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Ich stand im Boot und blickte in den schwarzen Spiegel des Wassers. Mehmed Haidar tot, Aische tot, unser Haus verwüstet.

Ich fuhr im kleinen Segelboot zum Lande des Schahs, zur großen Ruhe Persiens.

Nino stand plötzlich neben mir.

»Persien«, sagte sie und senkte die Augen, »was werden wir dort tun?«

»Uns erholen.«

»Ja, erholen. Ich will schlafen, Ali Khan, einen Monat oder ein Jahr. Schlafen in einem Garten mit grünem Laub. Und es darf nicht geschossen werden.«

»Du fährst in das richtige Land. Persien schläft seit tausend Jahren, und es wird dort nur sehr selten geschossen.«

Wir gingen zum Verdeck. Nino schlief sofort ein. Ich lag noch lange wach und sah die Silhouette Seyds und die Blutstropfen an seinen Fingern. Er betete. Auch er kannte die verborgene Welt, die jenseits der sichtbaren beginnt.

Hinter der aufgehenden Sonne lag Persien. Sein Atem drang zu uns, wenn wir, auf dem Boden des Bootes kauernd, getrocknete Fische aßen und Wasser tranken. Der wilde Mann aus dem Volke der Tekinen sprach mit meinem Vater und blickte mich so gleichgültig an, als wäre ich ein Gegenstand.

Am Abend des vierten Tages erschien ein gelber Streifen am Horizont. Er glich einer Wolke und war Persien. Der Streifen wurde breiter. Ich sah Lehmhütten und bescheidene Hafenanlagen. Enseli — der Hafen des Schahs. Wir ankerten am verfaulten, hölzernen Pier. Ein Mann im Gehrock und hoher Lammfellmütze kam heran. An seiner Stirn prangte der silberne Löwe mit erhobener Pranke und aufgehender Sonne. Zwei Hafenpolizisten, barfuß und zerlumpt, schlenderten hinter ihm her. Der Mann blickte mit großen, runden Augen und sagte:

»Wie ein Kind die ersten Strahlen der Sonne am Tage seiner Geburt begrüßt, so begrüße ich euch, edle Gäste. Habt ihr Papiere?«

»Wir sind Schirwanschirs«, antwortete mein Vater.

»Hat der große Löwe des Kaiserreiches, Assad es Saltaneh, dem die Diamantenpforte des Kaisers offensteht, das Glück, das gleiche Blut wie ihr in seinen Adern zu haben?«

»Er ist mein Bruder.«

Wir stiegen aus. Der Mann begleitete uns. Am Lagerhaus sagte er:

»Assad es Saltaneh ahnte euer Kommen. Stärker als der Löwe, schneller als ein Hirsch, schöner als ein Adler, sicherer als eine Felsenburg ist die Maschine, die er geschickt hat.«

Wir bogen um die Ecke: ein alter, zerfahrener Ford, mit geflickten Reifen, keuchte am Straßenrand. Wir bestiegen ihn. Die Maschine zitterte. Der Chauffeur hatte Augen wie der Kapitän eines Ozeandampfers. Es dauerte nur eine halbe Stunde, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Wir fuhren über Rescht nach Teheran.

23. Kapitel

Anseli, Rescht, Straßen und Dörfer, umgeben vom Hauche der Wüste. Hin und wieder spukt am Horizont das Abi-Jesid, das Wasser des Teufels, die persische Fata Morgana. Der große Weg nach Rescht führt an einem Flußbett entlang. Der Fluß selber ist versiegt, sein Grund rissig. Es gibt kein Wasser in den Flüssen Persiens, nur hie und da stehengebliebene Pfützen und Lachen. Felsen erheben sich am trockenen Ufer und werfen Riesenschatten. Sie gleichen Giganten der Vorzeit, dickbäuchig, befriedigt und schläfrig. In der Ferne ertönen die Glocken einer Karawane. Der Wagen verlangsamt die Fahrt. Am steilen Berghang schreiten die Kamele. Voran, mit dem Stab in der Hand, der Karawanenführer. Menschen in schwarzen Gewändern folgen ihm. Voll gespannter Kraft schreiten die Kamele. Langsam bimmeln an ihrem Hals die kleinen Glocken. Rechts und links hängen von den grauen Rücken längliche, dunkle Säcke. Stoffe aus Ispahan? Wolle aus Giljan? Der Wagen bleibt stehen. Leichen hängen an den Rücken der Kamele. Hundert, zweihundert Leichen, in schwarze Tücher gehüllt. Die Kamele schreiten an uns vorbei, und ihre Köpfe gleichen den Ähren im Wind. Durch Wüsten und Berge, durch die weiße Glut der Salzsteppe, durch grüne Oasen, vorbei an großen Seen, trägt die Karawane ihre Last. Weit im Westen, an der türkischen Grenze, werden die Kamele niederknien. Beamte im roten Fes werden die Leichen betasten, und weiter zieht die Karawane, bis zu den Kuppeln der heiligen Stadt Kerbela. An der Gruft des Märtyrers Hussein hält die Karawane. Behutsame Hände tragen die Leichen zu Grabe, damit sie im Sande von Kerbela ruhen, bis die Trompete des Erzengels sie aus dem Schlafe erwecken wird.

