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Der Weg war menschenleer. Trotzdem riefen die Läufer gleichmäßig ihr »Achtung«, denn auch das gehörte zur Etikette. Wir fuhren durch enge Gassen, an endlosen, grauen Lehmmauern vorbei, hinter denen sich Kasernen oder Hütten, Paläste oder Ämter verbergen. Auf die Straße blicken nur die grauen Lehmmauern, die das persische Leben vor unbefugten Blicken abschließen.

Die gewölbten Kuppeln der Basarläden glichen im Mondschein unzähligen Luftballons, von einer unsichtbaren Hand zusammengehalten. Wir hielten vor einer breiten Mauer, in die eine schöngeschwungene Messingpforte eingelassen war. Die Pforte öffnete sich, und wir fuhren in den Hof des Palais ein.

Wenn ich allein dieses Haus aufsuchte, stand an der Pforte ein alter Diener mit zerlumptem Rock. Heute hingen an der Front des Palastes Girlanden und Lampions, und acht Mann verbeugten sich, als die Wagen vor der Schwelle hielten.

Der ungeheure Hof war durch eine niedrige Mauer in zwei Hälften geteilt. Drüben war der Harem. Dort plätscherte die Fontäne und sang die Nachtigall. Im Männerhof befand sich ein einfaches, rechteckiges Bassin mit Goldfischen.

Wir stiegen aus. Der Onkel trat an die Schwelle. Seine kleine Hand verdeckte das Gesicht. Er verbeugte sich tief und begleitete uns ins Haus. Der große Saal mit den vergoldeten Säulen und geschnitzten Holzwänden war voller Menschen. Ich sah schwarze Lammfellmützen, Turbane und weite, dünne Gewänder aus dunkelbraunem Stoff. In der Mitte saß ein älterer Mann mit mächtig gebogener Nase, grauen Haaren und breitgeschwungenen Augenbrauen — Seine Kaiserliche Hoheit der Prinz. Alle erhoben sich, als wir eintraten. Wir grüßten zuerst den Prinzen, dann die andern. Wir ließen uns auf weiche Kissen nieder. Die Anwesenden folgten unserem Beispiel. So saßen wir eine Minute oder zwei. Dann sprangen wir alle auf und verbeugten uns erneut gegeneinander. Endlich setzten wir uns endgültig hin und versanken in würdiges Schweigen. Die Diener brachten bläuliche Tassen mit duftendem Tee. Körbe mit Obst wanderten von Hand zu Hand, und die Kaiserliche Hoheit brach das Schweigen mit den Worten:

»Ich bin weit gereist und kenne viele Länder. Es gibt nirgends Gurken oder Pfirsiche, die so wohlschmeckend wären wie die in Persien.«

Er schälte eine Gurke, bestreute sie mit Salz und aß langsam und mit traurigen Augen.

»Hoheit haben recht«, sagte mein Onkel, »ich war in Europa und staunte immer, wie klein und häßlich das Obst der Ungläubigen ist.«

»Ich atme jedesmal auf, wenn ich nach Persien zurückkehre«, sagte ein Herr, der das persische Kaiserreich an einem europäischen Hofe vertrat, »es gibt nichts, um das wir Perser die Welt zu beneiden brauchten. Eigentlich gibt es nur Perser und Barbaren.«

»Höchstens könnte man noch einige Inder dazurechnen«, meinte der Prinz, »als ich vor Jahren in Indien war, sah ich Menschen, die achtungswert waren und beinahe unsere Kulturstufe erreichten. Allerdings irrt man sich leicht. Ein vornehmer Inder, den ich kannte und den ich eine Zeitlang für voll nahm, erwies sich dann doch als Barbar. Ich war bei ihm zu Tisch, und, stellt euch nur vor, er aß die Außenblätter des Salats.«

Die Anwesenden waren entsetzt. Ein Mullah mit schwerem Turban und eingefallenen Wangen sagte mit leiser, müder Stimme:

»Der Unterschied zwischen den Persern und Nichtpersern ist, daß wir allein die Schönheit zu schätzen verstehen.«

»Es ist währ«, sagte mein Onkel, »mir ist ein schönes Gedicht lieber als eine lärmende Fabrik. Ich verzeihe Abu Seyd seine Ketzerei, weil er als erster die Rubayats, unsere schönste Versform, in die Literatur eingeführt hat.«

Er räusperte sich und rezitierte halb singend:

»Solange Moschee und Medresse

nicht verwüstet sind,

Wird das Werk der Wahrheitssucher nicht erfüllt sein.

