Da sehe ich ihn. Er stolpert und zerreißt mit dicken Händen das Gestrüpp. Jetzt rennt er über das Melonenfeld zum Meer. Ich habe den Revolver auf dem Landweg weggeworfen. Meine Hände bluten, vom stachligen Gebüsch zerrissen. Da — die erste Melone. Runde Fratze, fett und blöd. Ich trete sie und sie platzt krachend unter meinem Absatz. Ich laufe über das Feld. Der Mond blickt mit dem Antlitz des Todes. Kalte, goldene Lichtfluten über dem Melonenfeld. Sollst keine Goldbarren nach Schweden bringen, Nachararjan.
Jetzt. Ich packe seine Schulter. Er dreht sich um, steht wie ein Klotz, in seinen Augen der Haß des Entlarvten. Ein Schlag — seine Faust landet an meinem Kinn. Und wieder — gleich unter dem Brustkorb. Gut, Nachararjan, hast den Faustkampf in Europa gelernt. Mir schwindelt. Für kurze Sekunden stockt der Atem. Bin nur ein Asiate, Nachararjan. Habe die Kunst des Tiefschlages nie erfaßt. Kann nur rasen wie ein Wolf in der Wüste. Ich springe. Ich umfasse seinen Körper, als wäre er ein Baumstamm. Meine Füße pressen sich um seinen Bauch, meine Hände umklammern den dicken Hals. Er schlägt wild auf mich ein. Ich beuge mich, und wir stürzen zu Boden. Wir rollen über das Feld. Plötzlich liege ich unten. Die Hände Nachararjans würgen mich. Sein Mund hängt schief vom verzerrten Gesicht herab. Meine Füße schlagen gegen seinen Bauch. Die Absätze bohren sich in das Fett ein. Er läßt los. Einen Augenblick sehe ich seinen nackten Hals. Der zerrissene Kragen ist verschoben. Der Hals ist weiß. Aus meiner Kehle kommt ein dumpfer Schrei. Meine Zähne bohren sich in seinen dicken, weißen Hals. Ja, Nachararjan, so machen wir es in Asien. Ohne Tiefschlag. Der Griff des grauen Wolfes. Ich fühle das Beben seiner Adern.
An meiner Hüfte spüre ich eine leise Bewegung. Nachararjans Hand ergreift meinen Dolch. In der Hitze des Kampfes habe ich ihn vergessen. Stahl blitzt vor meinen Augen. Ein stechender Schmerz an der Rippe. Wie warm mein Blut ist. Der Stoß ist an meiner Rippe abgeglitten. Ich gebe seinen Hals frei und reiße den Dolch aus seiner verwundeten Hand. Jetzt liegt er unter mir. Das Gesicht dem Monde zugewandt. Ich hebe den Dolch. Da schreit er — dünn, lang, mit zurückgeworfenem Kopf. Sein Gesicht ist ein einziger Mund — die aufgerissene dunkle Pforte der Todesangst. Hotel in Stockholm. Schwein am Spieß. O Melonenfeld bei Mardakjany!
Was zögere ich? Eine Stimme hinter mir:
»Stoß zu, Ali Khan, stoß zu.«
Es ist die Stimme Mehmed Haidars.
»Etwas oberhalb des Herzens, von oben nach unten.«
Die Stimme bricht ab. Ich weiß, wo die Stelle des Todes ist. Nur noch einen Augenblick. Ich will noch einmal die klagende Stimme des Feindes hören. Dann.
Ich hebe den Dolch. Meine Muskeln sind gestrafft. Oberhalb des Herzens vereint sich mein Dolch mit dem Körper des Feindes. Er zuckt, einmal, noch einmal. Ich erhebe mich langsam. Blut an meinem Anzug. Mein Blut? Sein Blut? Jetzt ist es gleich.
Mehmed Haidar fletscht die Zähne.
»Wie schön du es gemacht hast, Ali Khan. Ich werde dich ewig verehren.«
Meine Rippe schmerzt. Er stützt mich. Wir tauchen im Gebüsch unter und stehen wieder bei dem lackierten Kasten, auf dem Landweg nach Mardakjany. Vier Pferde. Zwei Reiter. Iljas Beg hebt grüßend die Hand. Seyd Mustafa hat den grünen Turban in den Nacken geschoben. Auf seinem Sattel hält er Nino fest umklammert. Nino schweigt.
»Was soll mit dem Weibe geschehen? Willst du sie erdolchen oder soll ich es tun?«
Seyd Mustafa spricht langsam und leise. Die Augen halb geschlossen, wie im Traum.