Wir verbeugen uns. Unsere Hände bedecken die Augen.

»Betet auch für uns am Grabe des Heiligen«, rufen wir, und der Führer antwortet:

»Wir selbst sind eines Gebetes bedürftig.«

Und weiter zieht die Karawane, still und schattenhaft, wie das Abi-Jesid, die Fata Morgana der großen Wüste…

Wir fahren durch die Straßen von Rescht. Holz und Lehm verdecken den Horizont. Hier wittert man die vergangenen Jahrtausende. Mit einem Blick umfaßt man Häuser aus Lehm und enge Gassen. Die Enge der Gassen verrät die Furcht vor dem Raum. Alles ist einfarbig. Asche oder glühende Kohle. Alles ist winzig klein, vielleicht aus Ergebenheit vor dem Schicksal. Nur hie und da tauchen plötzlich Moscheen auf.

Menschen mit runden, kürbisähnlichen Mützen und geschorenen Schädeln. Die Gesichter sind wie Larven.

Überall Staub und Schmutz. Nicht, als ob der Perser den Staub liebte oder den Schmutz. Aber er läßt die Dinge wie sie sind, weil er weiß, daß sich schließlich alles in Staub verwandelt. Wir rasten in einer kleinen Teestube. Der Raum duftet nach Haschisch. Schiefe Blicke streifen Nino. In Lumpen gehüllt, mit zerzausten Haaren, den Mund offen, die Lippen voll Speichel steht an der Ecke ein Derwisch mit einer ziselierten Kupferschale in der Hand… Er blickt alle an und sieht niemanden, als ob er dem Unsichtbaren lausche und von ihm ein Zeichen erwarte. Unerträgliches Schweigen geht von ihm aus. Plötzlich springt er hoch, mit immer gleich geöffnetem Mund, und ruft:

»Ich sehe die Sonne im Westen aufgehen.«

Die Menge erschauert.

Ein Bote des Gouverneurs erscheint an der Tür.

»Seine Exzellenz haben eine Wache beordert wegen der nackten Frau.«

Er meint die unverschleierte Nino. Ninos Gesicht bleibt gleichmütig. Sie versteht kein Persisch. Wir verbringen die Nacht im Hause des Gouverneurs. Am Morgen sattelt die Wache ihre Pferde. Sie geleitet uns bis Teheran. Wegen der Nacktheit Ninos, die ihr Gesicht nicht verbirgt, und wegen der Räuber, die das Land durchziehen.

Langsam schleppt sich das Auto durch die Wüste. Kasvin. Uralte Ruinen. Schah Schapur sammelte hier die Heere. Die zarten Sefewiden, Künstler, Mäzene und Apostel zugleich, hielten hier Hof.

Noch 80, noch 70, noch 60 Kilometer. Die Straße windet sich wie eine Schlange. Die Kacheln des Stadttores von Teheran sind bunt. Die Farben milde und weich. Die vier Türme des Tores zeichnen sich vom Schnee des fernen Demawend ab. Der arabische Bogen mit der weisen Aufschrift blickt mich an wie das schwarze Auge eines Dämons. Bettler mit grauenerregenden Geschwüren, Derwische, Wanderer in bunten Lumpen liegen im Staub unter dem großen Tor. Ihre Hände mit schmalen, edlen Fingern strecken sich uns entgegen. Sie singen von der Pracht der Kaiserstadt Teheran, und in ihren Stimmen liegt Wehmut und Trauer. Auch sie kamen einst voll Hoffnung in die Stadt der vielen Kuppeln. Nun liegen sie im Staube, selbst Staub und Schutt, und singen wehmütige Weisen von dieser Stadt, die sie verstoßen hat.

Der kleine Wagen schlängelt sich durch das Gewirr der Gassen, über den Kanonenplatz, am Diamantentor des kaiserlichen Palastes vorbei und, wieder außerhalb der Mauern, auf der breiten Straße zum Vororte Schimran.

Die Tore des Palais in Schimran sind weit geöffnet. Rosenduft schlägt uns entgegen. Die blauen Kacheln der Wände sind kühl und freundlich. Wir eilen durch den Garten, am Springbrunnen vorbei. Das dunkle Zimmer mit verhängten Fenstern ist wie eine kühle Quelle. Nino und ich werfen uns auf die weichen Kissen und versinken sofort in einen endlosen Schlaf.