Solange Glaube und Unglaube nicht eins sind,

Wird Mensch in Wahrheit nicht Muslim sein.«

»Schrecklich«, sagte der Mullah. »Schrecklich. Aber dieser Klang. Er erhob sich, nahm eine zierliche, silberne Wasserkanne, mit langen, schmalem Hals und ging torkelnden Schrittes aus dem Zimmer. Nach einer Weile kam er zurück und stellte die Kanne auf den Boden. Wir erhoben uns und beglückwünschten ihn laut, denn sein Körper hatte sich inzwischen des Überflüssigen entleert.

Indessen fragte mein Vater: »Ist es wahr, Hoheit, daß Wossugh ed Dawleh, unser Premierminister, mit England einen neuen Vertrag abschließen will?«

Der Prinz lächelte.

»Das müssen Sie Assad es Saltaneh fragen. Obwohl es eigentlich gar kein Geheimnis ist.«

»Ja«, sagte der Onkel, »es ist ein sehr guter Vertrag. Denn von nun ab werden die Barbaren unsere Sklaven sein.«

»Wieso?«

»Nun, die Engländer lieben die Arbeit und wir die Schönheit. Sie lieben Kampf, und wir lieben Ruhe. Also haben wir uns geeinigt. Wir brauchen uns nicht mehr um die Sicherheit unserer Grenzen zu sorgen. England übernimmt den Schutz Irans, baut Straßen, errichtet Gebäude und zahlt uns noch Geld dazu. Denn England weiß, was die Kultur der Welt uns verdankt.«

Der junge Mann neben dem Onkel war mein Vetter Bahram Khan Schirwanschir. Er hob den Kopf und sagte:

»Glauben Sie, daß England uns wegen unserer Kultur schützt oder wegen unseres Öls?«

»Beides leuchtet in der Welt und bedarf des Schutzes«, sagte der Onkel gleichgültig, »aber wir können doch nicht selbst Soldaten sein!?«

»Warum nicht?« Dieses Mal war ich es, der die Frage stellte, »ich zum Beispiel kämpfte für mein Volk und kann mir sehr gut vorstellen, daß ich auch weiterhin kämpfen würde.«

Assad es Saltaneh blickte mich mißbilligend an, und der Prinz setzte die Teetasse nieder.

»Ich wußte nicht«, sagte er überheblich, »daß es unter den Schirwanschirs Soldaten gibt.«

»Aber Hoheit! Er war ja eigentlich Offizier.«

»Es ist dasselbe, Assad es Saltaneh. Offizier«, wiederholte er spöttisch und spitzte die Lippen.

Ich schwieg. Ich hatte ganz vergessen, daß in den Augen eines vornehmen Persers Soldat sein nicht standesgemäß ist.

Nur der Vetter Bahram Khan schien anderer Meinung zu sein. Er war noch jung. Muschir ed Dawleh, ein vornehmer Würdenträger, der neben dem Prinzen saß, belehrte ihn umständlich, das gottbehütete Iran brauche kein Schwert mehr, um in der Welt zu leuchten. Es habe in der Vergangenheit den Mut seiner Söhne bewiesen.

»In der Schatzkammer des Königs der Könige«, schloß er, »gibt es einen Globus aus Gold. Darauf sind alle Länder mit verschiedenen Edelsteinen dargestellt. Aber nur die Fläche Irans ist mit reinsten Diamanten bedeckt. Das ist mehr als ein Symbol. Das ist Wahrheit.«

Ich dachte an die ausländischen Soldaten, die das Land besetzt hielten, und an die zerlumpten Polizisten im Hafen von Anseli. Hier war Asien, das vor Europa die Waffen streckte, aus Angst, selbst europäisch zu werden. Der Prinz verachtete das Handwerk des Soldaten und war dennoch der Nachfolger jenes Schahs, unter dem mein Ahne siegreich in Tiflis einzog. Damals verstand Iran, Waffen zu führen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die Zeiten hatten sich geändert. Iran verfiel wie in den Tagen der kunstbeflissenen Sefewiden. Dem Prinzen war ein Gedicht lieber als ein Maschinengewehr, vielleicht, weil er sich in Gedichten besser auskannte. Der Prinz war alt, der Onkel auch. Iran starb, aber es starb mit Grazie.

Mir fiel ein Gedicht Omars, des Zeltmachers, ein:

»Ein großes Schachbrett ward aus Nacht und Tag,

Wo das Geschick mit Menschen spielen mag.

Es stellt sie auf und bietet Schach und Matt