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Wir schliefen, wachten auf, schlummerten, träumten und schliefen weiter. Es war herrlich in dem kühlen Zimmer mit verhängten Fenstern. Unzählige Kissen, Matten und Polster bedeckten die niedrigen Diwane und den Boden. Im Traume hörten wir das Schlagen der Nachtigall. Es war ein wunderliches Gefühl in dem großen, ruhigen Hause zu schlummern, fern allen Gefahren, fern der verwitterten Mauer von Baku. Stunden vergingen. Hin und wieder seufzte Nino, erhob sich schlaftrunken und legte ihren Kopf auf meinen Bauch. Ich vergrub mein Gesicht in den weichen Kissen, die den süßlichen Duft des persischen Harems ausströmten. Eine unendliche Trägheit überfiel mich. Ich lag stundenlang und litt, weil mich die Nase juckte und ich zu faul war, die Hand auszustrecken und sie zu reiben. Schließlich hörte die Nase von selber zu jucken auf, und ich schlief ein.

Plötzlich wachte Nino auf, erhob sich und sagte: »Ich habe einen Wolfshunger, Ali Khan.« Wir gingen in den Garten. Die Sonne war im Sinken. Rosenbüsche umgaben den Springbrunnen. Zypressen ragten zum Himmel. Ein Pfau, mit entfächertem Schweif, blickte regungslos in die untergehende Sonne. In der Ferne erhob sich die weiße Spitze des Demawend. Ich klatschte in die Hände. Ein Eunuch mit aufgedunsenem Gesicht stürzte herbei. Hinter ihm torkelte ein altes Weib, mit Teppich und Kissen beladen. Wir ließen uns im Schatten einer Zypresse nieder. Der Eunuch brachte Wasser und Waschschüssel und bedeckte den ausgebreiteten Teppich mit den Leckerbissen der persischen Küche.

»Lieber mit Fingern essen als dem Maschinengewehr lauschen«, sagte Nino und steckte ihre linke Hand in den dampfenden Reis. Der Eunuch machte ein entsetztes Gesicht und blickte weg. Ich belehrte Nino, wie man in Persien Reis ißt: mit drei Fingern der rechten Hand. Sie lachte zum erstenmal, seit wir Baku verließen, und eine große Ruhe überkam mich. Es war schön im stillen Lande des Schahs, im Palais von Schimran, im Lande der frommen Dichter und Weisen.

Plötzlich fragte Nino: »Wo bleibt dein Onkel Assad es Saltaneh und sein ganzer Harem?«

»Er wird vermutlich im Stadtpalais sein. Seine vier Frauen sind wohl bei ihm. Und der Harem? Der Harem ist ja dieser Garten und die Zimmer, die in den Garten führen.«

Nino lachte: »Dann bin ich also doch im Harem eingesperrt. Ich sah es kommen.«

Ein zweiter Eunuch, ein trockener Greis, kam und fragte, ob er uns etwas vorsingen dürfe… Wir wollten nicht. Drei Mädchen rollten den Teppich zusammen, das alte Weib von vorhin trug die Überreste der Speisen weg, und ein kleiner Knabe fütterte den Pfau.

»Wer sind all diese Leute, Ali Khan?«

»Dienerschaft.«

»Mein Gott, wie viele Diener sind denn hier?«

Ich wußte es nicht und rief den Eunuchen. Er dachte lange nach, mit lautlos sich bewegenden Lippen. Es stellte sich heraus, daß der Harem von achtundzwanzig Menschen betreut wurde.

»Wie viele Frauen wohnen denn hier?«

»So viele du befiehlst, Khan. Im Augenblick nur die eine, die neben dir sitzt. Es ist aber genug Platz da. Assad es Saltaneh ist mit seinen Frauen in der Stadt. Dieses ist dein Harem.«

Er kauerte nieder und fuhr würdevoll fort:

»Mein Name ist Jahja Kuli. Ich bin der Hüter deiner Ehre, Khan. Ich kann lesen, schreiben und rechnen… Ich kenne mich in allen Fragen der Verwaltung und der Weiblichkeit aus. Du kannst dich auf mich verlassen. Wie ich sehe, ist dieses Weib eine Wilde, aber ich werde ihr die guten Sitten allmählich beibringen. Sag mir, wann sie unwohl wird, damit ich es mir aufschreibe. Ich muß es wissen, um das Maß ihrer Launen beurteilen zu können.

Denn sie hat bestimmt Launen. Ich werde sie selbst waschen und rasieren. Ich sehe, sie hat sogar in den Achselhöhlen Haare. Es ist bedauernswert, wie in manchen Ländern die Erziehung der Frau vernachlässigt wird. Morgen werde ich ihr die Nägel rot färben, und vor dem Schlafen schaue ich ihr in den Mund.«

»Mein Gott, wozu denn das?«

»Frauen mit schlechten Zähnen riechen schlecht aus dem Munde. Ich muß ihre Zähne sehen und ihren Atem riechen.«

»Was plappert dieses Geschöpf?« fragte Nino.

