Nur selten fuhr ich in die Stadt. Ich besuchte Verwandte und Freunde und schlenderte, von Dienern begleitet, durch das dunkle Labyrinth des Basars von Teheran.
Enge Pfade, Buden wie Zelte, das ganze von einem ungeheuren lehmigen Schirm überdeckt. Ich wühle in Rosen, Nüssen, Teppichen, Schals, Seidenzeug und Juwelen. Ich entdecke Krüge mit Goldmuster, uralte Filigranarbeit, Saffiankissen und seltene Parfüms. Schwere Silbertomane gleiten in die Taschen des persischen Händlers. Meine Diener sind mit allen Herrlichkeiten des Orients beladen. Alles für Nino. Ihr kleines Gesichtchen soll nicht so erschrocken in den Rosengarten blicken.
Die Diener beugen sich unter der Last. Ich gehe weiter. In einer Ecke gibt es Korane in Saffianleder und gemalte Miniaturen: ein Mädchen unter einer Zypresse und daneben ein Prinz mit mandelförmigen Augen; ein König auf der Jagd, eine Lanze und ein fliehendes Reh. Wieder klirren die Silbertomane. Etwas weiter hocken am niederen Tisch zwei Kaufherren. Aus einer breiten Tasche holt der eine Silbertomane hervor und reicht sie dem andern. Dieser prüft sie mit aufmerksamen Blicken, beißt sie an, wiegt sie auf einer kleinen Waage und steckt sie in einen großen Sack. Hundert-, tausend-, vielleicht zehntausendmal greift der Kaufmann in seine Tasche, ehe er die Schuld getilgt hat. Seine Gebärden sind voll Würde. Tidscharet! Handel! Der Prophet selbst war ein Kaufherr.
Verschlungen wie die Wege eines Irrgartens windet sich der Basar. Neben den beiden Kaufleuten hockt in der Bude ein weiser Mann und blättert in einem Buch. Das Gesicht des Greises gleicht einer moosüberwachsenen Felseninschrift, die feinen, langen Finger verraten Nachsicht und Schonung. Aus den vergilbten und verschimmelten Blättern des Folianten steigt der Duft der Schirasrose auf, der Laut der iranischen Nachtigall, jauchzender Gesang, die Vision mandelförmiger Augen und langer Wimpern. Vorsichtig blättert die gepflegte Hand in dem alten Buch.
Flüstern, Lärmen, Schreien. Ich feilsche um die zarten Farben eines uralten Teppichs aus Kerman. Nino liebt die sanften Linien des gewirkten Gartens. Jemand verkauft Rosenwasser und Rosenöl. Tausende von Rosen sind in einem Tropfen Rosenöl vereint, wie Tausende von Menschen in dem engen Labyrinth des Teheraner Basars. Ich sehe Nino über ein Schälchen Rosenöl gebeugt.
Erschöpft stehen die Diener da.
»Bringt das alles sofort nach Schimran. Ich komme später nach.«
Die Diener verschwinden in dem Gewirr der Menschen. Noch einige Schritte, und ich trete gebückt durch die niedrige Tür einer persischen Teestube. Die Stube ist voll Menschen. In der. Mitte ein Mann mit rotem Bart. Mit halbgeschlossenen Lidern rezitiert er ein Liebesgedicht von Hafis. Die Zuhörer seufzen in süßer Wonne. Dann liest der Mann aus der Zeitung:
»In Amerika wurde eine Maschine erfunden, die das gesprochene Wort der ganzen Welt hörbar macht. — Seine Kaiserliche Majestät der König der Könige, dessen Glanz die Sonne überstrahlt, dessen Hand zum Mars reicht, dessen Thron die Welt überragt, Sultan Achmed Schah, empfing in seinem Palais Bagheschah den Residenten des gegenwärtig in England regierenden Monarchen. — In Spanien ist ein Kind mit drei Köpfen und vier Füßen zur Welt gekommen. Die Bevölkerung deutet das als ein böses Omen.«
Die Zuhörer schnalzen verwundert mit den Zungen. Der Rotbärtige faltet die Zeitung zusammen. Wieder erklingt ein Lied. Dieses Mal vom Ritter Rustern und seinem Sohne Sorab. Ich höre kaum zu. Ich blicke in den goldenen, dampfenden Tee. Ich denke nach: es ist nicht alles ganz so, wie es sein sollte.
Ich bin in Persien, ich bewohne ein Palais und ich bin zufrieden. Nino bewohnt dasselbe Palais und ist ganz unzufrieden. In Daghestan nahm sie willig alle Entbehrungen des wilden Lebens auf sich. Hier versagt sie vor den würdigen Regeln der feierlichen persischen Etikette. Sie will mit mir durch die Straßen gehen, obwohl das polizeilich verboten ist. Mann und Frau dürfen weder gemeinsam Besuche empfangen, noch gemeinsam ausgehen. Sie bittet mich, ich möge ihr die Stadt zeigen, und ist gereizt, wenn ich es ihr ausreden will.
