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»Genug, Ali Khan, steig aus.«

Die Stimme der Vettern zerriß das Traumbild von den badenden Eroberern. Ich kroch aus dem Schwefel, ging in den Nebenraum und fiel entkräftet auf die steinerne Pritsche.

»Mekisse«, rief Sandro.

Der Masseur — hager wie ein Skelett und Augen wie das Nirwana — kam heran. Er war nackt und trug einen Turban auf dem glattrasierten Schädel. Ich legte mich auf den Bauch. Mit nackten Beinen sprang der Mekisse auf meinen Rücken. Er trampelte leichtfüßig auf ihm herum wie ein Tänzer auf einem Teppich. Sodann bohrten sich seine Finger in mein Fleisch, als wären sie scharfe Widerhaken. Er drehte meine Arme aus, und ich hörte das Knacken meiner Knochen. Die Vettern standen um die Pritsche und gaben Ratschläge:

»Drehe ihm die Arme noch einmal aus, Mekisse, er ist sehr krank.«

»Spring ihn noch einmal auf das Rückgrat, so, und nun kneife ihn tüchtig in die linke Seite.«

Es muß sehr geschmerzt haben, doch ich empfand den Schmerz nicht. Ich lag da, weiß von schaumigen Seifenblasen, den harten und elastischen Schlägen des Mekisse hingegeben, und hatte einzig das Gefühl, als lösten sich langsam alle Muskeln meines Leibes auf.

»Genug«, sagte der Mekisse und erstarrte wieder in der Haltung eines Propheten. Ich erhob mich. Mein Körper schmerzte. Ich lief ins Nebenzimmer und stürzte mich in die eiskalte Schwefelflut des zweiten Bades. Mein Atem stockte. Doch die Glieder spannten sich wieder und füllten sich mit neuem Leben. Ich kam zurück, in ein weißes Tuch gehüllt. Die Vettern und der Mekisse blickten mich erwartungsvoll an.

»Hunger«, sagte ich mit Würde und setzte mich mit gekreuzten Beinen auf die Pritsche.

»Er ist gesund«, brüllten die Vettern, »schnell eine Wassermelone, Käse, Gemüse, Wein.«

Die Kur war beendet.

Wir lagen im Vorraum des Bades und schmausten. Alle Müdigkeit und Schwäche war von mir gewichen. Das rote, duftende Fleisch der eiskalten Wassermelone vertrieb mir den Geschmack des Schwefels. Die Vettern nippten am weißen Napareuli.

»Siehst du«, sagte Dodiko und beendete den Satz nicht, denn in diesem »Siehst du« war bereits alles enthalten, der Stolz auf das einheimische Schwefelbad, das Mitleid mit dem Fremden, der unter der georgischen Gastfreundschaft zusammenbrach, und die verwandtschaftlich liebevolle Versicherung, daß er, Dodiko, für die Schwächen seines mohammedanischen Vetters volle Nachsicht habe.

Unser Kreis erweiterte sich. Nachbarn kamen herbei, nackt und mit Weinflaschen bewaffnet. Fürsten und die Gläubiger der Fürsten, Diener, Schmarotzer, Gelehrte, Dichter und Gutsbesitzer aus den Bergen saßen friedlich beisammen, ein heiteres Bild georgischer Gleichheit. Es war kein Bad mehr, es war ein Klub, ein Kaffeehaus oder eine Volksversammlung nackter lustiger Menschen mit unbekümmerten, lachenden Augen. Hie und da aber fielen ernste Worte, die von düsteren Vorahnungen erfüllt waren.

»Der Osmane kommt«, sagte ein dicker Mann mit kleinen Augen, »der Großfürst wird Stambul nicht einnehmen. Ich habe gehört: ein deutscher General hat in Stambul eine Kanone gebaut. Wenn sie schießt, trifft sie genau die Kuppel des Zionsdomes in Tiflis.«

»Sie irren, Fürst«, sagte ein Mann mit dem Gesichte eines Kürbis, »die Kanone ist noch gar nicht gebaut. Sie ist nur geplant. Aber auch wenn sie fertig wird, kann sie Tiflis nicht treffen. Alle Landkarten, nach denen sich die Deutschen richten müssen, sind falsch. Russen haben sie gezeichnet. Noch vor dem Kriege. Sie verstehen? Russische Karten. Können die stimmen?«

Jemand seufzte in der Ecke. Ich blickte mich um und sah einen weißen Bart und eine lange gebogene Nase.