»Stoß zu, Ali Khan«, jetzt ist es Mehmed Haidar. Seine Hand reicht mir den Dolch.
Ich blicke zu Iljas Beg. Er nickt. Er ist kreidebleich.
»Wir werden dann die Leiche ins Meer werfen.«
Ich trete an Nino heran. Ihre Augen sind ungeheuer groß… Während der Pause kam sie zu uns hinüber, in Tränen aufgelöst, mit der Schulmappe in der Hand. Einst lag ich unter ihrer Bank verborgen und flüsterte: Karl der Große wurde im Jahre 800 in Aachen gekrönt.
Warum schweigt Nino? Warum weint sie nicht, wie damals, in der großen Pause? Sie konnte ja nichts dafür, daß sie nicht wußte, wann Karl der Große gekrönt wurde. Ich umklammere den Hals ihres Pferdes und sehe sie an. Unsere Blicke treffen sich. Ihre Augen schweigen. Schön ist sie im Sattel des Seyds, vom Mondlicht übergossen, die Augen auf den Dolch gerichtet. Georgisches Blut, das beste der Welt. Georgische Lippen, Nachararjan hat sie geküßt. Goldbarren in Schweden — er hat sie geküßt.
»Iljas Beg, ich bin verwundet. Bring Prinzessin Nino in ihr Haus. Die Nacht ist kalt. Deck Prinzessin Nino zu. Ich ermorde dich, Iljas Beg, falls die Prinzessin nicht heil in ihr Haus kommt. Hörst du, Iljas Beg, das ist mein fester Wille. Mehmed Haidar, Seyd Mustafa, ich bin sehr schwach. Bringt mich heim. Stützt mich, ich verblute.«
Ich umfasse die Mähne des Pferdes aus Karabagh. Mehmed Haidar hilft mir hinauf. Iljas Beg nähert sich, behutsam ergreift er Nino und legt sie in die weichen Kissen seines Kosakensattels. Sie wehrt sich nicht… Er zieht den Rock aus und legt ihn sanft um ihre Schultern. Er ist immer noch sehr blaß. Er wirft mir einen kurzen Blick zu und nickt. Er wird Nino heil nach Hause bringen. Er reitet voraus. Wir warten eine Weile. Mehmed Haidar und Seyd Mustafa dürfen nicht von mir weichen. Ich stütze mich auf sie. Mehmed Haidar springt in den Sattel.
»Du bist ein Held, Ali Khan. Du hast herrlich gekämpft. Du tatest deine Pflicht.«
Er stützt mich. Seyds Augen sind gesenkt. Er sagt:
»Ihr Leben gehört dir. Du kannst es nehmen. Du kannst es verschonen. Beides ist erlaubt. So lautet das Gesetz.«
Er lächelte verträumt. Mehmed Haidar steckt mir die Zügel in die Hand.
Wir reiten schweigsam durch die Nacht. Die Lichter von Baku sind weich und lockend.
18. Kapitel
Eine schmale Steinterrasse am Rande des Abgrunds. Gelbe Felsen, trocken, verwittert, baumlos. Steine, riesig, rauh, grob aufeinandergeschichtet. Dicht nebeneinander, viereckig und schmucklos, hängen am Abgrund die Hütten. Das flache Dach der einen Hütte bildet den Hof der höher gelegenen. Unten rauscht ein Bergbach, in der klaren Luft leuchten die Felsen. Ein schmaler Pfad windet sich durch das Gestein und verliert sich im Abgrund. Ein Aul — ein Bergdorf in Daghestan. Der Raum in der Hütte ist dunkel, mit dicken Matten bedeckt. Draußen stützen zwei Holzpfähle einen schmalen Dachvorsprung. Ein Adler, mit ausgebreiteten Flügeln, hängt wie versteinert in der Unendlichkeit des Himmels.
Ich liege auf dem kleinen Dachhof, den Bernstein der Wasserpfeife zwischen den Lippen. Ich sauge den kühlen Dunst in die Lungen. Die Schläfen werden kalt, der blaue Rauch entschwindet, vom schwachen Wind getragen. Eine mitleidige Hand hat Haschischkörner in das Tabakkraut gemischt. Die Augen blicken in den Abgrund und sehen Gesichter. Die Gesichter kreisen im schwimmenden Nebel. Vertraute Züge tauchen auf. Das Antlitz des Kriegers Rustern von dem Teppich an der Wand meines Zimmers in Baku.