»Er empfiehlt sich als Zahnarzt. Scheint ein komischer Kauz zu sein.«

Es klang einigermaßen verlegen. Zum Eunuchen sagte ich:

»Ich sehe, Jahja Kuli, daß du ein erfahrener Mensch bist, der um die Dinge der Kultur Bescheid weiß… Allein, meine Frau ist schwanger, und man muß sie schonen. Deshalb verschieben wir die Erziehung, bis sie das Kind bekommen hat.«

Ich sprach und fühlte, wie meine Wangen rot wurden. Nino war wirklich schwanger, und ich hatte dennoch gelogen.

»Du bist weise, Khan«, sagte der Eunuch, »schwangere Frauen sind sehr schwer von Begriff. Übrigens gibt es ein Mittel dafür, daß es ein Knabe wird. Aber«, — er blickte prüfend auf Ninos schlanke Gestalt — »ich glaube, es hat noch ein paar Monate Zeit.«

Draußen auf der Veranda schlurften zahlreiche Pantoffel. Eunuchen und Weiber machten geheimnisvolle Zeichen. Jahja Kuli ging hinüber und kehrte mit ernstem Gesicht zurück.

»Khan, Seine Ehrwürden, der hochgelehrte Hafis Seyd Mustafa Meschedi will dich begrüßen. Ich würde es nie wagen, dich, Khan, mitten in den Freuden des Harems zu stören. Aber der Seyd ist ein gelehrter Mann aus der Sippe des Propheten. Er erwartet dich in den Herrengemächern.«

Bei dem Wort »Seyd« hob Nino den Kopf.

»Seyd Mustafa?« sagte sie. »Er soll kommen, wir werden zusammen Tee trinken.«

Das Ansehen des Hauses Schirwanschir blieb nur dadurch erhalten, daß der Eunuch kein Russisch verstand. Es wäre kaum auszudenken — die Frau eines Khans empfängt einen fremden Mann im Harem. Ich sagte verlegen und etwas beschämt:

»Der Seyd darf doch nicht herein. Hier ist Harem.«

»Ach so. Komische Sitten. Na schön, dann empfangen wir ihn draußen.«

»Ich fürchte Nino… wie soll ich es dir sagen… es ist alles etwas anders in Persien. Ich meine… der Seyd gilt doch als Mann.«

Ninos Augen wurden rund vor Staunen.

»Du meinst, daß ich mich dem Seyd nicht zeigen darf, dem Seyd, der mich zu dir nach Daghestan gebracht hat?«

»Ich fürchte, Nino, wenigstens die erste Zeit.«

»Gut«, sagte sie mit plötzlicher Kühle, »aber nun geh.«

Ich ging und war bedrückt. Ich saß in der großen Bibliothek und trank Tee mit dem Seyd. Er sprach von seiner Absicht, zu seinem berühmten Onkel nach Mesched zu fahren, bis Baku aus den Händen der Ungläubigen befreit sei. Ich pflichtete ihm bei. Der Seyd war ein höflicher Mann. Er fragte nicht nach Nino, er erwähnte nicht einmal ihren Namen. Plötzlich öffnete sich die Tür.

»Guten Abend, Seyd.«

Ninos Stimme klang ruhig, aber gepreßt. Mustafa sprang auf. Sein pockennarbiges Gesicht drückte beinahe Schrecken aus. Nino setzte sich auf die Matten.

»Noch einen Tee, Seyd?«

Draußen schlurften verzweifelt zahlreiche Pantoffel hin und her. Die Ehre des Hauses Schirwanschir brach unwiderruflich zusammen, und es dauerte Minuten, bis der Seyd sich von seinem Entsetzen erholen konnte.

Nino lächelte schmollend: »Ich habe mich vor den Maschinengewehren nicht gefürchtet, ich werde mich auch vor deinen Eunuchen nicht fürchten.«

Und so blieben wir zusammen bis in den späten Abend. Denn der Seyd war ein taktvoller Mensch.

Vor dem Schlafengehen näherte sich der Eunuch demütig.

»Herr, strafe mich. Ich durfte sie nicht aus den Augen lassen. Aber wer konnte ahnen, daß sie so wild ist, so wild. Es ist mein Verschulden.«

Sein dickes Gesicht war zerknirscht.

24. Kapitel

Seltsam! Als am öldurchtränkten Ufer von Bibi-Eibat die letzten Schüsse verklangen, glaubte ich, nie wieder glücklich sein zu können. Vier Wochen in den duftenden Gärten von Schimran, und Ruhe erfüllte mich. Ich war wie einer, der die Heimat wiedergefunden hat. Ich lebte wie eine Pflanze, die kühle Luft von Schimran einatmend.