»Armes Georgien«, seufzte der Bart, »wir sind wie zwischen zwei Scheren einer glühenden Zange. Siegt der Osmane — ist es aus mit dem Lande Tamars. Siegt der Russe — was dann? Der bleiche Zar hat sein Ziel erreicht, aber unsern Hals umklammern die Finger des Großfürsten. Schon jetzt fallen unsere Söhne im Kampf, die Besten der Besten. Und dann? Was übrigbleibt, erwürgt der Osmane, der Großfürst oder sonst jemand, vielleicht eine Maschine, vielleicht ein Amerikaner. Es scheint ein Rätseclass="underline" unser kriegerisches Feuer und sein jähes Verlöschen. Es ist aus mit dem Lande Tamars. Schaut doch: die Krieger sind klein und schmächtig, die Ernte arm, der Wein sauer.«

Der Bart verstummte, leise schnaufend. Wir schwiegen. Plötzlich flüsterte eine ängstliche, unterdrückte Stimme:

»Den Bagration haben sie umgebracht, den edlen. Die Nichte des Zaren hat er heimgeführt, und die Russen verzeihen es ihm nicht. Der Zar selbst befahl ihn ins Eriwanische Regiment, an die Front. Wie ein Löwe kämpfte Bagration und fiel, von achtzehn Kugeln durchbohrt.«

Die Vettern nippten den Wein. Ich saß mit gekreuzten Beinen und starrte vor mich hin. Bagration, dachte ich, das älteste Fürstengeschlecht der Christenwelt. Der Bärtige hat recht. Georgien vergeht zwischen zwei Scheren einer glühenden Zange.

»Einen Sohn hat er hinterlassen«, ergänzte ein anderer, »Teymuras Bagration, den wahren König. Jemand hütet ihn.«

Es wurde still. Der Mekisse stand an der Wand. Dodiko reckte sich und gähnte verzückt.

»Schön ist es«, sagte er, »unser Land. Der Schwefel und die Stadt, der Krieg und der kachetische Wein. Schaut, wie die Alasan durch die Ebene fließt. Es ist schön, Georgier zu sein, auch wenn Georgien vergeht. Was ihr da sagt, klingt hoffnungslos. Aber wann war es anders im Lande Tamars? Und dennoch fließen die Flüsse, wächst die Rebe, tanzt das Volk. Schön ist unser Georgien. Und wird es immer bleiben, in all seiner Hoffnungslosigkeit.«

Er erhob sich, jung und schlank, mit weicher, samtener Haut, der Nachfahre von Sängern und Helden. Der weiße Bart in der Ecke lächelte wohlgefällig.

»Bei Gott, wenn es noch solche Jugend gibt.«

Wamech beugte sich zu mir.

»Ali Khan, vergiß nicht. Du bist heute Gast des Hauses Dschakeli in Kadschory.«

Wir erhoben uns und gingen hinaus. Der Kutscher schlug auf die Pferde ein. Wamech sagte:

»Die Dschakelis stammen aus dem alten, fürstlichen Geschlecht der…«

Ich lachte fröhlich und ausgelassen.

15. Kapitel

Wir saßen im Café Mephisto, in der Golowinskystraße, Nino und ich. Vor uns erhob sich der Davidsberg mit dem großen Kloster. Die Vettern gewährten uns einen Tag Ruhe. Nino blickte zum Kloster hinauf. Ich wußte, woran sie dachte. Oben, auf dem Davidsberg, war ein Grab, das wir besucht hatten. Alexander Gribojedow ruhte dort. Dichter und Minister Seiner Majestät des Zaren. Am Grabe die Inschrift:

»Deine Taten sind unvergeßlich, aber warum überlebte dich die Liebe deiner Nino?«

Nino? Ja. Sie hieß Nino Tschawtschawadse und war sechzehn Jahre, als der Minister und Dichter sie heimführte. Nino Tschawtschawadse, die Großtante der Nino, die neben mir saß. Siebzehn Jahre war sie, als das Volk von Teheran das Haus des russischen Ministers umlagerte.

»Ya Ali Salawat, o gepriesener Ali«, rief das Volk. Der Minister hatte nur einen kurzen Degen und eine Pistole.

Ein Schmied aus der Sülly-Sultan-Straße hob seinen Hammer und zertrümmerte die Brust des Ministers. Nach Tagen fand man am Rande von Teheran zerfetztes Fleisch. Und einen Kopf, den die Hunde bereits abgenagt hatten. Das war alles, was blieb, von Alexander Gribojedow, dem Dichter und Minister des Zaren. Feth Ali Schah, der Kadschare, war damals sehr zufrieden, und auch der Thronfolger Abbas Mirza war sehr glücklich. Meschi Aga, ein fanatischer und weiser Greis, wurde vom Schah hoch belohnt, und auch ein Schirwanschir, mein Großonkel, bekam ein Gut in Giljan.