländereien investieren dürfen. Wer kann wissen, was aus Rußland wird? Vielleicht geht hier alles zugrunde. Nur Mohammedaner aber dürfen Boden in Persien erwerben. Er weiß genau, daß der Familie Schirwanschir schon halb Giljan gehört. Bodenbesitz im Auslande ist doch die beste Sicherheit gegen Umwälzungen in Rußland. Der Eindruck auf die Eltern ist gewaltig. Mutter sagte, es gebe auch Mohammedaner mit seelischer Kultur.«