»Ich würde dir gern die Stadt zeigen, Nino. Aber ich darf der Stadt nicht dich zeigen.«
Ihre großen, dunklen Augen blicken vorwurfsvoll und verwirrt. Wie soll ich sie überzeugen, daß es für die Frau eines Khans wirklich nicht angeht, unverschleiert durch die Stadt zu wandeln. Ich kaufe die teuersten Schleier.
»Schau, Nino, wie schön sie sind. Wie sie das Gesicht vor Sonne und Staub schützen. Ich würde selbst gern einen Schleier tragen.«
Sie lächelt traurig und legt die Schleier weg.
»Es ist einer Frau unwürdig, ihr Gesicht zu verdecken, Ali Khan. Ich würde mich selbst verachten, wenn ich diese Tracht anlegte.«
Ich zeige ihr die Polizeiverordnung. Sie zerreißt sie, und ich bestelle eine geschlossene Kutsche mit geschliffenen Glasscheiben.
So fuhr ich mit ihr durch die Stadt. Am Kanonenplatz sah sie meinen Vater und wollte ihn begrüßen. Es war entsetzlich, und ich habe die Hälfte des Basars aufgekauft, um sie zu versöhnen…
Ich sitze allein und blicke in die Teetasse.
Nino vergeht vor Langeweile, an der ich nichts zu ändern vermag. Sie will mit den Frauen der europäischen Kolonie zusammenkommen. Doch geht es nicht an. Die Frau eines Khans soll nicht mit Frauen des Unglaubens zusammenkommen. Sie werden sie so lange bemitleiden, daß sie das Leben im Harem ertragen muß, bis sie es tatsächlich nicht mehr erträgt.
Kürzlich besuchte sie meine Kusinen und Tanten und kehrte ganz verstört nach Hause.
»Ali Khan«, rief sie verzweifelt, »sie wollten wissen, wie oft am Tage du mich mit deiner Liebe beehrst. Sie sagen, daß du immer bei mir bist. Das wissen sie von ihren Männern. Und sie können sich nicht vorstellen, daß wir auch etwas anderes tun. Sie gaben mir ein Mittel gegen Dämonen und empfahlen mir ein Amulett. Es soll mit Sicherheit vor einer Nebenbuhlerin schützen. Deine Tante Sultan Hanum fragte mich, ob es nicht ermüdend sei, die einzige Frau eines so jungen Mannes zu sein, und alle wollten wissen, wie ich es anstelle, daß du nie zu den Tanzknaben gehst. Deine Kusine Suata war neugierig zu erfahren, ob du noch nie eine schmutzige Krankheit gehabt hast. Sie behaupteten, daß ich zu beneiden sei. Ali Khan, ich fühle mich wie mit Kot beworfen.«
Ich tröstete sie, so gut ich konnte. Sie kauerte in der Ecke wie ein verstörtes Kind, blickte ängstlich um sich und konnte sich lange nicht beruhigen.
Der Tee wird ganz kalt. Ich sitze in der Teestube, damit die Leute sehen, daß ich nicht mein ganzes Leben im Harem verbringe. Es schickt sich nicht, immer bei seiner Frau zu sitzen. Meine Vettern spotten bereits. Nur bestimmte Stunden des Tages gehören der Frau. Die übrigen dem Manne. Aber ich bin Ninos einzige Zerstreuung, bin ihr Zeitung, Theater, Kaffeehaus, Bekanntenkreis und Ehemann zugleich. Deshalb kann ich sie nicht allein lassen, deshalb kaufe ich den ganzen Basar auf, denn heute abend ist großer Empfang beim Onkel zu Ehren meines Vaters, ein kaiserlicher Prinz wird anwesend sein, und Nino muß allein zu Hause bleiben, in Gesellschaft des Eunuchen, der sie erziehen will.
Ich verlasse den Basar und fahre nach Schimran. Im großen, teppichbelegten Saal sitzt Nino nachdenklich vor dem Berg von Ohrringen, Armbändern, Seidenschals und Parfümflaschen. Sie küßt mich still und zart, und Verzweiflung steigt plötzlich in mir auf. Der Eunuch bringt Scherbet und blickt mißbilligend auf die Geschenke. Man soll seine Frau nicht so verwöhnen.
Das Leben eines Persers beginnt in der Nacht. Nachts werden die Menschen lebendiger, die Gedanken leichter, die Worte gelöster. Hitze, Staub und Schmutz belasten den Tag. Nachts erwacht der Teschachüt, die seltsame persische Vornehmheit, die ich liebe und bewundere und die so ganz anders ist als die Welt Bakus, Daghestans oder Georgiens. Es war acht Uhr, als die Galakutschen des Onkels vor unserm Hause hielten, eine für meinen Vater, eine für mich. So verlangt es die Etikette. Vor jeder Kutsche drei Peschhedmeten, Herolde und Läufer, mit langen Laternen in der Hand, deren grelles Licht auf ihre inbrünstigen Gesichter fiel. In der Jugend war ihnen die Milz herausgeschnitten worden, und die Aufgabe ihres Lebens war lediglich, vor den Kutschen herzulaufen und mit tiefem Pathos »Achtung« zu rufen.